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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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IN.
Notizen.

Pfeifer und Trommler. - Mißbrauch auf Eisenbahnen.

-- Dieser Tage wurde vor dem Pariser Eassationshofe die große
Frage verhandelt, ob man im Theater die Schauspieler auspfeisen darf.
Das Reglement für die Pariser Theater verbietet es ausdrücklich, aber
in den Provinzialstädten, wo das Verbot nicht in die Theatergesetze
einregistrirt ist -- wird Jemand straffällig, wenn er die Schauspieler
.auspfeift? Das Cassationsgericht antwortete: Nicht straffällig!

-- Zu den vielen Tyranneien, welche der geduldige Deutsche von
seinen Beamten sich gefallen lassen muß, tritt nun noch die Tyrannei
der Eisenbahnbeamten hinzu. Namentlich wird viel Mißbrauch durch
die Einrichtung getrieben, daß auf einer langen Strecke,, wo viele Zwi¬
schenstationen sind, jede größere Station ihren eigenen Waggon hat, in
welchem die Personen zusammensetzen müssen, die dort aussteigen wollen.
Fährt man z. B. von Leipzig nach Berlin, so werden diejenigen, welche
in Esther aussteigen, zusammengepfropft; die für Dessau wieder in
einen andern Waggon gesteckt, die für Wittenberg, Jüterbog u. s. w.
wieder in andere. Vergebens bittet man den Conducteur: dort in dem
Waggon sitzt mein Freund, mit dem ich noch die zwei Stunden, die
wir auf einem und demselben Bahnzüge uns befinden, zusammen ver¬
leben möchte, trennen Sie uns nicht, lassen Sie uns in einem und dem¬
selben Wagen fitzen. -- "Geht nicht -- jener Herr fährt bis Berlin
und Sie fahren nur bis Dessau mit." -- Und so muß man dem
Freunde, von dem man sich vielleicht auf lange Jahre trennt, Adieu
sagen, weil die Klosterregel die Zellen zu trennen beliebt. Zu wessen Be¬
quemlichkeit? Zur Bequemlichkeit des Herrn Conducteurs, dem die Ue¬
bersicht dadurch allerdings erleichtert wird. Die Bequemlichkeit des Pu-
blicums ist in Deutschland immer die Nebensache. Am schlimmsten
sind oft Damen daran, die vielleicht noch während der Hälfte des Wegs
Gesellschaft und freundliche Begleitung haben könnten, wenn man sie
mit befreundeten Mitreisenden in einen Wagen setzen ließe; durch die
unnöthige Trennung und Wagenspaltung kommt manches schüchterne
weibliche Geschöpf unter stockfremde Männer zu sitzen, wenn nicht gar
in ein toto töte mit einem etwas Angetrunkenen, Viehhändler, Wein¬
reisenden :c. Auf der Eisenbahn zwischen Paris, Versailles und Se.
Germain ist die Administration so galant, einen eigenen Wagen zu be¬
stellen für Damen, die ohne Herrenbegleitung reisen und -- sich fürchten.




Benag von Fr. Lndw. Herbig. -- Redacteur I. Kurandtl.
Druck von Friedrich Rudra.
IN.
Notizen.

Pfeifer und Trommler. - Mißbrauch auf Eisenbahnen.

— Dieser Tage wurde vor dem Pariser Eassationshofe die große
Frage verhandelt, ob man im Theater die Schauspieler auspfeisen darf.
Das Reglement für die Pariser Theater verbietet es ausdrücklich, aber
in den Provinzialstädten, wo das Verbot nicht in die Theatergesetze
einregistrirt ist — wird Jemand straffällig, wenn er die Schauspieler
.auspfeift? Das Cassationsgericht antwortete: Nicht straffällig!

— Zu den vielen Tyranneien, welche der geduldige Deutsche von
seinen Beamten sich gefallen lassen muß, tritt nun noch die Tyrannei
der Eisenbahnbeamten hinzu. Namentlich wird viel Mißbrauch durch
die Einrichtung getrieben, daß auf einer langen Strecke,, wo viele Zwi¬
schenstationen sind, jede größere Station ihren eigenen Waggon hat, in
welchem die Personen zusammensetzen müssen, die dort aussteigen wollen.
Fährt man z. B. von Leipzig nach Berlin, so werden diejenigen, welche
in Esther aussteigen, zusammengepfropft; die für Dessau wieder in
einen andern Waggon gesteckt, die für Wittenberg, Jüterbog u. s. w.
wieder in andere. Vergebens bittet man den Conducteur: dort in dem
Waggon sitzt mein Freund, mit dem ich noch die zwei Stunden, die
wir auf einem und demselben Bahnzüge uns befinden, zusammen ver¬
leben möchte, trennen Sie uns nicht, lassen Sie uns in einem und dem¬
selben Wagen fitzen. — „Geht nicht — jener Herr fährt bis Berlin
und Sie fahren nur bis Dessau mit." — Und so muß man dem
Freunde, von dem man sich vielleicht auf lange Jahre trennt, Adieu
sagen, weil die Klosterregel die Zellen zu trennen beliebt. Zu wessen Be¬
quemlichkeit? Zur Bequemlichkeit des Herrn Conducteurs, dem die Ue¬
bersicht dadurch allerdings erleichtert wird. Die Bequemlichkeit des Pu-
blicums ist in Deutschland immer die Nebensache. Am schlimmsten
sind oft Damen daran, die vielleicht noch während der Hälfte des Wegs
Gesellschaft und freundliche Begleitung haben könnten, wenn man sie
mit befreundeten Mitreisenden in einen Wagen setzen ließe; durch die
unnöthige Trennung und Wagenspaltung kommt manches schüchterne
weibliche Geschöpf unter stockfremde Männer zu sitzen, wenn nicht gar
in ein toto töte mit einem etwas Angetrunkenen, Viehhändler, Wein¬
reisenden :c. Auf der Eisenbahn zwischen Paris, Versailles und Se.
Germain ist die Administration so galant, einen eigenen Wagen zu be¬
stellen für Damen, die ohne Herrenbegleitung reisen und — sich fürchten.




Benag von Fr. Lndw. Herbig. — Redacteur I. Kurandtl.
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[0238] IN. Notizen. Pfeifer und Trommler. - Mißbrauch auf Eisenbahnen. — Dieser Tage wurde vor dem Pariser Eassationshofe die große Frage verhandelt, ob man im Theater die Schauspieler auspfeisen darf. Das Reglement für die Pariser Theater verbietet es ausdrücklich, aber in den Provinzialstädten, wo das Verbot nicht in die Theatergesetze einregistrirt ist — wird Jemand straffällig, wenn er die Schauspieler .auspfeift? Das Cassationsgericht antwortete: Nicht straffällig! — Zu den vielen Tyranneien, welche der geduldige Deutsche von seinen Beamten sich gefallen lassen muß, tritt nun noch die Tyrannei der Eisenbahnbeamten hinzu. Namentlich wird viel Mißbrauch durch die Einrichtung getrieben, daß auf einer langen Strecke,, wo viele Zwi¬ schenstationen sind, jede größere Station ihren eigenen Waggon hat, in welchem die Personen zusammensetzen müssen, die dort aussteigen wollen. Fährt man z. B. von Leipzig nach Berlin, so werden diejenigen, welche in Esther aussteigen, zusammengepfropft; die für Dessau wieder in einen andern Waggon gesteckt, die für Wittenberg, Jüterbog u. s. w. wieder in andere. Vergebens bittet man den Conducteur: dort in dem Waggon sitzt mein Freund, mit dem ich noch die zwei Stunden, die wir auf einem und demselben Bahnzüge uns befinden, zusammen ver¬ leben möchte, trennen Sie uns nicht, lassen Sie uns in einem und dem¬ selben Wagen fitzen. — „Geht nicht — jener Herr fährt bis Berlin und Sie fahren nur bis Dessau mit." — Und so muß man dem Freunde, von dem man sich vielleicht auf lange Jahre trennt, Adieu sagen, weil die Klosterregel die Zellen zu trennen beliebt. Zu wessen Be¬ quemlichkeit? Zur Bequemlichkeit des Herrn Conducteurs, dem die Ue¬ bersicht dadurch allerdings erleichtert wird. Die Bequemlichkeit des Pu- blicums ist in Deutschland immer die Nebensache. Am schlimmsten sind oft Damen daran, die vielleicht noch während der Hälfte des Wegs Gesellschaft und freundliche Begleitung haben könnten, wenn man sie mit befreundeten Mitreisenden in einen Wagen setzen ließe; durch die unnöthige Trennung und Wagenspaltung kommt manches schüchterne weibliche Geschöpf unter stockfremde Männer zu sitzen, wenn nicht gar in ein toto töte mit einem etwas Angetrunkenen, Viehhändler, Wein¬ reisenden :c. Auf der Eisenbahn zwischen Paris, Versailles und Se. Germain ist die Administration so galant, einen eigenen Wagen zu be¬ stellen für Damen, die ohne Herrenbegleitung reisen und — sich fürchten. Benag von Fr. Lndw. Herbig. — Redacteur I. Kurandtl. Druck von Friedrich Rudra.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/238>, abgerufen am 23.05.2024.