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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Gebäude; aber nicht mit idealem Schwunge gen Himmel strebend,
auch ohne viel coquetten Schmuck; breite, untersetzte, quaderknochige
Riesen. Man sieht ihnen an, daß sie zu den Hauptpfeilern von
Altengland gehören. Die Bank und die neue Börse sind noch nicht
schwarz genug; das Marston House, Guildhall und der Palast der
Ostindischen Gesellschaft dagegen haben den heiligenden Weihrauch
Englands, den Kohlendampf, lange genug geathmet, um ehrwürdig
zu sein. Ernst und stark sehen diese steinernen Großväter in das
Getümmel der blühenden Enkel zu ihren Füßen herab, auf die glän¬
zend lackirten Schilde und die strahlenden Spiegelscheiben des mo¬
dernen Lurus, und sie scheinen sich zu freuen, daß Enkel und Ur¬
enkel der alten Solidität treu geblieben sind. In der That, die
Neubauten der City haben meist alten Styl und Kern; und der
Sinn für das Massive, Zeittrotzende, spricht aus allen Thüren und
Thoren, aus jeder Kleinigkeit von der Schwelle bis zum Giebel,
aus den grün angestrichenen eisernen Fensterladen und den hohen
Gittern aus armdicken gußeisernen Pfeilern, welche die Mauern
der Kaufhäuser umkränzen. Aber mehr als Alles imponirt- mir,
daß ich keine Gelegenheit hatte, bequeme Beobachtungen anzustellen.
Auf solchen Stätten kann man bei Tage nicht müßig dämmern,
nicht träumend stehen bleiben, wie etwa vor dem Glockenthurm des
Kölner Domes, oder im Schatten des Prager Rathhauses. Das
Menschengewühl schwemmt dich weg; das rasselnde, donnernde und
summende Leben ruft dir in's Qhr: Hier wird Geschichte gemacht,
rühre dich, Mensch, rühre dich! Wenn einst England eine Trüm¬
merinsel ist, dann stelle dich her -- und träume!

Uebrigens glaubte ich zu bemerken, daß die ehrbaren Bürger
der Londoner Altstadt, wenn sie zu Fuße gehen, eben so geflügelte
Schritte machen, wie meine Wenigkeit die wegen dieser "unan¬
ständigen" Gewohnheit zu Hause viel geneckt wurde. Hier freilich
ist jede Secunde Goldes werth; in unsern kleinen deutschen Städten
dagegen ist jede verschlafene Stunde ein Gewinn. Die Weltge¬
schichte läuft uns nicht davon; wozu die Eile? Aber vielleicht war
ich von Natur bestimmt, ein reicher Kaufmann von London zu wer¬
den, und bin nur aus Versehen anderswohin gerathen, wo mich
all mein Laufen zu keinem Ziele führt.

Erst auf der Londonbrücke machten wir Halt. Es ist der


Gebäude; aber nicht mit idealem Schwunge gen Himmel strebend,
auch ohne viel coquetten Schmuck; breite, untersetzte, quaderknochige
Riesen. Man sieht ihnen an, daß sie zu den Hauptpfeilern von
Altengland gehören. Die Bank und die neue Börse sind noch nicht
schwarz genug; das Marston House, Guildhall und der Palast der
Ostindischen Gesellschaft dagegen haben den heiligenden Weihrauch
Englands, den Kohlendampf, lange genug geathmet, um ehrwürdig
zu sein. Ernst und stark sehen diese steinernen Großväter in das
Getümmel der blühenden Enkel zu ihren Füßen herab, auf die glän¬
zend lackirten Schilde und die strahlenden Spiegelscheiben des mo¬
dernen Lurus, und sie scheinen sich zu freuen, daß Enkel und Ur¬
enkel der alten Solidität treu geblieben sind. In der That, die
Neubauten der City haben meist alten Styl und Kern; und der
Sinn für das Massive, Zeittrotzende, spricht aus allen Thüren und
Thoren, aus jeder Kleinigkeit von der Schwelle bis zum Giebel,
aus den grün angestrichenen eisernen Fensterladen und den hohen
Gittern aus armdicken gußeisernen Pfeilern, welche die Mauern
der Kaufhäuser umkränzen. Aber mehr als Alles imponirt- mir,
daß ich keine Gelegenheit hatte, bequeme Beobachtungen anzustellen.
Auf solchen Stätten kann man bei Tage nicht müßig dämmern,
nicht träumend stehen bleiben, wie etwa vor dem Glockenthurm des
Kölner Domes, oder im Schatten des Prager Rathhauses. Das
Menschengewühl schwemmt dich weg; das rasselnde, donnernde und
summende Leben ruft dir in's Qhr: Hier wird Geschichte gemacht,
rühre dich, Mensch, rühre dich! Wenn einst England eine Trüm¬
merinsel ist, dann stelle dich her — und träume!

Uebrigens glaubte ich zu bemerken, daß die ehrbaren Bürger
der Londoner Altstadt, wenn sie zu Fuße gehen, eben so geflügelte
Schritte machen, wie meine Wenigkeit die wegen dieser „unan¬
ständigen" Gewohnheit zu Hause viel geneckt wurde. Hier freilich
ist jede Secunde Goldes werth; in unsern kleinen deutschen Städten
dagegen ist jede verschlafene Stunde ein Gewinn. Die Weltge¬
schichte läuft uns nicht davon; wozu die Eile? Aber vielleicht war
ich von Natur bestimmt, ein reicher Kaufmann von London zu wer¬
den, und bin nur aus Versehen anderswohin gerathen, wo mich
all mein Laufen zu keinem Ziele führt.

Erst auf der Londonbrücke machten wir Halt. Es ist der


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[0586] Gebäude; aber nicht mit idealem Schwunge gen Himmel strebend, auch ohne viel coquetten Schmuck; breite, untersetzte, quaderknochige Riesen. Man sieht ihnen an, daß sie zu den Hauptpfeilern von Altengland gehören. Die Bank und die neue Börse sind noch nicht schwarz genug; das Marston House, Guildhall und der Palast der Ostindischen Gesellschaft dagegen haben den heiligenden Weihrauch Englands, den Kohlendampf, lange genug geathmet, um ehrwürdig zu sein. Ernst und stark sehen diese steinernen Großväter in das Getümmel der blühenden Enkel zu ihren Füßen herab, auf die glän¬ zend lackirten Schilde und die strahlenden Spiegelscheiben des mo¬ dernen Lurus, und sie scheinen sich zu freuen, daß Enkel und Ur¬ enkel der alten Solidität treu geblieben sind. In der That, die Neubauten der City haben meist alten Styl und Kern; und der Sinn für das Massive, Zeittrotzende, spricht aus allen Thüren und Thoren, aus jeder Kleinigkeit von der Schwelle bis zum Giebel, aus den grün angestrichenen eisernen Fensterladen und den hohen Gittern aus armdicken gußeisernen Pfeilern, welche die Mauern der Kaufhäuser umkränzen. Aber mehr als Alles imponirt- mir, daß ich keine Gelegenheit hatte, bequeme Beobachtungen anzustellen. Auf solchen Stätten kann man bei Tage nicht müßig dämmern, nicht träumend stehen bleiben, wie etwa vor dem Glockenthurm des Kölner Domes, oder im Schatten des Prager Rathhauses. Das Menschengewühl schwemmt dich weg; das rasselnde, donnernde und summende Leben ruft dir in's Qhr: Hier wird Geschichte gemacht, rühre dich, Mensch, rühre dich! Wenn einst England eine Trüm¬ merinsel ist, dann stelle dich her — und träume! Uebrigens glaubte ich zu bemerken, daß die ehrbaren Bürger der Londoner Altstadt, wenn sie zu Fuße gehen, eben so geflügelte Schritte machen, wie meine Wenigkeit die wegen dieser „unan¬ ständigen" Gewohnheit zu Hause viel geneckt wurde. Hier freilich ist jede Secunde Goldes werth; in unsern kleinen deutschen Städten dagegen ist jede verschlafene Stunde ein Gewinn. Die Weltge¬ schichte läuft uns nicht davon; wozu die Eile? Aber vielleicht war ich von Natur bestimmt, ein reicher Kaufmann von London zu wer¬ den, und bin nur aus Versehen anderswohin gerathen, wo mich all mein Laufen zu keinem Ziele führt. Erst auf der Londonbrücke machten wir Halt. Es ist der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/586>, abgerufen am 15.05.2024.