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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Die Fahrt fand am 14. Juni unter großem Andrange von Bürgern
und Schutzverwandten Breslau's statt. Man zählte an 7W Theilneh-
mer. Das 5 Meile von Fürstenstcin liegende Freiburg hatte sich festlich
geschmückt für den Besuch seiner großstädtischen Schwester. Eine hohe
Ehrenpforte bietet einen stummen Gruß; der Bürgermeister verdolmetscht
ihn in schlichten, herzlichen Worten. Die Freiburger schließen sich dem
Zuge an, und nun gehts auf einen kühlen, einsamen Pfad durch den
Salzgrund nach der alten Fürstenstciner Burg, woselbst Schweidnitzer,
Waldenburger, Reichenbacher bereits eingetroffen sind. Bis hierher ist
das Fest ohne Fehl und Makel vor den Augen der Polizei; aber die
Kinderjahre sind vorbei, und im Herzen regen sich Wünsche nach verbo¬
tenen Früchten. Die Gesellschaft hat sich aus den Turnierplatz begeben
und in das weiche Gras gelagert. Von der Tribüne schmettern die Töne
zweier Musikchöre herab und fordern zum Gesänge auf. Ein ernstes Lied
braust voll und mächtig dahin. Es ist zu Ende. "Reden!" ruft's von
allen Seiten,--j,es muß Jemand eine Rede halten." Ein wackelnder Stuhl
wird zur Rostra creirt und Herr Siebig, der Stellvertreter des Stadt¬
verordneten-Vorstehers, hinausgehoben. Herr Siebig ist ein Mann des
Volkes, ehrlich, bieder, schlicht; seine Rede weich, fast biblisch salbungs¬
voll. Er bewillkomme die Gäste im Namen der Breslauer. Das ver¬
steht sich so sehr von selbst, als ein Gruß an denjenigen, der meine gast¬
freundliche Schwelle überschreitet. Es wird wiederum gesungen, und Wie¬
derum heißt's: "Rede halten". Da sich hin und wieder die Meinung
äußert, daß das Reden mit einer Steuer von 5t) Thlrn. belegt sei, so
tritt Herr Semrau auf und sucht diese irrige Meinung zu widerlegen.
Volksversammlungen seien verboten und das Reden in denselben.
Daß die Gesellschaft auf der Eisenbahn hierher habe fahren können, ohne
daß ihr die polizeiliche Prohibition vor die Füße gelegt worden, beweise,
daß sie zu Recht bestehe. Nirgends wäre aber das Reden in einer poli¬
zeilich erlaubten Gesellschaft verboten. Die Rede bestand aus kurzen,
meist epigrammatisch zugespitzten Sätzen, improvisict, wie die seines Vor¬
gängers. Nach ihm tritt Herr Schriek auf, der zwei, wie er voraus^-
schickt, von der Eensur gestrichene Anekdoten vorliest. Herr Oberlehrer
Müller zieht ein Manuscript aus der Tasche, welches er der Gesellschaft
zum Besten gibt. In populärer Weise wird die Pflicht des Bürgers,
sich an den allgemeinen Angelegenheiten zu betheiligen, abgehandelt. Und
wenn sich sämmtliche Paragraphen der Censur-Instruction untereinander
verschwören gegen diese mit dem Panzer der Loyalität umgürteten Sätze',
sie fänden nichts Verfängliches.

Jetzt bricht die Earavane auf. Die Schweizerei, ein Thalgrund
neben dem neuen Schlosse, nimmt die Gesellschaft auf. Hier wird das
Mittagsmahl improvisirt. Jubel über die Maßen. Wem die liebende
Gattin daheim den Schnappsack reichlich besorgt, hält offene Tafel; wer
in seiner zum Wcinbchalter improvisirten Botanisirtrommel einen laben¬
den Trun? verborgen hat, ladet den Freund und hin und wieder eine
Localcmtorität zum Mitgenusse ein.. Neue Freundschaften werden. geMos,


Die Fahrt fand am 14. Juni unter großem Andrange von Bürgern
und Schutzverwandten Breslau's statt. Man zählte an 7W Theilneh-
mer. Das 5 Meile von Fürstenstcin liegende Freiburg hatte sich festlich
geschmückt für den Besuch seiner großstädtischen Schwester. Eine hohe
Ehrenpforte bietet einen stummen Gruß; der Bürgermeister verdolmetscht
ihn in schlichten, herzlichen Worten. Die Freiburger schließen sich dem
Zuge an, und nun gehts auf einen kühlen, einsamen Pfad durch den
Salzgrund nach der alten Fürstenstciner Burg, woselbst Schweidnitzer,
Waldenburger, Reichenbacher bereits eingetroffen sind. Bis hierher ist
das Fest ohne Fehl und Makel vor den Augen der Polizei; aber die
Kinderjahre sind vorbei, und im Herzen regen sich Wünsche nach verbo¬
tenen Früchten. Die Gesellschaft hat sich aus den Turnierplatz begeben
und in das weiche Gras gelagert. Von der Tribüne schmettern die Töne
zweier Musikchöre herab und fordern zum Gesänge auf. Ein ernstes Lied
braust voll und mächtig dahin. Es ist zu Ende. „Reden!" ruft's von
allen Seiten,--j,es muß Jemand eine Rede halten." Ein wackelnder Stuhl
wird zur Rostra creirt und Herr Siebig, der Stellvertreter des Stadt¬
verordneten-Vorstehers, hinausgehoben. Herr Siebig ist ein Mann des
Volkes, ehrlich, bieder, schlicht; seine Rede weich, fast biblisch salbungs¬
voll. Er bewillkomme die Gäste im Namen der Breslauer. Das ver¬
steht sich so sehr von selbst, als ein Gruß an denjenigen, der meine gast¬
freundliche Schwelle überschreitet. Es wird wiederum gesungen, und Wie¬
derum heißt's: „Rede halten". Da sich hin und wieder die Meinung
äußert, daß das Reden mit einer Steuer von 5t) Thlrn. belegt sei, so
tritt Herr Semrau auf und sucht diese irrige Meinung zu widerlegen.
Volksversammlungen seien verboten und das Reden in denselben.
Daß die Gesellschaft auf der Eisenbahn hierher habe fahren können, ohne
daß ihr die polizeiliche Prohibition vor die Füße gelegt worden, beweise,
daß sie zu Recht bestehe. Nirgends wäre aber das Reden in einer poli¬
zeilich erlaubten Gesellschaft verboten. Die Rede bestand aus kurzen,
meist epigrammatisch zugespitzten Sätzen, improvisict, wie die seines Vor¬
gängers. Nach ihm tritt Herr Schriek auf, der zwei, wie er voraus^-
schickt, von der Eensur gestrichene Anekdoten vorliest. Herr Oberlehrer
Müller zieht ein Manuscript aus der Tasche, welches er der Gesellschaft
zum Besten gibt. In populärer Weise wird die Pflicht des Bürgers,
sich an den allgemeinen Angelegenheiten zu betheiligen, abgehandelt. Und
wenn sich sämmtliche Paragraphen der Censur-Instruction untereinander
verschwören gegen diese mit dem Panzer der Loyalität umgürteten Sätze',
sie fänden nichts Verfängliches.

Jetzt bricht die Earavane auf. Die Schweizerei, ein Thalgrund
neben dem neuen Schlosse, nimmt die Gesellschaft auf. Hier wird das
Mittagsmahl improvisirt. Jubel über die Maßen. Wem die liebende
Gattin daheim den Schnappsack reichlich besorgt, hält offene Tafel; wer
in seiner zum Wcinbchalter improvisirten Botanisirtrommel einen laben¬
den Trun? verborgen hat, ladet den Freund und hin und wieder eine
Localcmtorität zum Mitgenusse ein.. Neue Freundschaften werden. geMos,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/312>, abgerufen am 22.05.2024.