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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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die ihm ein Gefühl schadenfroher Genugthuung geben wird. In
Galicien und in Posen stehen jetzt Hunderte von Polen unter der
Anklage des Hochverraths. Oesterreich und Preußen werden zwar
nicht auf russisch gegen sie verfahren, aber sehr hart ist jedenfalls
das Loos, welches den unglücklichen Rebellen bevorsteht, und hät¬
ten sie auch weiter Nichts zu erdulden als die endlosen deutschen
Untersuchungsprocesse. Zahllose Familien werden sich in Trauer
kleiden, und der dunkle Schatten, der auf die Zustände von Posen
und Galicien fallen muß, wird die sternenlose Nacht, die über Rus¬
sisch-Polen liegt, in den Augen der öffentlichen Meinung bedeutend
mildern. Es nutzt nichts, daß die strafenden Regierungen im for¬
mellen Rechte sind; Jeder fühlt, daß die Wurzel dieses formellen
Rechtes faul ist. Es gibt eine Schuld, die nur gesühnt werden,
nicht verjähren kann; wer ihre Frucht erbt, der erbt auch den
Wurm. Und ist endlich Rußland nicht ebenfalls im formellen Rechte?
Alle Rechtfertigung deutscher Strenge wider die Polen wird daher
unwillkürlich wie eine Entschuldigung russischer Grausamkeit klin¬
gen. Jetzt seht Ihr, wird Nußland rufen, wie schwer mau die Po¬
len zum Schweigen bringt. Habt Ihr denn Lust, ihre Wieder-
herstelluugs- und Selbstständigkeitöträume zu erfüllen? Nicht wahr,
nein? Nun so müßt Jhr's machen wie ich und gestehen, daß die
verschriene moskowitische Grausamkeit nur consequente Vorsicht
war. Der Pole wird sich ewig verschwören, bis er vertilgt oder
frei wird; die Almosen eurer Humanität sind ihm Nichts, er will
die ganze alte Schuld zurück haben. Davon freilich wird Nußland
nicht sprechen, daß es selbst die Schlange war, welche zuerst die
Frucht zu rauben anrieth, von der es nun den besten Theil ver¬
schlang. Das ist eine alte Geschichte; die historische Schule, die
Schule der Ordnung, hat sehr oft ein kurzes Gedächtniß und klam¬
mert sich an das Kul nccomxli von heut oder gestern. Auch davon
wird man nicht sprechen, daß es der Schmerz über die Ver¬
folgungen in Russisch-Polen war, was die gequälten Zuschauer
in Krakau, Galicien und Posen bis zur Naserei brachte
und so weit trieb, wieder einen verzweifelten Beweis ihrer soge¬
nannten Unverbesserlichkeit zu geben. Man wird überhaupt von
jenen Verfolgungen künftig nicht gerne reden oder nicht an ihre
Wirklichkeit glauben. Man hat ja gesehen... was es mit der


die ihm ein Gefühl schadenfroher Genugthuung geben wird. In
Galicien und in Posen stehen jetzt Hunderte von Polen unter der
Anklage des Hochverraths. Oesterreich und Preußen werden zwar
nicht auf russisch gegen sie verfahren, aber sehr hart ist jedenfalls
das Loos, welches den unglücklichen Rebellen bevorsteht, und hät¬
ten sie auch weiter Nichts zu erdulden als die endlosen deutschen
Untersuchungsprocesse. Zahllose Familien werden sich in Trauer
kleiden, und der dunkle Schatten, der auf die Zustände von Posen
und Galicien fallen muß, wird die sternenlose Nacht, die über Rus¬
sisch-Polen liegt, in den Augen der öffentlichen Meinung bedeutend
mildern. Es nutzt nichts, daß die strafenden Regierungen im for¬
mellen Rechte sind; Jeder fühlt, daß die Wurzel dieses formellen
Rechtes faul ist. Es gibt eine Schuld, die nur gesühnt werden,
nicht verjähren kann; wer ihre Frucht erbt, der erbt auch den
Wurm. Und ist endlich Rußland nicht ebenfalls im formellen Rechte?
Alle Rechtfertigung deutscher Strenge wider die Polen wird daher
unwillkürlich wie eine Entschuldigung russischer Grausamkeit klin¬
gen. Jetzt seht Ihr, wird Nußland rufen, wie schwer mau die Po¬
len zum Schweigen bringt. Habt Ihr denn Lust, ihre Wieder-
herstelluugs- und Selbstständigkeitöträume zu erfüllen? Nicht wahr,
nein? Nun so müßt Jhr's machen wie ich und gestehen, daß die
verschriene moskowitische Grausamkeit nur consequente Vorsicht
war. Der Pole wird sich ewig verschwören, bis er vertilgt oder
frei wird; die Almosen eurer Humanität sind ihm Nichts, er will
die ganze alte Schuld zurück haben. Davon freilich wird Nußland
nicht sprechen, daß es selbst die Schlange war, welche zuerst die
Frucht zu rauben anrieth, von der es nun den besten Theil ver¬
schlang. Das ist eine alte Geschichte; die historische Schule, die
Schule der Ordnung, hat sehr oft ein kurzes Gedächtniß und klam¬
mert sich an das Kul nccomxli von heut oder gestern. Auch davon
wird man nicht sprechen, daß es der Schmerz über die Ver¬
folgungen in Russisch-Polen war, was die gequälten Zuschauer
in Krakau, Galicien und Posen bis zur Naserei brachte
und so weit trieb, wieder einen verzweifelten Beweis ihrer soge¬
nannten Unverbesserlichkeit zu geben. Man wird überhaupt von
jenen Verfolgungen künftig nicht gerne reden oder nicht an ihre
Wirklichkeit glauben. Man hat ja gesehen... was es mit der


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[0580] die ihm ein Gefühl schadenfroher Genugthuung geben wird. In Galicien und in Posen stehen jetzt Hunderte von Polen unter der Anklage des Hochverraths. Oesterreich und Preußen werden zwar nicht auf russisch gegen sie verfahren, aber sehr hart ist jedenfalls das Loos, welches den unglücklichen Rebellen bevorsteht, und hät¬ ten sie auch weiter Nichts zu erdulden als die endlosen deutschen Untersuchungsprocesse. Zahllose Familien werden sich in Trauer kleiden, und der dunkle Schatten, der auf die Zustände von Posen und Galicien fallen muß, wird die sternenlose Nacht, die über Rus¬ sisch-Polen liegt, in den Augen der öffentlichen Meinung bedeutend mildern. Es nutzt nichts, daß die strafenden Regierungen im for¬ mellen Rechte sind; Jeder fühlt, daß die Wurzel dieses formellen Rechtes faul ist. Es gibt eine Schuld, die nur gesühnt werden, nicht verjähren kann; wer ihre Frucht erbt, der erbt auch den Wurm. Und ist endlich Rußland nicht ebenfalls im formellen Rechte? Alle Rechtfertigung deutscher Strenge wider die Polen wird daher unwillkürlich wie eine Entschuldigung russischer Grausamkeit klin¬ gen. Jetzt seht Ihr, wird Nußland rufen, wie schwer mau die Po¬ len zum Schweigen bringt. Habt Ihr denn Lust, ihre Wieder- herstelluugs- und Selbstständigkeitöträume zu erfüllen? Nicht wahr, nein? Nun so müßt Jhr's machen wie ich und gestehen, daß die verschriene moskowitische Grausamkeit nur consequente Vorsicht war. Der Pole wird sich ewig verschwören, bis er vertilgt oder frei wird; die Almosen eurer Humanität sind ihm Nichts, er will die ganze alte Schuld zurück haben. Davon freilich wird Nußland nicht sprechen, daß es selbst die Schlange war, welche zuerst die Frucht zu rauben anrieth, von der es nun den besten Theil ver¬ schlang. Das ist eine alte Geschichte; die historische Schule, die Schule der Ordnung, hat sehr oft ein kurzes Gedächtniß und klam¬ mert sich an das Kul nccomxli von heut oder gestern. Auch davon wird man nicht sprechen, daß es der Schmerz über die Ver¬ folgungen in Russisch-Polen war, was die gequälten Zuschauer in Krakau, Galicien und Posen bis zur Naserei brachte und so weit trieb, wieder einen verzweifelten Beweis ihrer soge¬ nannten Unverbesserlichkeit zu geben. Man wird überhaupt von jenen Verfolgungen künftig nicht gerne reden oder nicht an ihre Wirklichkeit glauben. Man hat ja gesehen... was es mit der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/580>, abgerufen am 15.05.2024.