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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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mehr bezahlt, wird er mit jener Achtung behandelt, die eigentlich
jedem Staatsbürger gebührt, während der Andere davon ausge¬
schlossen bleibt, weil sein Vermögen nicht so groß als sein Ver¬
dienst ist.

Beeilen wir uns zu sagen, daß die Gerichtsbeamten sich kei¬
neswegs stets an den Wortlaut der Vorschriften halten und dem
Alter und sonstiger persönlicher Würde oft freiwillig den Tribut
der Freundlichkeit zollen. Der österreichische Beamte ist vor Allem
Oesterreicher: ein gutherziger Kumpan. Wenn er auf der einen
Seite schlimmer ist als das Gesetz, so ist er andernseitS auch besser
und schneidet bisweilen den Zopf ab, wo er allzu steif ist. Aber
grade dadurch ist wieder eine größere Macht in seinen Händen.
Es genügt, daß ihm das Gesicht, der Ton, die Haltung eines
Vorgeladenen nicht gefällt, oder daß er im Privatleben einen Zahn
auf ihn hat, um ihn diese Macht sogleich fühlen zu lassen. Diese
Stuhlgeschichte ist ja nur ein Beispiel aus Hunderten. Um noch
ein anderes zu erwähnen, so brauchen wir nur auf den Titel Herr
hinzublicken. Fast aus denselben Seiten wo die wichtigen Stuhlre¬
cepte einregistrirt sind, befinden sich auch die Gesetztafeln für das
Wörtchen "Herr." Da giebt es eine ganze Wandelscala, wer in
Pässen und gerichtlichen Zuschriften Herr N.N. und wer blos N. N.
schlechtweg ist. Dieser einfache Titel, auf den eigentlich Jeder Anspruch
hat der nicht ein Leibeigener, ein Knecht ist, variirt nicht allein nach dem
Charakter der Person, sondern auch nach der Würde der Behörde. Per¬
sonen die von Seiten des Magistrats die Zuschrift Herr bean¬
spruchen können, sind noch keineswegs in dem Range, ihn von Sei¬
ten der Negierung, des Guberniums ze. zu erhalten. Allerdings
wird aus Höflichkeit mancher Herr titulirt der nicht dazu berechtigt
ist, aber dieß geschieht eben wieder in Folge eines unwillkühr-
lichen Zugeständnisses an den Zeitgeist und des innern Gefühles,
daß der Zopf doch gar zu altmodisch, barbarisch ist. Ausnahmen
dieser Art findet man daher nur meist in der Residenz, wo die Ge¬
sellschaft schon stärker durch einander gemischt ist, oder bei den ho¬
hen und höchsten Behörden, die im Bewußtsein ihrer Stellung sicher
sind sich -- durch solche Höflichkeit nichts zu vergeben; in derPro-
vinz jedoch, wo die Stände schwächer geschieden sind, bei unterge¬
ordneten Behörden, die um desto eifersüchtiger über ihre Würde wa-


mehr bezahlt, wird er mit jener Achtung behandelt, die eigentlich
jedem Staatsbürger gebührt, während der Andere davon ausge¬
schlossen bleibt, weil sein Vermögen nicht so groß als sein Ver¬
dienst ist.

Beeilen wir uns zu sagen, daß die Gerichtsbeamten sich kei¬
neswegs stets an den Wortlaut der Vorschriften halten und dem
Alter und sonstiger persönlicher Würde oft freiwillig den Tribut
der Freundlichkeit zollen. Der österreichische Beamte ist vor Allem
Oesterreicher: ein gutherziger Kumpan. Wenn er auf der einen
Seite schlimmer ist als das Gesetz, so ist er andernseitS auch besser
und schneidet bisweilen den Zopf ab, wo er allzu steif ist. Aber
grade dadurch ist wieder eine größere Macht in seinen Händen.
Es genügt, daß ihm das Gesicht, der Ton, die Haltung eines
Vorgeladenen nicht gefällt, oder daß er im Privatleben einen Zahn
auf ihn hat, um ihn diese Macht sogleich fühlen zu lassen. Diese
Stuhlgeschichte ist ja nur ein Beispiel aus Hunderten. Um noch
ein anderes zu erwähnen, so brauchen wir nur auf den Titel Herr
hinzublicken. Fast aus denselben Seiten wo die wichtigen Stuhlre¬
cepte einregistrirt sind, befinden sich auch die Gesetztafeln für das
Wörtchen „Herr." Da giebt es eine ganze Wandelscala, wer in
Pässen und gerichtlichen Zuschriften Herr N.N. und wer blos N. N.
schlechtweg ist. Dieser einfache Titel, auf den eigentlich Jeder Anspruch
hat der nicht ein Leibeigener, ein Knecht ist, variirt nicht allein nach dem
Charakter der Person, sondern auch nach der Würde der Behörde. Per¬
sonen die von Seiten des Magistrats die Zuschrift Herr bean¬
spruchen können, sind noch keineswegs in dem Range, ihn von Sei¬
ten der Negierung, des Guberniums ze. zu erhalten. Allerdings
wird aus Höflichkeit mancher Herr titulirt der nicht dazu berechtigt
ist, aber dieß geschieht eben wieder in Folge eines unwillkühr-
lichen Zugeständnisses an den Zeitgeist und des innern Gefühles,
daß der Zopf doch gar zu altmodisch, barbarisch ist. Ausnahmen
dieser Art findet man daher nur meist in der Residenz, wo die Ge¬
sellschaft schon stärker durch einander gemischt ist, oder bei den ho¬
hen und höchsten Behörden, die im Bewußtsein ihrer Stellung sicher
sind sich — durch solche Höflichkeit nichts zu vergeben; in derPro-
vinz jedoch, wo die Stände schwächer geschieden sind, bei unterge¬
ordneten Behörden, die um desto eifersüchtiger über ihre Würde wa-


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[0492] mehr bezahlt, wird er mit jener Achtung behandelt, die eigentlich jedem Staatsbürger gebührt, während der Andere davon ausge¬ schlossen bleibt, weil sein Vermögen nicht so groß als sein Ver¬ dienst ist. Beeilen wir uns zu sagen, daß die Gerichtsbeamten sich kei¬ neswegs stets an den Wortlaut der Vorschriften halten und dem Alter und sonstiger persönlicher Würde oft freiwillig den Tribut der Freundlichkeit zollen. Der österreichische Beamte ist vor Allem Oesterreicher: ein gutherziger Kumpan. Wenn er auf der einen Seite schlimmer ist als das Gesetz, so ist er andernseitS auch besser und schneidet bisweilen den Zopf ab, wo er allzu steif ist. Aber grade dadurch ist wieder eine größere Macht in seinen Händen. Es genügt, daß ihm das Gesicht, der Ton, die Haltung eines Vorgeladenen nicht gefällt, oder daß er im Privatleben einen Zahn auf ihn hat, um ihn diese Macht sogleich fühlen zu lassen. Diese Stuhlgeschichte ist ja nur ein Beispiel aus Hunderten. Um noch ein anderes zu erwähnen, so brauchen wir nur auf den Titel Herr hinzublicken. Fast aus denselben Seiten wo die wichtigen Stuhlre¬ cepte einregistrirt sind, befinden sich auch die Gesetztafeln für das Wörtchen „Herr." Da giebt es eine ganze Wandelscala, wer in Pässen und gerichtlichen Zuschriften Herr N.N. und wer blos N. N. schlechtweg ist. Dieser einfache Titel, auf den eigentlich Jeder Anspruch hat der nicht ein Leibeigener, ein Knecht ist, variirt nicht allein nach dem Charakter der Person, sondern auch nach der Würde der Behörde. Per¬ sonen die von Seiten des Magistrats die Zuschrift Herr bean¬ spruchen können, sind noch keineswegs in dem Range, ihn von Sei¬ ten der Negierung, des Guberniums ze. zu erhalten. Allerdings wird aus Höflichkeit mancher Herr titulirt der nicht dazu berechtigt ist, aber dieß geschieht eben wieder in Folge eines unwillkühr- lichen Zugeständnisses an den Zeitgeist und des innern Gefühles, daß der Zopf doch gar zu altmodisch, barbarisch ist. Ausnahmen dieser Art findet man daher nur meist in der Residenz, wo die Ge¬ sellschaft schon stärker durch einander gemischt ist, oder bei den ho¬ hen und höchsten Behörden, die im Bewußtsein ihrer Stellung sicher sind sich — durch solche Höflichkeit nichts zu vergeben; in derPro- vinz jedoch, wo die Stände schwächer geschieden sind, bei unterge¬ ordneten Behörden, die um desto eifersüchtiger über ihre Würde wa-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/492>, abgerufen am 14.05.2024.