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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Minöker Nonnengeschichte war! werden alle "guten Deutschen"
rufen.

Wie gesagt, das Blättchen hat sich gewendet, seit uns selbst
ein ernster Conflict mit Polen gedroht hat; und es ist lehrreich,
den Ton zu bemerken, in welchem plötzlich die ganze officielle, halb
ofstcielle und officieuse deutsche Presse, in Bezug auf die Angele¬
genheit der Bastlianerinnen verfallen ist. Eine einfache dreiste
Abläugnung aus Se. Petersburg genügte, um diese Presse zu
überzeugen, daß Nußland auf das entsetzlichste verleumdet wor¬
den. Der Proceß war entschieden, denn Rußland hatte gespro¬
chen. Dieselben Journale, denen keines jener crasser Banditen-
und Giftmischergeschichtchen die man den Polen andichtete, zu ab¬
surd war, die da glaubten, die Verschworenen hätten den Arsenik
pfundweise in der Tasche getragen und aus dem Plane von Posen
sich alle Häuser, wo Offiziere wohnten, behufs der Ermordung
roth angestrichen, dieselben Journale fanden es unbegreiflich und
lächerlich, daß man nur einen Augenblick an die Möglichkeit einer
barbarischen Religionsverfolgung in Rußland hatte denken können.
Dieselben Zeitungen waren mit einem Mal einverstanden, die ganze
Nonnengeschichte sei eine böswillige Mystifikation rend die Oberin
Mincislawska, die in Rom vergebens dem Kaiser Nicolaus vor¬
gestellt zu werden suchte, eine Betrügerin welche sich absichtlich sel¬
ber verstümmelt und trepanirt habe, oder gar eine mythische Per¬
son, erfunden und erlogen von Polenfreunden in Paris und den
Jesuitenfreunden in Rom.

Nun ganz aus dem Finger gesogen und aus der Luft ge¬
griffen kann diese moderne Legende nicht sein, wenn man auch die
Einzelnheiten mit grotesker Uebertreibung ausgemalt haben mag.
Mit der Oberin Mincislawska wurde in Rom Protokoll aufge¬
nommen und die Entschuldigungsnote, welche Cardinal Lambrus-
chini dem russischen Gesandten übergab, widerrief keineswegs die
veröffentlichten Resultate, sondern bedauerte nur und tadelte die
indirecte (und undiplomatische) Veröffentlichung derselben, die wi¬
der Willen und ohne Wissen (?) des Papstes geschehen sei. Das
Journal des Debats hatte vor Monaten schon das Cabinet von
Se. Petersburg zu einer Erklärung aufgefordert und Kaiser Ni-
kolas hatte, als er in Rom war, versprochen, die Sache untersu-


Grcnzbvte" 1S"S. I. 7Z

Minöker Nonnengeschichte war! werden alle „guten Deutschen"
rufen.

Wie gesagt, das Blättchen hat sich gewendet, seit uns selbst
ein ernster Conflict mit Polen gedroht hat; und es ist lehrreich,
den Ton zu bemerken, in welchem plötzlich die ganze officielle, halb
ofstcielle und officieuse deutsche Presse, in Bezug auf die Angele¬
genheit der Bastlianerinnen verfallen ist. Eine einfache dreiste
Abläugnung aus Se. Petersburg genügte, um diese Presse zu
überzeugen, daß Nußland auf das entsetzlichste verleumdet wor¬
den. Der Proceß war entschieden, denn Rußland hatte gespro¬
chen. Dieselben Journale, denen keines jener crasser Banditen-
und Giftmischergeschichtchen die man den Polen andichtete, zu ab¬
surd war, die da glaubten, die Verschworenen hätten den Arsenik
pfundweise in der Tasche getragen und aus dem Plane von Posen
sich alle Häuser, wo Offiziere wohnten, behufs der Ermordung
roth angestrichen, dieselben Journale fanden es unbegreiflich und
lächerlich, daß man nur einen Augenblick an die Möglichkeit einer
barbarischen Religionsverfolgung in Rußland hatte denken können.
Dieselben Zeitungen waren mit einem Mal einverstanden, die ganze
Nonnengeschichte sei eine böswillige Mystifikation rend die Oberin
Mincislawska, die in Rom vergebens dem Kaiser Nicolaus vor¬
gestellt zu werden suchte, eine Betrügerin welche sich absichtlich sel¬
ber verstümmelt und trepanirt habe, oder gar eine mythische Per¬
son, erfunden und erlogen von Polenfreunden in Paris und den
Jesuitenfreunden in Rom.

Nun ganz aus dem Finger gesogen und aus der Luft ge¬
griffen kann diese moderne Legende nicht sein, wenn man auch die
Einzelnheiten mit grotesker Uebertreibung ausgemalt haben mag.
Mit der Oberin Mincislawska wurde in Rom Protokoll aufge¬
nommen und die Entschuldigungsnote, welche Cardinal Lambrus-
chini dem russischen Gesandten übergab, widerrief keineswegs die
veröffentlichten Resultate, sondern bedauerte nur und tadelte die
indirecte (und undiplomatische) Veröffentlichung derselben, die wi¬
der Willen und ohne Wissen (?) des Papstes geschehen sei. Das
Journal des Debats hatte vor Monaten schon das Cabinet von
Se. Petersburg zu einer Erklärung aufgefordert und Kaiser Ni-
kolas hatte, als er in Rom war, versprochen, die Sache untersu-


Grcnzbvte» 1S«S. I. 7Z
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[0581] Minöker Nonnengeschichte war! werden alle „guten Deutschen" rufen. Wie gesagt, das Blättchen hat sich gewendet, seit uns selbst ein ernster Conflict mit Polen gedroht hat; und es ist lehrreich, den Ton zu bemerken, in welchem plötzlich die ganze officielle, halb ofstcielle und officieuse deutsche Presse, in Bezug auf die Angele¬ genheit der Bastlianerinnen verfallen ist. Eine einfache dreiste Abläugnung aus Se. Petersburg genügte, um diese Presse zu überzeugen, daß Nußland auf das entsetzlichste verleumdet wor¬ den. Der Proceß war entschieden, denn Rußland hatte gespro¬ chen. Dieselben Journale, denen keines jener crasser Banditen- und Giftmischergeschichtchen die man den Polen andichtete, zu ab¬ surd war, die da glaubten, die Verschworenen hätten den Arsenik pfundweise in der Tasche getragen und aus dem Plane von Posen sich alle Häuser, wo Offiziere wohnten, behufs der Ermordung roth angestrichen, dieselben Journale fanden es unbegreiflich und lächerlich, daß man nur einen Augenblick an die Möglichkeit einer barbarischen Religionsverfolgung in Rußland hatte denken können. Dieselben Zeitungen waren mit einem Mal einverstanden, die ganze Nonnengeschichte sei eine böswillige Mystifikation rend die Oberin Mincislawska, die in Rom vergebens dem Kaiser Nicolaus vor¬ gestellt zu werden suchte, eine Betrügerin welche sich absichtlich sel¬ ber verstümmelt und trepanirt habe, oder gar eine mythische Per¬ son, erfunden und erlogen von Polenfreunden in Paris und den Jesuitenfreunden in Rom. Nun ganz aus dem Finger gesogen und aus der Luft ge¬ griffen kann diese moderne Legende nicht sein, wenn man auch die Einzelnheiten mit grotesker Uebertreibung ausgemalt haben mag. Mit der Oberin Mincislawska wurde in Rom Protokoll aufge¬ nommen und die Entschuldigungsnote, welche Cardinal Lambrus- chini dem russischen Gesandten übergab, widerrief keineswegs die veröffentlichten Resultate, sondern bedauerte nur und tadelte die indirecte (und undiplomatische) Veröffentlichung derselben, die wi¬ der Willen und ohne Wissen (?) des Papstes geschehen sei. Das Journal des Debats hatte vor Monaten schon das Cabinet von Se. Petersburg zu einer Erklärung aufgefordert und Kaiser Ni- kolas hatte, als er in Rom war, versprochen, die Sache untersu- Grcnzbvte» 1S«S. I. 7Z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/581>, abgerufen am 31.05.2024.