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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Künstlerin erbittet sich die Erlaubniß, zum Besten der Armen einmal
gratis in der großen Oper singen zu dürfen. Die Intendanz macht
saure Miene, als ihr der Befehl zukommt, eine Opernvorstellung zum
Besten der Kleinkinderbewahranstalten in die Scene gehen zu lassen. Die
Puritaner werden dazu gewählt. Die Mara tritt auf, und das volle
Haus stürmt seinen Beifall aus, wie in den heißesten Abenden der Lind.
Aber Herr v. Küstncr nimmt davon keine Notiz, und die bewunderns¬
würdige Künstlerin bleibt dem Publicum nach wie vor, vorenthalten.
Auf öffentliche und persönliche Anfragen antwortet der Intendant, daß
die Mara nur ein kleines Repertoire habe und namentlich nur in ita¬
lienischen und einigen Mozart'sehen Opern sänge z es sei aber Princip
der Berliner Oper, die italienische Oper nicht zu begünstigen. Schön
gesagt! Wenn es gälte die italienische Oper auf Kosten der deutschen
hervorzuheben wie in Wien. Ein anderes aber ist es, dem Publicum
den Genuß einer seltenen Kunsterscheinung in einem bereits bestehenden
Repertoire zu bieten. Der verstorbene Herzog von Modena hat Louis
Philipp nicht anerkennen wollen. Sollte die Berliner Intendanz vielleicht
mit gleicher Lächerlichkeit die Existenz der italienischen Oper ignon'ren
wollen? Ist doch die hiesige Oper in andern Punkten nichts weniger
als von so nationaler Prüderie. Die also en score! der Halevy'schen
"Musketiere der Königin" hat dies erst in den letzten Tagen bewiesen; auch
hat das Publicum trotz aller tugendhaften Scrupel gegen einige Frivoli.
täten des Textes sie mit entschiedenem Succeß aufgenommen. Die Ha-
levy'sche Oper ist übrigens bei aller innern Flachheit sehr piquant, und
wenn die Rolle des Baßbusso in bessere Hünoe kommt, als sie hier ist,
muß der Erfolg noch größer sein. Uebrigens erzählte man sich am Abend
der ersten Vorstellung ein beißendes Bonmot von Heinrich Heine, der
ein Feind Halevy's ist. Heine saß nämlich in Paris mit einem deut¬
schen Freunde in einem Eafv, als ein junger Mann von etwas auffal¬
lendem, aber nicht sehr angenehmem Aeußern eintrat. Wer ist das? fragte
der Deutsche. ,,Das ist der jüngere Halcvv" -- sagte Heine -- "sieht
er nicht aus, als ob ihn sein älterer Bruder componirt hätte?"

Gestern trat endlich die langersehnte junge Schauspielerin Fraulein
Unzelmann vom Leipziger Stadthcater in Romeo und Julia auf. Das
Haus war trotz der ungeheuren Hitze in allen Räumen voll, da die
Spannung für die junge Künstlerin, die ein Berliner Stadtkind ist und
in so kurzer Zeit sich einen so bedeutenden Ruf erworben hat, sehr groß
war. Der Erfolg übertraf die Erwartung aufs glänzendste. Später
mehr über dieses ausgezeichnete und vollständig gereifte Talent.

Heute hat sich wieder ein junger Bursche auf die Eisenbahn ge¬
stürzt, um sich zermalmen zu lassen und war so glücklich, seinen Zweck
zu erreichen. Er hielt sich bis zur Ankunft des Zuges in einem Gra¬
ben versteckt und stürzte sich dann plötzlich vor. Dies ist in wenigen.
Wochen der eilfte Fall dieser Art.


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Künstlerin erbittet sich die Erlaubniß, zum Besten der Armen einmal
gratis in der großen Oper singen zu dürfen. Die Intendanz macht
saure Miene, als ihr der Befehl zukommt, eine Opernvorstellung zum
Besten der Kleinkinderbewahranstalten in die Scene gehen zu lassen. Die
Puritaner werden dazu gewählt. Die Mara tritt auf, und das volle
Haus stürmt seinen Beifall aus, wie in den heißesten Abenden der Lind.
Aber Herr v. Küstncr nimmt davon keine Notiz, und die bewunderns¬
würdige Künstlerin bleibt dem Publicum nach wie vor, vorenthalten.
Auf öffentliche und persönliche Anfragen antwortet der Intendant, daß
die Mara nur ein kleines Repertoire habe und namentlich nur in ita¬
lienischen und einigen Mozart'sehen Opern sänge z es sei aber Princip
der Berliner Oper, die italienische Oper nicht zu begünstigen. Schön
gesagt! Wenn es gälte die italienische Oper auf Kosten der deutschen
hervorzuheben wie in Wien. Ein anderes aber ist es, dem Publicum
den Genuß einer seltenen Kunsterscheinung in einem bereits bestehenden
Repertoire zu bieten. Der verstorbene Herzog von Modena hat Louis
Philipp nicht anerkennen wollen. Sollte die Berliner Intendanz vielleicht
mit gleicher Lächerlichkeit die Existenz der italienischen Oper ignon'ren
wollen? Ist doch die hiesige Oper in andern Punkten nichts weniger
als von so nationaler Prüderie. Die also en score! der Halevy'schen
„Musketiere der Königin" hat dies erst in den letzten Tagen bewiesen; auch
hat das Publicum trotz aller tugendhaften Scrupel gegen einige Frivoli.
täten des Textes sie mit entschiedenem Succeß aufgenommen. Die Ha-
levy'sche Oper ist übrigens bei aller innern Flachheit sehr piquant, und
wenn die Rolle des Baßbusso in bessere Hünoe kommt, als sie hier ist,
muß der Erfolg noch größer sein. Uebrigens erzählte man sich am Abend
der ersten Vorstellung ein beißendes Bonmot von Heinrich Heine, der
ein Feind Halevy's ist. Heine saß nämlich in Paris mit einem deut¬
schen Freunde in einem Eafv, als ein junger Mann von etwas auffal¬
lendem, aber nicht sehr angenehmem Aeußern eintrat. Wer ist das? fragte
der Deutsche. ,,Das ist der jüngere Halcvv" — sagte Heine — „sieht
er nicht aus, als ob ihn sein älterer Bruder componirt hätte?"

Gestern trat endlich die langersehnte junge Schauspielerin Fraulein
Unzelmann vom Leipziger Stadthcater in Romeo und Julia auf. Das
Haus war trotz der ungeheuren Hitze in allen Räumen voll, da die
Spannung für die junge Künstlerin, die ein Berliner Stadtkind ist und
in so kurzer Zeit sich einen so bedeutenden Ruf erworben hat, sehr groß
war. Der Erfolg übertraf die Erwartung aufs glänzendste. Später
mehr über dieses ausgezeichnete und vollständig gereifte Talent.

Heute hat sich wieder ein junger Bursche auf die Eisenbahn ge¬
stürzt, um sich zermalmen zu lassen und war so glücklich, seinen Zweck
zu erreichen. Er hielt sich bis zur Ankunft des Zuges in einem Gra¬
ben versteckt und stürzte sich dann plötzlich vor. Dies ist in wenigen.
Wochen der eilfte Fall dieser Art.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/237>, abgerufen am 16.06.2024.