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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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verwischten böhmischen Geschichte, und die Dome, Schlösser und
Klöster, die ihn wie eine alte phantastische Befestigung umgeben --
alles das lacht mich wie alte bekannte Gesichter an. -- Das ist
die Theinkirche mit ihren altehrwürdigen Häuptern, das ist der me¬
lancholische Rathhausthurm, das ist der Wissehrad mit seinen phan¬
tastischen mährchenhaften Thürmen, nicht wie er jetzt traurig am
Rande des Felsens steht, als wollte er sich verzweifelnd in die un¬
ten wirbelnde Flut stürzen, sondern wie ich ihn oft in meinen
Träumen sah, wenn ich das alte Böhmenreich wieder in seiner al¬
ten Herrlichkeit aufbaute. Auch diese Gesichter mit den tiefliegen¬
den blitzenden Augen kenne ich, nur daß sie hier in Panzer und
Hermeline gekleidet sind, während ich sie durch die dunkeln Gassen
Prags im Frack oder im Leinwandkittcl schreiten sah. -- Unauf¬
haltsam tragen mich diese Bilder und meine Gedanken, wie das
Roß der Abassiden, fort durch die Luft, immer weiter nach Süden,
immer ferner zurück in die Vergangenheit) und weil ich hier mit
den schwedischen Studenten glückliche Tage verlebe und mir selbst
bunte wieder einmal Student zu sein, so tragen sie mich in die
glückliche längst verschwundene Studentenzeit nach Prag. -- Und
was ich in jenem goldenen Zeitalter mit geistigem Auge in Prag
erblickte, schreibe ich mit körperlicher Hand hier in Upsala als lieb¬
liche Erinnerungen auf. -- Ist es nicht sonderbar, Erinnerungen
aus Prag in Upsala zu schreiben? Vielleicht schreibe ich einmal
Erinnerungen aus Upsala in Prag. --

Es ist ein trauriges Leben auf österreichischen Universitäten,
das fühle ich hier in Upsala, wo selbst der liebenswürdige Muster¬
könig Oscar ein flotter Student war, doppelt. -- Man soll eben
nur lernen und lernen, und zwar, wie der selige Kaiser Franz es
wollte, nicht um ein Gelehrter, sondern um ein guter Unterthan
zu werden. Wenn man mit achtzehn Jahren anfängt, auf einen
guten Unterthan zu studiren, muß man es dann freilich in der Un-
terthänigkeit herrlich weit bringen. -- Da waren aber in Prag ei¬
nige flotte Jungen, die etwas von den deutschen Studenten läuten
hörten, sich wohl auch dann und wann an die alte verschollene
Herrlichkeit der Prager Studentenschaft erinnerten, sich vom Staats-
schulenthum emancipirten, und auf eigene Faust ein flottes Stu¬
dentenleben führten. -- Sie führten ein herrliches Freibeuterleben,


verwischten böhmischen Geschichte, und die Dome, Schlösser und
Klöster, die ihn wie eine alte phantastische Befestigung umgeben —
alles das lacht mich wie alte bekannte Gesichter an. — Das ist
die Theinkirche mit ihren altehrwürdigen Häuptern, das ist der me¬
lancholische Rathhausthurm, das ist der Wissehrad mit seinen phan¬
tastischen mährchenhaften Thürmen, nicht wie er jetzt traurig am
Rande des Felsens steht, als wollte er sich verzweifelnd in die un¬
ten wirbelnde Flut stürzen, sondern wie ich ihn oft in meinen
Träumen sah, wenn ich das alte Böhmenreich wieder in seiner al¬
ten Herrlichkeit aufbaute. Auch diese Gesichter mit den tiefliegen¬
den blitzenden Augen kenne ich, nur daß sie hier in Panzer und
Hermeline gekleidet sind, während ich sie durch die dunkeln Gassen
Prags im Frack oder im Leinwandkittcl schreiten sah. — Unauf¬
haltsam tragen mich diese Bilder und meine Gedanken, wie das
Roß der Abassiden, fort durch die Luft, immer weiter nach Süden,
immer ferner zurück in die Vergangenheit) und weil ich hier mit
den schwedischen Studenten glückliche Tage verlebe und mir selbst
bunte wieder einmal Student zu sein, so tragen sie mich in die
glückliche längst verschwundene Studentenzeit nach Prag. — Und
was ich in jenem goldenen Zeitalter mit geistigem Auge in Prag
erblickte, schreibe ich mit körperlicher Hand hier in Upsala als lieb¬
liche Erinnerungen auf. — Ist es nicht sonderbar, Erinnerungen
aus Prag in Upsala zu schreiben? Vielleicht schreibe ich einmal
Erinnerungen aus Upsala in Prag. —

Es ist ein trauriges Leben auf österreichischen Universitäten,
das fühle ich hier in Upsala, wo selbst der liebenswürdige Muster¬
könig Oscar ein flotter Student war, doppelt. — Man soll eben
nur lernen und lernen, und zwar, wie der selige Kaiser Franz es
wollte, nicht um ein Gelehrter, sondern um ein guter Unterthan
zu werden. Wenn man mit achtzehn Jahren anfängt, auf einen
guten Unterthan zu studiren, muß man es dann freilich in der Un-
terthänigkeit herrlich weit bringen. — Da waren aber in Prag ei¬
nige flotte Jungen, die etwas von den deutschen Studenten läuten
hörten, sich wohl auch dann und wann an die alte verschollene
Herrlichkeit der Prager Studentenschaft erinnerten, sich vom Staats-
schulenthum emancipirten, und auf eigene Faust ein flottes Stu¬
dentenleben führten. — Sie führten ein herrliches Freibeuterleben,


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[0070] verwischten böhmischen Geschichte, und die Dome, Schlösser und Klöster, die ihn wie eine alte phantastische Befestigung umgeben — alles das lacht mich wie alte bekannte Gesichter an. — Das ist die Theinkirche mit ihren altehrwürdigen Häuptern, das ist der me¬ lancholische Rathhausthurm, das ist der Wissehrad mit seinen phan¬ tastischen mährchenhaften Thürmen, nicht wie er jetzt traurig am Rande des Felsens steht, als wollte er sich verzweifelnd in die un¬ ten wirbelnde Flut stürzen, sondern wie ich ihn oft in meinen Träumen sah, wenn ich das alte Böhmenreich wieder in seiner al¬ ten Herrlichkeit aufbaute. Auch diese Gesichter mit den tiefliegen¬ den blitzenden Augen kenne ich, nur daß sie hier in Panzer und Hermeline gekleidet sind, während ich sie durch die dunkeln Gassen Prags im Frack oder im Leinwandkittcl schreiten sah. — Unauf¬ haltsam tragen mich diese Bilder und meine Gedanken, wie das Roß der Abassiden, fort durch die Luft, immer weiter nach Süden, immer ferner zurück in die Vergangenheit) und weil ich hier mit den schwedischen Studenten glückliche Tage verlebe und mir selbst bunte wieder einmal Student zu sein, so tragen sie mich in die glückliche längst verschwundene Studentenzeit nach Prag. — Und was ich in jenem goldenen Zeitalter mit geistigem Auge in Prag erblickte, schreibe ich mit körperlicher Hand hier in Upsala als lieb¬ liche Erinnerungen auf. — Ist es nicht sonderbar, Erinnerungen aus Prag in Upsala zu schreiben? Vielleicht schreibe ich einmal Erinnerungen aus Upsala in Prag. — Es ist ein trauriges Leben auf österreichischen Universitäten, das fühle ich hier in Upsala, wo selbst der liebenswürdige Muster¬ könig Oscar ein flotter Student war, doppelt. — Man soll eben nur lernen und lernen, und zwar, wie der selige Kaiser Franz es wollte, nicht um ein Gelehrter, sondern um ein guter Unterthan zu werden. Wenn man mit achtzehn Jahren anfängt, auf einen guten Unterthan zu studiren, muß man es dann freilich in der Un- terthänigkeit herrlich weit bringen. — Da waren aber in Prag ei¬ nige flotte Jungen, die etwas von den deutschen Studenten läuten hörten, sich wohl auch dann und wann an die alte verschollene Herrlichkeit der Prager Studentenschaft erinnerten, sich vom Staats- schulenthum emancipirten, und auf eigene Faust ein flottes Stu¬ dentenleben führten. — Sie führten ein herrliches Freibeuterleben,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/70>, abgerufen am 15.05.2024.