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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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scheint eine Klausel des zwischen der österreichischen und sächsischen
Regierung abgeschlossenen SlaatSvertrages die Priorität der schlesischen
Bahn grundsätzlich auszuschließen, da Sachsen nicht minder bei der
Sache betheiligt erscheint und sein Interesse im Gegenfalle offenbar
dem Preußens aufgeopfert würde. Aus diesem Grunde glaube ich
auch, daß alle Bemühungen der preußischen Bahndirection um Er¬
mächtigung der Nocdbahn zum Fortbau und Anschluß vergebens sein
werden und die beiden Eisenstraßen nach Sachsen und Preußen gleich¬
zeitig dem öffentlichen Verkehre überantwortet werden dürften.

Die Gedichte von Hermann Rottet "Frühlingsboten aus Oester¬
reich" werden hier viel gelesen und verschiedenartig beurtheilt. Streng
verboten ist die neueste ins Gebiet der religiösen Fragen schweifende
Schrift Schuselka's: "Die neue Kirche und die alte Politik , so wie
auch Rank's Roman "Waldmeister" das Admittitur nicht erhielt.
Ueber dieses Buch gehen die wunderlichsten Widersprüche des Urtheils
durch das Publicum, und während die Einen sich in himmelnden
Lobesergießungen über das seltene mit Jean Paul'sehen Geiste ge¬
tränkte Talent des Verfassers erschöpfen, schütteln Andere den Kopf,
und Mancher bricht gar völlig den Stab über die darin aufgespeicherte
Forcirtheit und Unnatur. Kuranda's Werk über Belgien hat eine
nachsichtige Behandlung von Seiten der Censurbehörde gefunden und
wurde demnach erlaubt; etwas über dieses Buch in diesem Journale
zu sagen, wäre unziemlich, doch kann ich nicht unbemerkt lassen, daß
durch ähnliche Leistungen das Vorurtheil gegen im Auslande lebende
österreichische Schriftsteller bald verschwinden müßte, und in dem vor¬
liegenden Falle auch die Behörde ihre Anerkennung auszusprechen sich
veranlaßt fand- Das hiesige Journal "Die Gegenwart" brachte un¬
längst eine kritische Besprechung des sehr günstig beurtheilten Buches,
sonst hat noch kein einziges hiesiges Blatt sich die Mühe genommen,
denn da sind die Concerte, und ellenlange Referate müssen geschrieben
werden über die großen Berühmtheiten, die unser Ohr martern und
unsere Seele langweilen.

Die Theater haben nichts Neues gebracht; im Hosburgtheater
erwartet man Oehlenschlägers "Dina", und im Operntheater gibt die
französische Schauspiclergesellschaft unter Herrn Sainvals Leitung sehr
spärlich besuchte Vorstellungen; außer einem Elsasser und Dem. Rous-
sel lauter blanke Mittelmäßigkeiten, die Einem die ganze französische
Nation verleiden könnten. Zudem hat das Publicum die bessern der
zur Darstellung gebrachten Piecen schon im Burgtheater von ganz
anderen Kräften spielen sehen, und ist doppelt ungehalten über die
schlechten Schauspieler und das alte Repertoir. Im Theater an der
Wien, welches unter den gegenwärtigen Verhältnissen noch die meiste
Thätigkeit entfaltet, gab man den Freischütz mit verschwenderisch auf¬
geputzter Wolfsschlucht, und der Andrang war so stark, daß Ohnmach-


scheint eine Klausel des zwischen der österreichischen und sächsischen
Regierung abgeschlossenen SlaatSvertrages die Priorität der schlesischen
Bahn grundsätzlich auszuschließen, da Sachsen nicht minder bei der
Sache betheiligt erscheint und sein Interesse im Gegenfalle offenbar
dem Preußens aufgeopfert würde. Aus diesem Grunde glaube ich
auch, daß alle Bemühungen der preußischen Bahndirection um Er¬
mächtigung der Nocdbahn zum Fortbau und Anschluß vergebens sein
werden und die beiden Eisenstraßen nach Sachsen und Preußen gleich¬
zeitig dem öffentlichen Verkehre überantwortet werden dürften.

Die Gedichte von Hermann Rottet „Frühlingsboten aus Oester¬
reich" werden hier viel gelesen und verschiedenartig beurtheilt. Streng
verboten ist die neueste ins Gebiet der religiösen Fragen schweifende
Schrift Schuselka's: „Die neue Kirche und die alte Politik , so wie
auch Rank's Roman „Waldmeister" das Admittitur nicht erhielt.
Ueber dieses Buch gehen die wunderlichsten Widersprüche des Urtheils
durch das Publicum, und während die Einen sich in himmelnden
Lobesergießungen über das seltene mit Jean Paul'sehen Geiste ge¬
tränkte Talent des Verfassers erschöpfen, schütteln Andere den Kopf,
und Mancher bricht gar völlig den Stab über die darin aufgespeicherte
Forcirtheit und Unnatur. Kuranda's Werk über Belgien hat eine
nachsichtige Behandlung von Seiten der Censurbehörde gefunden und
wurde demnach erlaubt; etwas über dieses Buch in diesem Journale
zu sagen, wäre unziemlich, doch kann ich nicht unbemerkt lassen, daß
durch ähnliche Leistungen das Vorurtheil gegen im Auslande lebende
österreichische Schriftsteller bald verschwinden müßte, und in dem vor¬
liegenden Falle auch die Behörde ihre Anerkennung auszusprechen sich
veranlaßt fand- Das hiesige Journal „Die Gegenwart" brachte un¬
längst eine kritische Besprechung des sehr günstig beurtheilten Buches,
sonst hat noch kein einziges hiesiges Blatt sich die Mühe genommen,
denn da sind die Concerte, und ellenlange Referate müssen geschrieben
werden über die großen Berühmtheiten, die unser Ohr martern und
unsere Seele langweilen.

Die Theater haben nichts Neues gebracht; im Hosburgtheater
erwartet man Oehlenschlägers „Dina", und im Operntheater gibt die
französische Schauspiclergesellschaft unter Herrn Sainvals Leitung sehr
spärlich besuchte Vorstellungen; außer einem Elsasser und Dem. Rous-
sel lauter blanke Mittelmäßigkeiten, die Einem die ganze französische
Nation verleiden könnten. Zudem hat das Publicum die bessern der
zur Darstellung gebrachten Piecen schon im Burgtheater von ganz
anderen Kräften spielen sehen, und ist doppelt ungehalten über die
schlechten Schauspieler und das alte Repertoir. Im Theater an der
Wien, welches unter den gegenwärtigen Verhältnissen noch die meiste
Thätigkeit entfaltet, gab man den Freischütz mit verschwenderisch auf¬
geputzter Wolfsschlucht, und der Andrang war so stark, daß Ohnmach-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/88>, abgerufen am 29.05.2024.