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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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um ein übersetztes Drama von Dumas oder Victor Hugo zu se¬
hen, wo eben so viel Blut fließt, als beim Stiergefecht, aber fei¬
ner, literarischer.

Nur im gemeinen Volke hat sich noch der spanische Geist er
halten. Auf dieser breiten untersten Stufe der gesellschaftlichen Lei¬
ter sitzen noch gewisse typische Gestalten, die in Spanien unver¬
gänglich und ewig dieselben zu sein scheinen; da ist z. B. der
Barbier, der sich noch nicht, wie in Frankreich und den französirten
Ländern, zum Coiffeur promovirt hat. Dann der Gallego oder Ek-
kensteher, der immer unfehlbar aus Galizien sein muß, wie der
französische Wasserträger aus der Auvergne. Dann unter den Wei¬
bern die Manola, die einige Touristen mit der Grisette verwechselt
haben, während sie mehr dem Fischweih ähnlich ist. Endlich kommt
der unwandelbare Typus des spanischen Bettlers, der noch derselbe
ist, wie zu Michel Cervantes Zeiten, genäschig und ausgehungert,
kriechend und arrogant, stoisch und epikuräisch zugleich. Den findet
ihr noch immer, wie einst, als gebeugte Karyatide an den Kirch-
thüren stehen, mit kläglicher Stimme Jhro Gnaden um einen Mci-
ravedi auflesend, und immer noch sein rechtes oder linkes Bein aus¬
streckend, welches er heroisch mit künstlichen Wunden ausgestattet
hat, um die frommen christlichen Seelen zu rühren. Oft auch, wie
sonst wenn er sein Tagewerk vollbracht, wirst er plötzlich seine
Krücken hin und hüpft in die erste beste Kneipe, wo er ein köstli¬
ches Abendessen einnimmt und den besten Valdepenaö durch die Gur¬
gel jagt.

Nur Ein Punkt hat sich, durch die Versuche socialer Wiederge¬
burt, im Leben des Madrider Bettlers wesentlich geändert: er hat
die Mönche verloren, die geliebten und großmüthigen Mäcenaten
seiner freien Kunst. Sonst ernährten die Kloster täglich die ganze
Bettlcrbevölkerung Spaniens; darum sind auch heutzutage die
Lumpe und die Vagabunden die größten Feinde der neuen Ord¬
nung und die lautesten NeactionSprediger.

In der That eine radicale Veränderung im Madrider Leben
ist durch das plötzliche Einschmelzen der Unzahl von Mönchen ein¬
getreten, welche sonst die Hauptstadt Ihrer katholischen Majestät
überfüllten. Seit undenklichen Zeiten, und noch unter Ferdinand VII.,
gab es kaun. Ein Haus in Madrid, in welchem sich nicht ein


um ein übersetztes Drama von Dumas oder Victor Hugo zu se¬
hen, wo eben so viel Blut fließt, als beim Stiergefecht, aber fei¬
ner, literarischer.

Nur im gemeinen Volke hat sich noch der spanische Geist er
halten. Auf dieser breiten untersten Stufe der gesellschaftlichen Lei¬
ter sitzen noch gewisse typische Gestalten, die in Spanien unver¬
gänglich und ewig dieselben zu sein scheinen; da ist z. B. der
Barbier, der sich noch nicht, wie in Frankreich und den französirten
Ländern, zum Coiffeur promovirt hat. Dann der Gallego oder Ek-
kensteher, der immer unfehlbar aus Galizien sein muß, wie der
französische Wasserträger aus der Auvergne. Dann unter den Wei¬
bern die Manola, die einige Touristen mit der Grisette verwechselt
haben, während sie mehr dem Fischweih ähnlich ist. Endlich kommt
der unwandelbare Typus des spanischen Bettlers, der noch derselbe
ist, wie zu Michel Cervantes Zeiten, genäschig und ausgehungert,
kriechend und arrogant, stoisch und epikuräisch zugleich. Den findet
ihr noch immer, wie einst, als gebeugte Karyatide an den Kirch-
thüren stehen, mit kläglicher Stimme Jhro Gnaden um einen Mci-
ravedi auflesend, und immer noch sein rechtes oder linkes Bein aus¬
streckend, welches er heroisch mit künstlichen Wunden ausgestattet
hat, um die frommen christlichen Seelen zu rühren. Oft auch, wie
sonst wenn er sein Tagewerk vollbracht, wirst er plötzlich seine
Krücken hin und hüpft in die erste beste Kneipe, wo er ein köstli¬
ches Abendessen einnimmt und den besten Valdepenaö durch die Gur¬
gel jagt.

Nur Ein Punkt hat sich, durch die Versuche socialer Wiederge¬
burt, im Leben des Madrider Bettlers wesentlich geändert: er hat
die Mönche verloren, die geliebten und großmüthigen Mäcenaten
seiner freien Kunst. Sonst ernährten die Kloster täglich die ganze
Bettlcrbevölkerung Spaniens; darum sind auch heutzutage die
Lumpe und die Vagabunden die größten Feinde der neuen Ord¬
nung und die lautesten NeactionSprediger.

In der That eine radicale Veränderung im Madrider Leben
ist durch das plötzliche Einschmelzen der Unzahl von Mönchen ein¬
getreten, welche sonst die Hauptstadt Ihrer katholischen Majestät
überfüllten. Seit undenklichen Zeiten, und noch unter Ferdinand VII.,
gab es kaun. Ein Haus in Madrid, in welchem sich nicht ein


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[0230] um ein übersetztes Drama von Dumas oder Victor Hugo zu se¬ hen, wo eben so viel Blut fließt, als beim Stiergefecht, aber fei¬ ner, literarischer. Nur im gemeinen Volke hat sich noch der spanische Geist er halten. Auf dieser breiten untersten Stufe der gesellschaftlichen Lei¬ ter sitzen noch gewisse typische Gestalten, die in Spanien unver¬ gänglich und ewig dieselben zu sein scheinen; da ist z. B. der Barbier, der sich noch nicht, wie in Frankreich und den französirten Ländern, zum Coiffeur promovirt hat. Dann der Gallego oder Ek- kensteher, der immer unfehlbar aus Galizien sein muß, wie der französische Wasserträger aus der Auvergne. Dann unter den Wei¬ bern die Manola, die einige Touristen mit der Grisette verwechselt haben, während sie mehr dem Fischweih ähnlich ist. Endlich kommt der unwandelbare Typus des spanischen Bettlers, der noch derselbe ist, wie zu Michel Cervantes Zeiten, genäschig und ausgehungert, kriechend und arrogant, stoisch und epikuräisch zugleich. Den findet ihr noch immer, wie einst, als gebeugte Karyatide an den Kirch- thüren stehen, mit kläglicher Stimme Jhro Gnaden um einen Mci- ravedi auflesend, und immer noch sein rechtes oder linkes Bein aus¬ streckend, welches er heroisch mit künstlichen Wunden ausgestattet hat, um die frommen christlichen Seelen zu rühren. Oft auch, wie sonst wenn er sein Tagewerk vollbracht, wirst er plötzlich seine Krücken hin und hüpft in die erste beste Kneipe, wo er ein köstli¬ ches Abendessen einnimmt und den besten Valdepenaö durch die Gur¬ gel jagt. Nur Ein Punkt hat sich, durch die Versuche socialer Wiederge¬ burt, im Leben des Madrider Bettlers wesentlich geändert: er hat die Mönche verloren, die geliebten und großmüthigen Mäcenaten seiner freien Kunst. Sonst ernährten die Kloster täglich die ganze Bettlcrbevölkerung Spaniens; darum sind auch heutzutage die Lumpe und die Vagabunden die größten Feinde der neuen Ord¬ nung und die lautesten NeactionSprediger. In der That eine radicale Veränderung im Madrider Leben ist durch das plötzliche Einschmelzen der Unzahl von Mönchen ein¬ getreten, welche sonst die Hauptstadt Ihrer katholischen Majestät überfüllten. Seit undenklichen Zeiten, und noch unter Ferdinand VII., gab es kaun. Ein Haus in Madrid, in welchem sich nicht ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/230>, abgerufen am 04.06.2024.