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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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ihr Haus hatte keine Thür, ihre Thür hatte kein Schloß) sie
schwärzten von Zeit zu Zeit das Collegium, zechten wacker, be¬
gnügten sich nicht mit der österreichischen Philosophie, und wußten
sich per iivlÄs manches verbotene Buch zu verschaffen. Und ich
rühme mich, zu diesem Freicorps gehört zu haben. Mancher von
den Freibeutern ist vielleicht seitdem ein Philister geworden, und ich
werde mich hüten, als guter Kamerad hier ihre Namen aufzuschrei¬
ben. Nur die will ich nennen, die sich an das Genanntwerden
ihres Namens schon gewöhnten. Beim Himmel! eS gab herrliche
Originale unter ihnen; manche sind seitdem von des Lebens Noth¬
durft, manche vom Grabe verschlungen worden. -- Armer, guter,
weiser Dr. Kneip! Auf der schönen Insel Rügen, das ewige Meer
vor mir, bekam ich den trauervollen Brief, der mir deinen frühen
Tod meldete. -- Es war eine herrliche tiefe poetische Seele, die
viel Philosophie studirte, und doch einen reichen Schatz von Ge¬
müth sich bewahrte. Sein Beruf war das Missionswesen, und er
suchte seine Mission mit allen Kräften zu erfüllen. Nicht die
Thäler der Andes, nicht das Innere Afrikas, nicht die Inseln der
Südsee, nicht Bochara. waren sein Terrain. Er ließ Jedem gerne
seinen Fetisch, und ich bin überzeugt, es hätte ihn höchlich entzückt,
Jemand vor einem blühenden Baume, vor einem glänzenden Sterne,
vor einer rosigen Wolke anbetend hinsinken zu sehen. -- O, Dr.
Wolf, die Gefahren die du bestanden, als du auf einem Esel rei¬
tend, die Bibel in der Hand, die öden Steppen der Bocharei durch¬
zogst, sind Kinderspiel gegen die Gefahren, die Dr. Kneip allnächt¬
lich überwinden mußte. Seine Heidenländer waren die nächtigen
Straßen Prags -- seine Heiden, die er bekehren wollte, die Sün¬
derinnen, die sie lockend, tänzelnd durchzogen. Es ist ein schöner,
aber schwerer Beruf! Was ist der Durst und die Hitze der Wüste
gegen den Durst und die Hitze, die hier bekämpft werden müssen;
was sind der Skalpak und die vergifteten Pfeile der Indianer ge¬
gen den moralischen Skalpak und die Pfeile der menschlichen Lei¬
denschaft? Was sind die Jrrgänge des Urwaldes gegen gewisse
andere Jrrgänge? Des Verkanntseins nicht zu gedenken, wenn
man ihn in später Nacht in verdächtiger Gesellschaft allein fand,
eifrig sprechend und predigend. Wer unterscheidet die eifernde Stimme
der Religion vom bebenden Tone der Liebe? O, schreibet auf sei¬
nen Grabstein:


ihr Haus hatte keine Thür, ihre Thür hatte kein Schloß) sie
schwärzten von Zeit zu Zeit das Collegium, zechten wacker, be¬
gnügten sich nicht mit der österreichischen Philosophie, und wußten
sich per iivlÄs manches verbotene Buch zu verschaffen. Und ich
rühme mich, zu diesem Freicorps gehört zu haben. Mancher von
den Freibeutern ist vielleicht seitdem ein Philister geworden, und ich
werde mich hüten, als guter Kamerad hier ihre Namen aufzuschrei¬
ben. Nur die will ich nennen, die sich an das Genanntwerden
ihres Namens schon gewöhnten. Beim Himmel! eS gab herrliche
Originale unter ihnen; manche sind seitdem von des Lebens Noth¬
durft, manche vom Grabe verschlungen worden. — Armer, guter,
weiser Dr. Kneip! Auf der schönen Insel Rügen, das ewige Meer
vor mir, bekam ich den trauervollen Brief, der mir deinen frühen
Tod meldete. — Es war eine herrliche tiefe poetische Seele, die
viel Philosophie studirte, und doch einen reichen Schatz von Ge¬
müth sich bewahrte. Sein Beruf war das Missionswesen, und er
suchte seine Mission mit allen Kräften zu erfüllen. Nicht die
Thäler der Andes, nicht das Innere Afrikas, nicht die Inseln der
Südsee, nicht Bochara. waren sein Terrain. Er ließ Jedem gerne
seinen Fetisch, und ich bin überzeugt, es hätte ihn höchlich entzückt,
Jemand vor einem blühenden Baume, vor einem glänzenden Sterne,
vor einer rosigen Wolke anbetend hinsinken zu sehen. — O, Dr.
Wolf, die Gefahren die du bestanden, als du auf einem Esel rei¬
tend, die Bibel in der Hand, die öden Steppen der Bocharei durch¬
zogst, sind Kinderspiel gegen die Gefahren, die Dr. Kneip allnächt¬
lich überwinden mußte. Seine Heidenländer waren die nächtigen
Straßen Prags — seine Heiden, die er bekehren wollte, die Sün¬
derinnen, die sie lockend, tänzelnd durchzogen. Es ist ein schöner,
aber schwerer Beruf! Was ist der Durst und die Hitze der Wüste
gegen den Durst und die Hitze, die hier bekämpft werden müssen;
was sind der Skalpak und die vergifteten Pfeile der Indianer ge¬
gen den moralischen Skalpak und die Pfeile der menschlichen Lei¬
denschaft? Was sind die Jrrgänge des Urwaldes gegen gewisse
andere Jrrgänge? Des Verkanntseins nicht zu gedenken, wenn
man ihn in später Nacht in verdächtiger Gesellschaft allein fand,
eifrig sprechend und predigend. Wer unterscheidet die eifernde Stimme
der Religion vom bebenden Tone der Liebe? O, schreibet auf sei¬
nen Grabstein:


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[0071] ihr Haus hatte keine Thür, ihre Thür hatte kein Schloß) sie schwärzten von Zeit zu Zeit das Collegium, zechten wacker, be¬ gnügten sich nicht mit der österreichischen Philosophie, und wußten sich per iivlÄs manches verbotene Buch zu verschaffen. Und ich rühme mich, zu diesem Freicorps gehört zu haben. Mancher von den Freibeutern ist vielleicht seitdem ein Philister geworden, und ich werde mich hüten, als guter Kamerad hier ihre Namen aufzuschrei¬ ben. Nur die will ich nennen, die sich an das Genanntwerden ihres Namens schon gewöhnten. Beim Himmel! eS gab herrliche Originale unter ihnen; manche sind seitdem von des Lebens Noth¬ durft, manche vom Grabe verschlungen worden. — Armer, guter, weiser Dr. Kneip! Auf der schönen Insel Rügen, das ewige Meer vor mir, bekam ich den trauervollen Brief, der mir deinen frühen Tod meldete. — Es war eine herrliche tiefe poetische Seele, die viel Philosophie studirte, und doch einen reichen Schatz von Ge¬ müth sich bewahrte. Sein Beruf war das Missionswesen, und er suchte seine Mission mit allen Kräften zu erfüllen. Nicht die Thäler der Andes, nicht das Innere Afrikas, nicht die Inseln der Südsee, nicht Bochara. waren sein Terrain. Er ließ Jedem gerne seinen Fetisch, und ich bin überzeugt, es hätte ihn höchlich entzückt, Jemand vor einem blühenden Baume, vor einem glänzenden Sterne, vor einer rosigen Wolke anbetend hinsinken zu sehen. — O, Dr. Wolf, die Gefahren die du bestanden, als du auf einem Esel rei¬ tend, die Bibel in der Hand, die öden Steppen der Bocharei durch¬ zogst, sind Kinderspiel gegen die Gefahren, die Dr. Kneip allnächt¬ lich überwinden mußte. Seine Heidenländer waren die nächtigen Straßen Prags — seine Heiden, die er bekehren wollte, die Sün¬ derinnen, die sie lockend, tänzelnd durchzogen. Es ist ein schöner, aber schwerer Beruf! Was ist der Durst und die Hitze der Wüste gegen den Durst und die Hitze, die hier bekämpft werden müssen; was sind der Skalpak und die vergifteten Pfeile der Indianer ge¬ gen den moralischen Skalpak und die Pfeile der menschlichen Lei¬ denschaft? Was sind die Jrrgänge des Urwaldes gegen gewisse andere Jrrgänge? Des Verkanntseins nicht zu gedenken, wenn man ihn in später Nacht in verdächtiger Gesellschaft allein fand, eifrig sprechend und predigend. Wer unterscheidet die eifernde Stimme der Religion vom bebenden Tone der Liebe? O, schreibet auf sei¬ nen Grabstein:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/71>, abgerufen am 31.05.2024.