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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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chen, wird um desto pedantischer auf die Vorschrift gehalten. Ich
kenne Kaufleute die die höchste Achtung und einen unumschränkten
Credit selbst in fremden Staaten genießen, ich kenne Männer die
einen über ganz Deutschland verbreiteten Namen haben, Künstler
denen Frankreich und England .huldigten, und denen ihre heimat¬
liche Behörde das "Herr," oder auch das "Fräulein" nicht in ihren
Paß einschreibt. Wenn Lißt als Ungar, Ehrensäbler und Ritter
des O^lo i,our le in^'ne, wenn Thalberg der fürstliche Natur¬
sohn, der Tastentapfere Dünois Bastard von Orleans das "Herr"
im Passe haben, so wäre ich doch neugierig ob auch Dreischock,
Tichatscheck ze. es besitzen? Wenn Fanny Elster das Schooskind
des seligen Gentz in ihrem Passe vielleicht Fräulein titulirt ist,
so wären wir neugierig, ob auch andere unprotegirte Künstlerinnen
dieser allereinfachsten Höflichkeit sich erfreuen, d!e Tuczek, die Mayer
und wie die jungen gesangreichen Oestcrreichennnen heißen, denen
die größten deutschen Städte Weihrauch streuten. Erst wenn die
einheimischen Talente als fremde Angestellte, (oft sogar mit fremden
Pässen) als Hofkapellmeister, Kammersängerinnen :c. zurückkommen,
versteht man sich allmählig dazu, auch hier höflicher gegen sie zu
sein. Aber diese Höflichkeit gilt eben wieder nur dem fremden Hof
in dessen Pfauenschweif sie ein Auge bilden, nicht ihrer Person und
ihrem Beruf.

Ki" bien! was soll mit diesem allen gesagt werden? daß in
Oesterreich der Unterschied der Stände noch so bocksteif wie früher
ist, daß nicht alle Menschen gleich vor dem Gerichte sind? Das
wissen wir längst, dieß erst zu beweisen ist eine unnöthige Mühe!

Eben deswegen will ich gerade eine ganz umgekehrte Beweis¬
führung liefern, ich will beweisen, daß trotz aller mittelalterlichen
Riegel und Gitter, trotz aller altfränkischen Perrücken und Zö¬
pfe der Zeitgeist seine Bezwinger bezwingt und die Gleichheit sich
unter den erstickenden Decken der Theorie, dennoch in der Praxis
immer mächtiger emporarbeitet. Vor allem ist nicht zu vergessen,
daß es eine Zeit gab, wo Niemand Herr war als der Adel,
und daß wenn es nach diesem ginge, die Concessionen die man seit^
dem dem Mittelstand gemachthat, noch heute nicht eristirten. Man darf
nicht übersehen, daß das Schicklichkeitsgefühl selbst bei dem Beam¬
ten so weit gereift ist, daß er des altmodischen Zuschnitts sich sei-


chen, wird um desto pedantischer auf die Vorschrift gehalten. Ich
kenne Kaufleute die die höchste Achtung und einen unumschränkten
Credit selbst in fremden Staaten genießen, ich kenne Männer die
einen über ganz Deutschland verbreiteten Namen haben, Künstler
denen Frankreich und England .huldigten, und denen ihre heimat¬
liche Behörde das „Herr," oder auch das „Fräulein" nicht in ihren
Paß einschreibt. Wenn Lißt als Ungar, Ehrensäbler und Ritter
des O^lo i,our le in^'ne, wenn Thalberg der fürstliche Natur¬
sohn, der Tastentapfere Dünois Bastard von Orleans das „Herr"
im Passe haben, so wäre ich doch neugierig ob auch Dreischock,
Tichatscheck ze. es besitzen? Wenn Fanny Elster das Schooskind
des seligen Gentz in ihrem Passe vielleicht Fräulein titulirt ist,
so wären wir neugierig, ob auch andere unprotegirte Künstlerinnen
dieser allereinfachsten Höflichkeit sich erfreuen, d!e Tuczek, die Mayer
und wie die jungen gesangreichen Oestcrreichennnen heißen, denen
die größten deutschen Städte Weihrauch streuten. Erst wenn die
einheimischen Talente als fremde Angestellte, (oft sogar mit fremden
Pässen) als Hofkapellmeister, Kammersängerinnen :c. zurückkommen,
versteht man sich allmählig dazu, auch hier höflicher gegen sie zu
sein. Aber diese Höflichkeit gilt eben wieder nur dem fremden Hof
in dessen Pfauenschweif sie ein Auge bilden, nicht ihrer Person und
ihrem Beruf.

Ki» bien! was soll mit diesem allen gesagt werden? daß in
Oesterreich der Unterschied der Stände noch so bocksteif wie früher
ist, daß nicht alle Menschen gleich vor dem Gerichte sind? Das
wissen wir längst, dieß erst zu beweisen ist eine unnöthige Mühe!

Eben deswegen will ich gerade eine ganz umgekehrte Beweis¬
führung liefern, ich will beweisen, daß trotz aller mittelalterlichen
Riegel und Gitter, trotz aller altfränkischen Perrücken und Zö¬
pfe der Zeitgeist seine Bezwinger bezwingt und die Gleichheit sich
unter den erstickenden Decken der Theorie, dennoch in der Praxis
immer mächtiger emporarbeitet. Vor allem ist nicht zu vergessen,
daß es eine Zeit gab, wo Niemand Herr war als der Adel,
und daß wenn es nach diesem ginge, die Concessionen die man seit^
dem dem Mittelstand gemachthat, noch heute nicht eristirten. Man darf
nicht übersehen, daß das Schicklichkeitsgefühl selbst bei dem Beam¬
ten so weit gereift ist, daß er des altmodischen Zuschnitts sich sei-


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[0493] chen, wird um desto pedantischer auf die Vorschrift gehalten. Ich kenne Kaufleute die die höchste Achtung und einen unumschränkten Credit selbst in fremden Staaten genießen, ich kenne Männer die einen über ganz Deutschland verbreiteten Namen haben, Künstler denen Frankreich und England .huldigten, und denen ihre heimat¬ liche Behörde das „Herr," oder auch das „Fräulein" nicht in ihren Paß einschreibt. Wenn Lißt als Ungar, Ehrensäbler und Ritter des O^lo i,our le in^'ne, wenn Thalberg der fürstliche Natur¬ sohn, der Tastentapfere Dünois Bastard von Orleans das „Herr" im Passe haben, so wäre ich doch neugierig ob auch Dreischock, Tichatscheck ze. es besitzen? Wenn Fanny Elster das Schooskind des seligen Gentz in ihrem Passe vielleicht Fräulein titulirt ist, so wären wir neugierig, ob auch andere unprotegirte Künstlerinnen dieser allereinfachsten Höflichkeit sich erfreuen, d!e Tuczek, die Mayer und wie die jungen gesangreichen Oestcrreichennnen heißen, denen die größten deutschen Städte Weihrauch streuten. Erst wenn die einheimischen Talente als fremde Angestellte, (oft sogar mit fremden Pässen) als Hofkapellmeister, Kammersängerinnen :c. zurückkommen, versteht man sich allmählig dazu, auch hier höflicher gegen sie zu sein. Aber diese Höflichkeit gilt eben wieder nur dem fremden Hof in dessen Pfauenschweif sie ein Auge bilden, nicht ihrer Person und ihrem Beruf. Ki» bien! was soll mit diesem allen gesagt werden? daß in Oesterreich der Unterschied der Stände noch so bocksteif wie früher ist, daß nicht alle Menschen gleich vor dem Gerichte sind? Das wissen wir längst, dieß erst zu beweisen ist eine unnöthige Mühe! Eben deswegen will ich gerade eine ganz umgekehrte Beweis¬ führung liefern, ich will beweisen, daß trotz aller mittelalterlichen Riegel und Gitter, trotz aller altfränkischen Perrücken und Zö¬ pfe der Zeitgeist seine Bezwinger bezwingt und die Gleichheit sich unter den erstickenden Decken der Theorie, dennoch in der Praxis immer mächtiger emporarbeitet. Vor allem ist nicht zu vergessen, daß es eine Zeit gab, wo Niemand Herr war als der Adel, und daß wenn es nach diesem ginge, die Concessionen die man seit^ dem dem Mittelstand gemachthat, noch heute nicht eristirten. Man darf nicht übersehen, daß das Schicklichkeitsgefühl selbst bei dem Beam¬ ten so weit gereift ist, daß er des altmodischen Zuschnitts sich sei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/493>, abgerufen am 28.05.2024.