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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Der russische Gesandte am hiesigen Hofe, Graf Medem, hat
demselben die Anzeige gemacht, daß sein Monarch entschlossen sei, sei¬
nen Aufenthalt im Palais der Gesandtschaft zu nehmen, wodurch
denn die mit einem Kostenaufwands von 30,000 Gulden C. M. be¬
sorgte neue Decorirung der Appartements in dem unter dem Namen
der Reichskanzlei bekannten Flügel der Hofburg überflüssig geworden.
Die in der Umgebung Wiens garnisonirenden Regimenter sind bereits
unter strömendem Regen heute in die Stadt eingerückt, wo sie bei
den Bürgern einquartirt werden und vor Sr. Majestät paradiren sol¬
len. Die Berichte der Augsburger Allgem. Zeitung, denen man die
russische Feder auf den ersten Blick ansieht, haben bei den denkenden
Lesern einen überaus niederschlagenden Eindruck hervorgebracht, denn
wenn man erwägt, welches Schicksal seit 10 Jahren dem Katholicis¬
mus in Rußland beschicken ist, und wie viele Thränen durch die ge¬
gen die treuen Bekenner der römischen Kirche verhängten Verfolgun¬
gen im Laufe dieser Zeit erpreßt worden sind, so muß man die Art
und Weise, wie sich die italienischen Höfe gegen das Oberhaupt die¬
ses Reiches benahmen, sehr seltsam finden und selbst davon schmerz¬
lich berührt werden. Ja, sogar der römische Stuhl, dessen System
sonst die Großartigkeit der eisernsten Konsequenz nicht abgesprochen
werden kann, hat die Würde seines Berufes dem Czar gegenüber
nicht genug behauptet, zumal wenn man sein Verfahren gegen ein¬
zelne Männer in Anschlag bringt, die wie Hermes oder Ronge, blos
ihrer eigenen Ueberzeugung folgten und Niemand ein Haar krümmten.
Scheint es doch, als ob die frömmsten Höfe, die sonst jederzeit die
Kirche und den Glauben im Munde führen und damit die Strenge
der von ihnen gegen mißfällige Personen ergriffenen Maßregeln be¬
mänteln wollen, der Politik gerne die Oberhand einräumen, sobald
das dynastische Interesse dabei im Spiele ist. Der Fanatismus dient
blos als Waffe gegen die Kleinen, unter sich macht man den Aufge¬
klärten und Voltairianer. Der Besuch des russischen Monarchen hat
dem Ansehen der römischen Kirche wesentlich geschadet, selbst wenn es
zu einem Concordat zwischen Nußland und dem Papste kommen sollte,
das bei der ausgreifenden Staatskunst der russischen Regierung ohne¬
dem gar wenig bedeuten will.

Die PostVerwaltung hat eine erweiterte Organisation erhalten,
wie es die steigende Ausdehnung des Briefverkehrs erfordert, der an¬
derseits wieder durch den Aufschwung der Industrie bedingt wird.
Außer der Vermehrung des Personals und der Regulirung des Po¬
stenlaufs soll auch die Posttaxe für den einfachen Brief auf 8 und
4 Kreuzer C. M. herabgesetzt werden, je nach der Entfernung des
Bestimmungsortes; doch scheint man mit dieser letzteren Neuerung
noch zu zaudern, denn das Neujahr steht vor der Thür, und noch
immer ist die erwartete Kundmachung nicht erschienen. Die Staats-


Der russische Gesandte am hiesigen Hofe, Graf Medem, hat
demselben die Anzeige gemacht, daß sein Monarch entschlossen sei, sei¬
nen Aufenthalt im Palais der Gesandtschaft zu nehmen, wodurch
denn die mit einem Kostenaufwands von 30,000 Gulden C. M. be¬
sorgte neue Decorirung der Appartements in dem unter dem Namen
der Reichskanzlei bekannten Flügel der Hofburg überflüssig geworden.
Die in der Umgebung Wiens garnisonirenden Regimenter sind bereits
unter strömendem Regen heute in die Stadt eingerückt, wo sie bei
den Bürgern einquartirt werden und vor Sr. Majestät paradiren sol¬
len. Die Berichte der Augsburger Allgem. Zeitung, denen man die
russische Feder auf den ersten Blick ansieht, haben bei den denkenden
Lesern einen überaus niederschlagenden Eindruck hervorgebracht, denn
wenn man erwägt, welches Schicksal seit 10 Jahren dem Katholicis¬
mus in Rußland beschicken ist, und wie viele Thränen durch die ge¬
gen die treuen Bekenner der römischen Kirche verhängten Verfolgun¬
gen im Laufe dieser Zeit erpreßt worden sind, so muß man die Art
und Weise, wie sich die italienischen Höfe gegen das Oberhaupt die¬
ses Reiches benahmen, sehr seltsam finden und selbst davon schmerz¬
lich berührt werden. Ja, sogar der römische Stuhl, dessen System
sonst die Großartigkeit der eisernsten Konsequenz nicht abgesprochen
werden kann, hat die Würde seines Berufes dem Czar gegenüber
nicht genug behauptet, zumal wenn man sein Verfahren gegen ein¬
zelne Männer in Anschlag bringt, die wie Hermes oder Ronge, blos
ihrer eigenen Ueberzeugung folgten und Niemand ein Haar krümmten.
Scheint es doch, als ob die frömmsten Höfe, die sonst jederzeit die
Kirche und den Glauben im Munde führen und damit die Strenge
der von ihnen gegen mißfällige Personen ergriffenen Maßregeln be¬
mänteln wollen, der Politik gerne die Oberhand einräumen, sobald
das dynastische Interesse dabei im Spiele ist. Der Fanatismus dient
blos als Waffe gegen die Kleinen, unter sich macht man den Aufge¬
klärten und Voltairianer. Der Besuch des russischen Monarchen hat
dem Ansehen der römischen Kirche wesentlich geschadet, selbst wenn es
zu einem Concordat zwischen Nußland und dem Papste kommen sollte,
das bei der ausgreifenden Staatskunst der russischen Regierung ohne¬
dem gar wenig bedeuten will.

Die PostVerwaltung hat eine erweiterte Organisation erhalten,
wie es die steigende Ausdehnung des Briefverkehrs erfordert, der an¬
derseits wieder durch den Aufschwung der Industrie bedingt wird.
Außer der Vermehrung des Personals und der Regulirung des Po¬
stenlaufs soll auch die Posttaxe für den einfachen Brief auf 8 und
4 Kreuzer C. M. herabgesetzt werden, je nach der Entfernung des
Bestimmungsortes; doch scheint man mit dieser letzteren Neuerung
noch zu zaudern, denn das Neujahr steht vor der Thür, und noch
immer ist die erwartete Kundmachung nicht erschienen. Die Staats-


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[0086] Der russische Gesandte am hiesigen Hofe, Graf Medem, hat demselben die Anzeige gemacht, daß sein Monarch entschlossen sei, sei¬ nen Aufenthalt im Palais der Gesandtschaft zu nehmen, wodurch denn die mit einem Kostenaufwands von 30,000 Gulden C. M. be¬ sorgte neue Decorirung der Appartements in dem unter dem Namen der Reichskanzlei bekannten Flügel der Hofburg überflüssig geworden. Die in der Umgebung Wiens garnisonirenden Regimenter sind bereits unter strömendem Regen heute in die Stadt eingerückt, wo sie bei den Bürgern einquartirt werden und vor Sr. Majestät paradiren sol¬ len. Die Berichte der Augsburger Allgem. Zeitung, denen man die russische Feder auf den ersten Blick ansieht, haben bei den denkenden Lesern einen überaus niederschlagenden Eindruck hervorgebracht, denn wenn man erwägt, welches Schicksal seit 10 Jahren dem Katholicis¬ mus in Rußland beschicken ist, und wie viele Thränen durch die ge¬ gen die treuen Bekenner der römischen Kirche verhängten Verfolgun¬ gen im Laufe dieser Zeit erpreßt worden sind, so muß man die Art und Weise, wie sich die italienischen Höfe gegen das Oberhaupt die¬ ses Reiches benahmen, sehr seltsam finden und selbst davon schmerz¬ lich berührt werden. Ja, sogar der römische Stuhl, dessen System sonst die Großartigkeit der eisernsten Konsequenz nicht abgesprochen werden kann, hat die Würde seines Berufes dem Czar gegenüber nicht genug behauptet, zumal wenn man sein Verfahren gegen ein¬ zelne Männer in Anschlag bringt, die wie Hermes oder Ronge, blos ihrer eigenen Ueberzeugung folgten und Niemand ein Haar krümmten. Scheint es doch, als ob die frömmsten Höfe, die sonst jederzeit die Kirche und den Glauben im Munde führen und damit die Strenge der von ihnen gegen mißfällige Personen ergriffenen Maßregeln be¬ mänteln wollen, der Politik gerne die Oberhand einräumen, sobald das dynastische Interesse dabei im Spiele ist. Der Fanatismus dient blos als Waffe gegen die Kleinen, unter sich macht man den Aufge¬ klärten und Voltairianer. Der Besuch des russischen Monarchen hat dem Ansehen der römischen Kirche wesentlich geschadet, selbst wenn es zu einem Concordat zwischen Nußland und dem Papste kommen sollte, das bei der ausgreifenden Staatskunst der russischen Regierung ohne¬ dem gar wenig bedeuten will. Die PostVerwaltung hat eine erweiterte Organisation erhalten, wie es die steigende Ausdehnung des Briefverkehrs erfordert, der an¬ derseits wieder durch den Aufschwung der Industrie bedingt wird. Außer der Vermehrung des Personals und der Regulirung des Po¬ stenlaufs soll auch die Posttaxe für den einfachen Brief auf 8 und 4 Kreuzer C. M. herabgesetzt werden, je nach der Entfernung des Bestimmungsortes; doch scheint man mit dieser letzteren Neuerung noch zu zaudern, denn das Neujahr steht vor der Thür, und noch immer ist die erwartete Kundmachung nicht erschienen. Die Staats-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/86>, abgerufen am 14.05.2024.