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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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des Obercensurgerichts aber stets nur wie ein hinkender Bote nach¬
kommen kann oder wie das Verbiet des Todtenbeschauers, um zu sa¬
gen: dieser Artikel ist unschuldig hingerichtet worden. Steh auf, La-
zarus, und preise meine wunderbare Gerechtigkeit: -- es versteht dich
so Niemand mehr, außer dem, der dich geschrieben hat. ... Wo
sind jetzt die leitenden Artikel, jene vielversprechenden Anfänge der
Berliner Vossischen und der Königsberger Zeitung? Wa¬
ren sie nicht längst zum Schweigen gebracht, noch ehe die Zeitung
für Preußen ihre fernhin nicht treffenden, aber dumpf brummen¬
den, übertäubenden Batterien aufführte?

Die Berliner Stimmen hört man deshalb jetzt meisten" nur am
Rhein, wo sich eine interessante Constellation von Zeitungen gebildet
hat, welche den Federn aus der Mark eine Zuflucht gewähren; die
abstracren, überalleshinausigen in der Trierer Zeitung, die beson¬
nenen, constitutionsharrcnden in der Kölnischen und Aachener Zeitung,
im Rheinischen Beobachter aber 'jene alten Stimmen, die man ver¬
klungen wähnte, die noch immer von der politischen Erbsünde der
Völker und der verlorenen Paradiesesunschuld des beschränkten Unter¬
thanenverstandes predigen. Die Aachener Zeitung ist ein kluger,
praktischer Jurist, der seine liberalen Grundsätze Paragraph für Pa¬
ragraph vertheidigt, und einen gewissen trockenen Sarkasmus in der
Politik besitzt. Weniger consequent, doch dafür lebhafter und mit
reichhaltigem Correspondenzen ausgestattet, ist die to in i sche Zeitung,
die unter Brüggemann den steilen Weg des Fortschritts muthig wei¬
ter geht. Municipalfreiheit, volleOeffentlichkeit und Repräsentativverfas-
sung, oder -- wie es in der modernen unbestimmten Formel klingt--
"Betheiligung der Bürger am Staat," das sind die . . . . pi:r ein"i-
"lorii^ die auf ihrem Banner stehen. Man sollte es nicht glauben,
daß wegen solcher bescheiden ausgesprochenen, wahrhaft frommen Wün¬
sche ein deutsches Blatt noch eine systematische Polemik sich zuziehen
kann; aber es ist seltsam zu sehen, wie die Kölnische zugleich vom
Rheinischen Beobachter und von der Rhein- und Mosclzcitung ange¬
griffen, und wie sie vom Ultramontanen und dem symbolgläubigen
Protestanten zugleich um ihren Katechismus bedrängt wird. Der
Eine will keinen politischen Liberalismus ohne das kirchliche Gegen¬
theil, der andere will überhaupt keinen Liberalismus am katholischen
Rhein gelten lassen.

Eigentlich sollten die Elberfelder und die Rhein-und Mo¬
selzeitung einander fortwährend in den Haaren liegen; und kommt
es einmal in dem glücklichen Deutschland zu einer 2. Auflage des
Religionskrieges, so würde gewiß von einem dieser beiden Organe der
erste Kanonenschuß ausgehen. Die Elberfelder Zeitung, sehr zahm
und "wohlwollend" in politischer Hinsicht, ist ungemein laut als deutsch-
katholischer Prädicant, eben so wie die Rhein- und Moselzeitung in


des Obercensurgerichts aber stets nur wie ein hinkender Bote nach¬
kommen kann oder wie das Verbiet des Todtenbeschauers, um zu sa¬
gen: dieser Artikel ist unschuldig hingerichtet worden. Steh auf, La-
zarus, und preise meine wunderbare Gerechtigkeit: — es versteht dich
so Niemand mehr, außer dem, der dich geschrieben hat. ... Wo
sind jetzt die leitenden Artikel, jene vielversprechenden Anfänge der
Berliner Vossischen und der Königsberger Zeitung? Wa¬
ren sie nicht längst zum Schweigen gebracht, noch ehe die Zeitung
für Preußen ihre fernhin nicht treffenden, aber dumpf brummen¬
den, übertäubenden Batterien aufführte?

Die Berliner Stimmen hört man deshalb jetzt meisten« nur am
Rhein, wo sich eine interessante Constellation von Zeitungen gebildet
hat, welche den Federn aus der Mark eine Zuflucht gewähren; die
abstracren, überalleshinausigen in der Trierer Zeitung, die beson¬
nenen, constitutionsharrcnden in der Kölnischen und Aachener Zeitung,
im Rheinischen Beobachter aber 'jene alten Stimmen, die man ver¬
klungen wähnte, die noch immer von der politischen Erbsünde der
Völker und der verlorenen Paradiesesunschuld des beschränkten Unter¬
thanenverstandes predigen. Die Aachener Zeitung ist ein kluger,
praktischer Jurist, der seine liberalen Grundsätze Paragraph für Pa¬
ragraph vertheidigt, und einen gewissen trockenen Sarkasmus in der
Politik besitzt. Weniger consequent, doch dafür lebhafter und mit
reichhaltigem Correspondenzen ausgestattet, ist die to in i sche Zeitung,
die unter Brüggemann den steilen Weg des Fortschritts muthig wei¬
ter geht. Municipalfreiheit, volleOeffentlichkeit und Repräsentativverfas-
sung, oder — wie es in der modernen unbestimmten Formel klingt—
„Betheiligung der Bürger am Staat," das sind die . . . . pi:r ein«i-
«lorii^ die auf ihrem Banner stehen. Man sollte es nicht glauben,
daß wegen solcher bescheiden ausgesprochenen, wahrhaft frommen Wün¬
sche ein deutsches Blatt noch eine systematische Polemik sich zuziehen
kann; aber es ist seltsam zu sehen, wie die Kölnische zugleich vom
Rheinischen Beobachter und von der Rhein- und Mosclzcitung ange¬
griffen, und wie sie vom Ultramontanen und dem symbolgläubigen
Protestanten zugleich um ihren Katechismus bedrängt wird. Der
Eine will keinen politischen Liberalismus ohne das kirchliche Gegen¬
theil, der andere will überhaupt keinen Liberalismus am katholischen
Rhein gelten lassen.

Eigentlich sollten die Elberfelder und die Rhein-und Mo¬
selzeitung einander fortwährend in den Haaren liegen; und kommt
es einmal in dem glücklichen Deutschland zu einer 2. Auflage des
Religionskrieges, so würde gewiß von einem dieser beiden Organe der
erste Kanonenschuß ausgehen. Die Elberfelder Zeitung, sehr zahm
und „wohlwollend" in politischer Hinsicht, ist ungemein laut als deutsch-
katholischer Prädicant, eben so wie die Rhein- und Moselzeitung in


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[0240] des Obercensurgerichts aber stets nur wie ein hinkender Bote nach¬ kommen kann oder wie das Verbiet des Todtenbeschauers, um zu sa¬ gen: dieser Artikel ist unschuldig hingerichtet worden. Steh auf, La- zarus, und preise meine wunderbare Gerechtigkeit: — es versteht dich so Niemand mehr, außer dem, der dich geschrieben hat. ... Wo sind jetzt die leitenden Artikel, jene vielversprechenden Anfänge der Berliner Vossischen und der Königsberger Zeitung? Wa¬ ren sie nicht längst zum Schweigen gebracht, noch ehe die Zeitung für Preußen ihre fernhin nicht treffenden, aber dumpf brummen¬ den, übertäubenden Batterien aufführte? Die Berliner Stimmen hört man deshalb jetzt meisten« nur am Rhein, wo sich eine interessante Constellation von Zeitungen gebildet hat, welche den Federn aus der Mark eine Zuflucht gewähren; die abstracren, überalleshinausigen in der Trierer Zeitung, die beson¬ nenen, constitutionsharrcnden in der Kölnischen und Aachener Zeitung, im Rheinischen Beobachter aber 'jene alten Stimmen, die man ver¬ klungen wähnte, die noch immer von der politischen Erbsünde der Völker und der verlorenen Paradiesesunschuld des beschränkten Unter¬ thanenverstandes predigen. Die Aachener Zeitung ist ein kluger, praktischer Jurist, der seine liberalen Grundsätze Paragraph für Pa¬ ragraph vertheidigt, und einen gewissen trockenen Sarkasmus in der Politik besitzt. Weniger consequent, doch dafür lebhafter und mit reichhaltigem Correspondenzen ausgestattet, ist die to in i sche Zeitung, die unter Brüggemann den steilen Weg des Fortschritts muthig wei¬ ter geht. Municipalfreiheit, volleOeffentlichkeit und Repräsentativverfas- sung, oder — wie es in der modernen unbestimmten Formel klingt— „Betheiligung der Bürger am Staat," das sind die . . . . pi:r ein«i- «lorii^ die auf ihrem Banner stehen. Man sollte es nicht glauben, daß wegen solcher bescheiden ausgesprochenen, wahrhaft frommen Wün¬ sche ein deutsches Blatt noch eine systematische Polemik sich zuziehen kann; aber es ist seltsam zu sehen, wie die Kölnische zugleich vom Rheinischen Beobachter und von der Rhein- und Mosclzcitung ange¬ griffen, und wie sie vom Ultramontanen und dem symbolgläubigen Protestanten zugleich um ihren Katechismus bedrängt wird. Der Eine will keinen politischen Liberalismus ohne das kirchliche Gegen¬ theil, der andere will überhaupt keinen Liberalismus am katholischen Rhein gelten lassen. Eigentlich sollten die Elberfelder und die Rhein-und Mo¬ selzeitung einander fortwährend in den Haaren liegen; und kommt es einmal in dem glücklichen Deutschland zu einer 2. Auflage des Religionskrieges, so würde gewiß von einem dieser beiden Organe der erste Kanonenschuß ausgehen. Die Elberfelder Zeitung, sehr zahm und „wohlwollend" in politischer Hinsicht, ist ungemein laut als deutsch- katholischer Prädicant, eben so wie die Rhein- und Moselzeitung in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/240>, abgerufen am 29.05.2024.