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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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besorgen zu können. Diese Berichtigung scheint mir um so nöthiger,
als die deutsche Büraukratie die Nachrichten von Ausweisungen und
harter Begegnung der Schriftsteller aus Paris mit Begierde einsaugt,
und einen Beleg zu ihren eigenen Thaten darin findet, ohne zu be¬
denken, daß die Pariser Schriftsteller andererseits mehr Macht und
Einfluß haben, als unsere sämmtlichen Kammcrdeputirten und media-
tisirten Peers. Der "Diogenes'' hat übrigens einen nachhaltigen Er¬
folg, und es ist noch immer schwer einen Platz zur Vorstellung zu
finden. Das Odeontheatcr hat hier fast einen gleichen Fischzug wie
mit Ponsards Lucretia gethan. Neugierig ist man auf das Mon¬
tagsfeuilleton des Journal des DÄats, und wie Jules Janin über
daS Stück urtheilen wird, dessen Verfasser auf seine Verlaumdungs-
klage zu einer so langen Gefangißstrafe verurtheilt wurde. Die Beliebt¬
heit dieses Hoffeuilletonisten nimmt übrigens in dem Maße ab, als
er an Beleibtheit zunimmt. Sei es Phlegma, sei es Sicherheit die
ihm die Mitgift seiner jungen Frau verleiht, genug, der gute Janin
läßt sich seit einiger Zeit sehr gehen, seine Kritiken sind fahrlässiger
als je und er nimmt sich nicht ein Mal die Mühe seine Unwissen¬
heit zu verbergen. Vorige Woche sprach er z. B. von der Verges¬
senheit denen sämmtliche Städte der neuern Zeit bald hcimfallen müs¬
sen, und brauchte dabei die Phrase: "das Publicum werde sie alle in
den Styr tauchen;" wahrscheinlich hat Janin seine Schulkenntnisse
bereits in Lethe getaucht. Dieser dicke Jules Janin bewohnt übri¬
gens eine kleine Reihe von Zimmern, von denen jedes so eng ist, daß
man kaum versteht wie er selbst drin Platz hat. Nichtsdestoweniger
drängte sich vorigen Dienstag jener Theil von Paris der die Feder
des kleinen Styrfeuilletonisten zu fürchten hat, in diesen kleinen aber
prächtig geschmückten Gemächern, wo die schönsten Gemälde und
Prachtkupferstiche die dem privilegirten Kritiker von allen Seiten als
Tribut zugeschickt werden von Girandolan und Lampes - Carcel ganz
magisch beleuchtet waren. Es war großer Empfang, ^rimäv 8oirvs
bei Dionys dem Feuilletontyrannen, und wer hätte gewagt zu fehlen?
Sogar Lamartine war da Die Musiker jedoch drängten sich in Mehr¬
zahl; Halcvy, Ander, Spontini, Adam. Daß Lißt nicht fehlte, ver¬
steht sich von selbst -- wie wird Lißt fehlen wo ein kritischer Sul¬
tan, Beherrscher von IV,VW Gläubigen und Abonnenten sein Auf¬
gebot erschallen läßt? Sogar O. L. B. Wolf, der den Dolmetscher am
Rheine bei den französischen Beethovenfestreisenden gewacht hat, war
im Geiste da. Es wurde nehmlich die von ihm gedichtete und von
Lißt in Musik gesetzte Becthovencantate in der O rigi nalspräche
aufgeführt; zwanzig deutsche Sänger unter der Leitung des Herrn
Stern sangen die (ihöre. Auch Italien hatte seine Abgesandten, die
famose Altistin Alboni sang aus der Sonnambula. Schweden hatte
Ole Bull abgeschickt, der ein Violinconcert spielte/ und um die habn-


besorgen zu können. Diese Berichtigung scheint mir um so nöthiger,
als die deutsche Büraukratie die Nachrichten von Ausweisungen und
harter Begegnung der Schriftsteller aus Paris mit Begierde einsaugt,
und einen Beleg zu ihren eigenen Thaten darin findet, ohne zu be¬
denken, daß die Pariser Schriftsteller andererseits mehr Macht und
Einfluß haben, als unsere sämmtlichen Kammcrdeputirten und media-
tisirten Peers. Der „Diogenes'' hat übrigens einen nachhaltigen Er¬
folg, und es ist noch immer schwer einen Platz zur Vorstellung zu
finden. Das Odeontheatcr hat hier fast einen gleichen Fischzug wie
mit Ponsards Lucretia gethan. Neugierig ist man auf das Mon¬
tagsfeuilleton des Journal des DÄats, und wie Jules Janin über
daS Stück urtheilen wird, dessen Verfasser auf seine Verlaumdungs-
klage zu einer so langen Gefangißstrafe verurtheilt wurde. Die Beliebt¬
heit dieses Hoffeuilletonisten nimmt übrigens in dem Maße ab, als
er an Beleibtheit zunimmt. Sei es Phlegma, sei es Sicherheit die
ihm die Mitgift seiner jungen Frau verleiht, genug, der gute Janin
läßt sich seit einiger Zeit sehr gehen, seine Kritiken sind fahrlässiger
als je und er nimmt sich nicht ein Mal die Mühe seine Unwissen¬
heit zu verbergen. Vorige Woche sprach er z. B. von der Verges¬
senheit denen sämmtliche Städte der neuern Zeit bald hcimfallen müs¬
sen, und brauchte dabei die Phrase: „das Publicum werde sie alle in
den Styr tauchen;" wahrscheinlich hat Janin seine Schulkenntnisse
bereits in Lethe getaucht. Dieser dicke Jules Janin bewohnt übri¬
gens eine kleine Reihe von Zimmern, von denen jedes so eng ist, daß
man kaum versteht wie er selbst drin Platz hat. Nichtsdestoweniger
drängte sich vorigen Dienstag jener Theil von Paris der die Feder
des kleinen Styrfeuilletonisten zu fürchten hat, in diesen kleinen aber
prächtig geschmückten Gemächern, wo die schönsten Gemälde und
Prachtkupferstiche die dem privilegirten Kritiker von allen Seiten als
Tribut zugeschickt werden von Girandolan und Lampes - Carcel ganz
magisch beleuchtet waren. Es war großer Empfang, ^rimäv 8oirvs
bei Dionys dem Feuilletontyrannen, und wer hätte gewagt zu fehlen?
Sogar Lamartine war da Die Musiker jedoch drängten sich in Mehr¬
zahl; Halcvy, Ander, Spontini, Adam. Daß Lißt nicht fehlte, ver¬
steht sich von selbst — wie wird Lißt fehlen wo ein kritischer Sul¬
tan, Beherrscher von IV,VW Gläubigen und Abonnenten sein Auf¬
gebot erschallen läßt? Sogar O. L. B. Wolf, der den Dolmetscher am
Rheine bei den französischen Beethovenfestreisenden gewacht hat, war
im Geiste da. Es wurde nehmlich die von ihm gedichtete und von
Lißt in Musik gesetzte Becthovencantate in der O rigi nalspräche
aufgeführt; zwanzig deutsche Sänger unter der Leitung des Herrn
Stern sangen die (ihöre. Auch Italien hatte seine Abgesandten, die
famose Altistin Alboni sang aus der Sonnambula. Schweden hatte
Ole Bull abgeschickt, der ein Violinconcert spielte/ und um die habn-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/244>, abgerufen am 29.05.2024.