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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Wie oft wanderten wir an dem kleinen Hause mit dem klei¬
nen Balkon vorüber, und waren froh, sie (die Tochter nämlich)
nur gesehen zu haben. -- Wissen Sie was Heine sagt? -- Ja
Madame, ich weiß es: Es war in schönen Sommernächten, sie
trug ihr Haar in Flechten. --

Allein, Prag hat noch andere poetische Erscheinungen als
Frau v. H., und andere Poeten. -- Da ist zum Beispiel Lothar.--
Er ist zwar Polizeicommissär, das thut aber nichts. Wie seine
Seele zwischen Poesie und Polizei schwebt und sein Inneres spal¬
tet, glaubt er desto poetischer zu sein, und bildet sich etwas darauf
ein, eine Art George Sand'schen Trenmors zu spielen. -- Sein
Bruder Jarno besingt zur Abwechslung den Frühling und heißt
par Ercellmce der Frühlingsdichter. -- Um seinen originellen Stoff
in originelle Formen zu kleiden, bedient er sich der Heineschen
Manier. In der Poesie ist er ein melancholischer Maikäfer, im
Leben Kreiöcommissär zu Saatz. Doch Gott behüte mich vor
Ironie. -- Wissen Sie was Lear sagt? -- Ja Madame! er
sagt: wahnsinnig möchte ich nicht gerne sein; ich sage: ironisch
möchte ich nicht gerne sein. -- Mögen manche Prager Poeten
manches Lächerliche und Unpoetische an sich haben, Prag an sich
ist durch und durch ernst erhaben, schön, poetisch, herrlich! -- In
Gedanken stehe ich wieder wie einst in alten Zeiten auf der Höhe des
Hradschin und blicke hinab aufdie unendlichen Giebel und alten schwar¬
zen Dächer. -- Es ist Mitternacht, der Mond steht in voller Klar¬
heit über der Stadt und spiegelt sich in den murmelnden stillen
Fluten der Moldau. -- Alles stille und feierlich wie in einer
Königögruft. -- Die hundert Thürme ragen in die Nacht empor
wie die Masten steingewordener Schiffe. Doch nein! -- das ganze
Prag ist jenes fabelhafte Schiff, das mit vollen Segeln stürmend
dahin fuhr, aber plötzlich zwischen Felsenklüften in den Lüften
schwebend stecken blieb.-- Die Sturmwelle, die eS gehoben, wich
zurück, und keine zweite kommt, eS wieder empor zu heben und a"6
seinem Banne zu erlösen. -- Es ist sehr stille auf dem Schiffe;
die Mannschaft ist gestorben, der Capitain, der Steuermann
und die Matrosen, und ein kalter Wind durchpfeift geisterhaft die
Masten, Thaue, Segel und Raaen. -- Nur manchmal in ge¬
wissen Nächten soll die Mannschaft wieder von der Geisterstunde


Jo'

Wie oft wanderten wir an dem kleinen Hause mit dem klei¬
nen Balkon vorüber, und waren froh, sie (die Tochter nämlich)
nur gesehen zu haben. — Wissen Sie was Heine sagt? — Ja
Madame, ich weiß es: Es war in schönen Sommernächten, sie
trug ihr Haar in Flechten. —

Allein, Prag hat noch andere poetische Erscheinungen als
Frau v. H., und andere Poeten. — Da ist zum Beispiel Lothar.—
Er ist zwar Polizeicommissär, das thut aber nichts. Wie seine
Seele zwischen Poesie und Polizei schwebt und sein Inneres spal¬
tet, glaubt er desto poetischer zu sein, und bildet sich etwas darauf
ein, eine Art George Sand'schen Trenmors zu spielen. — Sein
Bruder Jarno besingt zur Abwechslung den Frühling und heißt
par Ercellmce der Frühlingsdichter. — Um seinen originellen Stoff
in originelle Formen zu kleiden, bedient er sich der Heineschen
Manier. In der Poesie ist er ein melancholischer Maikäfer, im
Leben Kreiöcommissär zu Saatz. Doch Gott behüte mich vor
Ironie. — Wissen Sie was Lear sagt? — Ja Madame! er
sagt: wahnsinnig möchte ich nicht gerne sein; ich sage: ironisch
möchte ich nicht gerne sein. — Mögen manche Prager Poeten
manches Lächerliche und Unpoetische an sich haben, Prag an sich
ist durch und durch ernst erhaben, schön, poetisch, herrlich! — In
Gedanken stehe ich wieder wie einst in alten Zeiten auf der Höhe des
Hradschin und blicke hinab aufdie unendlichen Giebel und alten schwar¬
zen Dächer. — Es ist Mitternacht, der Mond steht in voller Klar¬
heit über der Stadt und spiegelt sich in den murmelnden stillen
Fluten der Moldau. — Alles stille und feierlich wie in einer
Königögruft. — Die hundert Thürme ragen in die Nacht empor
wie die Masten steingewordener Schiffe. Doch nein! — das ganze
Prag ist jenes fabelhafte Schiff, das mit vollen Segeln stürmend
dahin fuhr, aber plötzlich zwischen Felsenklüften in den Lüften
schwebend stecken blieb.— Die Sturmwelle, die eS gehoben, wich
zurück, und keine zweite kommt, eS wieder empor zu heben und a»6
seinem Banne zu erlösen. — Es ist sehr stille auf dem Schiffe;
die Mannschaft ist gestorben, der Capitain, der Steuermann
und die Matrosen, und ein kalter Wind durchpfeift geisterhaft die
Masten, Thaue, Segel und Raaen. — Nur manchmal in ge¬
wissen Nächten soll die Mannschaft wieder von der Geisterstunde


Jo'
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[0083] Wie oft wanderten wir an dem kleinen Hause mit dem klei¬ nen Balkon vorüber, und waren froh, sie (die Tochter nämlich) nur gesehen zu haben. — Wissen Sie was Heine sagt? — Ja Madame, ich weiß es: Es war in schönen Sommernächten, sie trug ihr Haar in Flechten. — Allein, Prag hat noch andere poetische Erscheinungen als Frau v. H., und andere Poeten. — Da ist zum Beispiel Lothar.— Er ist zwar Polizeicommissär, das thut aber nichts. Wie seine Seele zwischen Poesie und Polizei schwebt und sein Inneres spal¬ tet, glaubt er desto poetischer zu sein, und bildet sich etwas darauf ein, eine Art George Sand'schen Trenmors zu spielen. — Sein Bruder Jarno besingt zur Abwechslung den Frühling und heißt par Ercellmce der Frühlingsdichter. — Um seinen originellen Stoff in originelle Formen zu kleiden, bedient er sich der Heineschen Manier. In der Poesie ist er ein melancholischer Maikäfer, im Leben Kreiöcommissär zu Saatz. Doch Gott behüte mich vor Ironie. — Wissen Sie was Lear sagt? — Ja Madame! er sagt: wahnsinnig möchte ich nicht gerne sein; ich sage: ironisch möchte ich nicht gerne sein. — Mögen manche Prager Poeten manches Lächerliche und Unpoetische an sich haben, Prag an sich ist durch und durch ernst erhaben, schön, poetisch, herrlich! — In Gedanken stehe ich wieder wie einst in alten Zeiten auf der Höhe des Hradschin und blicke hinab aufdie unendlichen Giebel und alten schwar¬ zen Dächer. — Es ist Mitternacht, der Mond steht in voller Klar¬ heit über der Stadt und spiegelt sich in den murmelnden stillen Fluten der Moldau. — Alles stille und feierlich wie in einer Königögruft. — Die hundert Thürme ragen in die Nacht empor wie die Masten steingewordener Schiffe. Doch nein! — das ganze Prag ist jenes fabelhafte Schiff, das mit vollen Segeln stürmend dahin fuhr, aber plötzlich zwischen Felsenklüften in den Lüften schwebend stecken blieb.— Die Sturmwelle, die eS gehoben, wich zurück, und keine zweite kommt, eS wieder empor zu heben und a»6 seinem Banne zu erlösen. — Es ist sehr stille auf dem Schiffe; die Mannschaft ist gestorben, der Capitain, der Steuermann und die Matrosen, und ein kalter Wind durchpfeift geisterhaft die Masten, Thaue, Segel und Raaen. — Nur manchmal in ge¬ wissen Nächten soll die Mannschaft wieder von der Geisterstunde Jo'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/83>, abgerufen am 29.05.2024.