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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Noth, daß man jeden Sonnabend, bevor man zu ihr kam, die
ganze deutsche Literatur noch einmal memorirte, denn man
mußte beständig auf Fragen gefaßt sein. -- Wissen Sie was
Herder sagt? -- Wissen Sie was Lessing sagt? -- Wissen Sie
was Jean Paul sagt? -- Wissen Sie was Göthe sagt? --
Wissen Sie was Börne sagt? -- u. s. w. u.s. w. Das waren
die ewigen Fragen, die Frau von H. bei jeder Gelegenheit auf
der Zunge hatte, denn sie war die wandelnde deutsche Prosa,
herausgegeben von Gustav Schad, Stuttgart, und Tübingen bei
Cotta. -- Auf alle diese Fragen sollte man antworten, und das
Für etwas Butterbrod, und wenn es hoch kam für ein Gläschen
Wein. -- Da honorirt ja Brockhaus seine Mitarbeiter am Con-
vcrsationölencon besser! -- Ich pflegte mir zu helfen und ant¬
wortete mit sinnlosen Phrasen, die nach etwas klangen. -- Da¬
mit war Frau von H. zufrieden, und pflegte zu sagen: Ja, das
sagt er auch, der große Mann, ich erinnere mich, aber er sagt
ferner -- und nun folgte ein Citat das so lang war wie die
Prager Brücke. -- Epigonen, sagt Immermann und Frau v.
H. sind immer unglücklich! -- Das ist nicht wahr, denn unsere
Prager Epigonen im Salon der Frau v. H. sind glücklich, sehr
glücklich, denn Frau v. H. fragt nicht mehr. -- Ein Prager Dich¬
ter hat sie geheilt von der furchtbaren, verheerenden Krankheit des
Fragens und Citirens. -- Wissen Sie was Jean Paul sagt?
fragte ihn einmal Frau v. H., als er eben neben ihr stand.
Madame, sagte er, Jean Paul hat an die dreißig Bände geschrie¬
ben. -- Wissen Sie was Herder über das Vielschreiben sagt? --
Madame! Herder hat an vierzig Bände geschrieben! -- Wissen
Sie was Göthe über Herder sagt? -- Madame! Göthe hat an
fünfzig Bände geschrieben. -- Seit jenem Abende soll Frau v. H.
nur noch selten fragen, und zwar nur, wenn sie sich ein besonde¬
res Vergnügen machen will. -- Die glücklichen Epigonen. --
Doch Frau v. H. hat ein großes Verdienst um Literatur und
Poesie. -- Sie hat eine schone Tochter, und darum sei ihr Alles,
Alles vergeben; --


Noth, daß man jeden Sonnabend, bevor man zu ihr kam, die
ganze deutsche Literatur noch einmal memorirte, denn man
mußte beständig auf Fragen gefaßt sein. — Wissen Sie was
Herder sagt? — Wissen Sie was Lessing sagt? — Wissen Sie
was Jean Paul sagt? — Wissen Sie was Göthe sagt? —
Wissen Sie was Börne sagt? — u. s. w. u.s. w. Das waren
die ewigen Fragen, die Frau von H. bei jeder Gelegenheit auf
der Zunge hatte, denn sie war die wandelnde deutsche Prosa,
herausgegeben von Gustav Schad, Stuttgart, und Tübingen bei
Cotta. — Auf alle diese Fragen sollte man antworten, und das
Für etwas Butterbrod, und wenn es hoch kam für ein Gläschen
Wein. — Da honorirt ja Brockhaus seine Mitarbeiter am Con-
vcrsationölencon besser! — Ich pflegte mir zu helfen und ant¬
wortete mit sinnlosen Phrasen, die nach etwas klangen. — Da¬
mit war Frau von H. zufrieden, und pflegte zu sagen: Ja, das
sagt er auch, der große Mann, ich erinnere mich, aber er sagt
ferner — und nun folgte ein Citat das so lang war wie die
Prager Brücke. — Epigonen, sagt Immermann und Frau v.
H. sind immer unglücklich! — Das ist nicht wahr, denn unsere
Prager Epigonen im Salon der Frau v. H. sind glücklich, sehr
glücklich, denn Frau v. H. fragt nicht mehr. — Ein Prager Dich¬
ter hat sie geheilt von der furchtbaren, verheerenden Krankheit des
Fragens und Citirens. — Wissen Sie was Jean Paul sagt?
fragte ihn einmal Frau v. H., als er eben neben ihr stand.
Madame, sagte er, Jean Paul hat an die dreißig Bände geschrie¬
ben. — Wissen Sie was Herder über das Vielschreiben sagt? —
Madame! Herder hat an vierzig Bände geschrieben! — Wissen
Sie was Göthe über Herder sagt? — Madame! Göthe hat an
fünfzig Bände geschrieben. — Seit jenem Abende soll Frau v. H.
nur noch selten fragen, und zwar nur, wenn sie sich ein besonde¬
res Vergnügen machen will. — Die glücklichen Epigonen. —
Doch Frau v. H. hat ein großes Verdienst um Literatur und
Poesie. — Sie hat eine schone Tochter, und darum sei ihr Alles,
Alles vergeben; —


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[0082] Noth, daß man jeden Sonnabend, bevor man zu ihr kam, die ganze deutsche Literatur noch einmal memorirte, denn man mußte beständig auf Fragen gefaßt sein. — Wissen Sie was Herder sagt? — Wissen Sie was Lessing sagt? — Wissen Sie was Jean Paul sagt? — Wissen Sie was Göthe sagt? — Wissen Sie was Börne sagt? — u. s. w. u.s. w. Das waren die ewigen Fragen, die Frau von H. bei jeder Gelegenheit auf der Zunge hatte, denn sie war die wandelnde deutsche Prosa, herausgegeben von Gustav Schad, Stuttgart, und Tübingen bei Cotta. — Auf alle diese Fragen sollte man antworten, und das Für etwas Butterbrod, und wenn es hoch kam für ein Gläschen Wein. — Da honorirt ja Brockhaus seine Mitarbeiter am Con- vcrsationölencon besser! — Ich pflegte mir zu helfen und ant¬ wortete mit sinnlosen Phrasen, die nach etwas klangen. — Da¬ mit war Frau von H. zufrieden, und pflegte zu sagen: Ja, das sagt er auch, der große Mann, ich erinnere mich, aber er sagt ferner — und nun folgte ein Citat das so lang war wie die Prager Brücke. — Epigonen, sagt Immermann und Frau v. H. sind immer unglücklich! — Das ist nicht wahr, denn unsere Prager Epigonen im Salon der Frau v. H. sind glücklich, sehr glücklich, denn Frau v. H. fragt nicht mehr. — Ein Prager Dich¬ ter hat sie geheilt von der furchtbaren, verheerenden Krankheit des Fragens und Citirens. — Wissen Sie was Jean Paul sagt? fragte ihn einmal Frau v. H., als er eben neben ihr stand. Madame, sagte er, Jean Paul hat an die dreißig Bände geschrie¬ ben. — Wissen Sie was Herder über das Vielschreiben sagt? — Madame! Herder hat an vierzig Bände geschrieben! — Wissen Sie was Göthe über Herder sagt? — Madame! Göthe hat an fünfzig Bände geschrieben. — Seit jenem Abende soll Frau v. H. nur noch selten fragen, und zwar nur, wenn sie sich ein besonde¬ res Vergnügen machen will. — Die glücklichen Epigonen. — Doch Frau v. H. hat ein großes Verdienst um Literatur und Poesie. — Sie hat eine schone Tochter, und darum sei ihr Alles, Alles vergeben; —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/82>, abgerufen am 31.05.2024.