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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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im Wänden hinab Schwindelerregend, und bei Sturm und vom Re¬
gen durchnäßten Erdreiche kann das Herumstreifen in deren Nähe nicht
anders als halsbrechend sein, zumal dieses Sandgestein keinen festen
Anhalt gewährt, sondern zerbröckelt.

Unsre Unterkunft fanden wir in der Hauptstraße des Oberlandes,
welche nach der Landseite zu eine hübsche Reihe freundlich aussehender Häu¬
ser mit Altären und Gärten, nach dem Meere aber über die natürliche
Felsbrüstung hin die majestätische Aussicht des den Felsen umbran¬
denden Oceans in ungemessene Fernen hat. Wir empfehlen das Gast¬
haus zum belveövrv, dem Herrn Erich Franz gehörig, allen Rei¬
senden als ein solches, wo man nicht nur in jedem Sinne vortrefflich
aufgehoben ist, sondern auch, trotzdem, daß Helgoland im Rufe hoher
Preise steht, eine sehr billige Zeche findet. Die Bewirthung ist in die¬
sem Hause ausgezeichnet, und wir fanden uns mit unserm durch die
Seeluft und das Bergansteigen stets frisch genährten Appetite hier
ungleich zufriedener gestellt, als an der Tafel des Conversationshau-
ses. Vor dem Hause ist ein schmuckloser kleiner Altan, von dem man
mit größtem Behagen den herrlichen Ausblick genießen kann. An
den bei Tische in ganzer Figur mit Profusion aufgetragenen Hum¬
mern thaten wir uns eine sogenannte Güte, wie man es auf Reisen
hält, ohne Sorge für den andern Morgen. Jncognito bildete dieser
solide Hummerappetit eine ebenso solide Grundlage für gewisse, nicht
zum Appetit beitragende Affectionen der menschlichen Schwäche aus
dem neuzudurchfurchenden Meere. Die Hummern aber, mit denen es
grade umgekehrt gegen das ergeht, wie man es mit den Land- oder
Bachkrebsen hält, daß nämlich letztere nur in denjenigen Monaten, die
kein R. in ihrer Bezeichnung haben (Mai, Juni, Juli, August) als
genießbar gelten, wogegen eben jene grade in diesen Monaten nicht
gefangen werden sollen, zeigten trotz der Julitage (es waren die poli¬
tischen und chronologischen zugleich) in ihrem Geschmacke keinen Un¬
terschied gegen die sonstige Annehmlichkeit dieses schweren, aber, wie
für den Muthigen alles Schwere, verführerischen Gerichtes und schie¬
nen, wie geistliche Personen es zu halten pflegen (die Krebse sind be¬
kanntlich eine dem Dienste der Kirche vorzugsweise geweihte Zunft
als Prädilection der Fastenspeisen und haben ihren Heiligen), ganz
wohl bei Leibe zu sein. Uns wenigstens mundeten sie ungemein und
dies schien die Stimmung der ganzen Tischgesellschaft zu sein, unter
der sich heute vom Leder und von der Feder, vom Nährstand, wie vom
Verzehrstand befanden. Auch bezieht sich das Verbot des Hummer-


im Wänden hinab Schwindelerregend, und bei Sturm und vom Re¬
gen durchnäßten Erdreiche kann das Herumstreifen in deren Nähe nicht
anders als halsbrechend sein, zumal dieses Sandgestein keinen festen
Anhalt gewährt, sondern zerbröckelt.

Unsre Unterkunft fanden wir in der Hauptstraße des Oberlandes,
welche nach der Landseite zu eine hübsche Reihe freundlich aussehender Häu¬
ser mit Altären und Gärten, nach dem Meere aber über die natürliche
Felsbrüstung hin die majestätische Aussicht des den Felsen umbran¬
denden Oceans in ungemessene Fernen hat. Wir empfehlen das Gast¬
haus zum belveövrv, dem Herrn Erich Franz gehörig, allen Rei¬
senden als ein solches, wo man nicht nur in jedem Sinne vortrefflich
aufgehoben ist, sondern auch, trotzdem, daß Helgoland im Rufe hoher
Preise steht, eine sehr billige Zeche findet. Die Bewirthung ist in die¬
sem Hause ausgezeichnet, und wir fanden uns mit unserm durch die
Seeluft und das Bergansteigen stets frisch genährten Appetite hier
ungleich zufriedener gestellt, als an der Tafel des Conversationshau-
ses. Vor dem Hause ist ein schmuckloser kleiner Altan, von dem man
mit größtem Behagen den herrlichen Ausblick genießen kann. An
den bei Tische in ganzer Figur mit Profusion aufgetragenen Hum¬
mern thaten wir uns eine sogenannte Güte, wie man es auf Reisen
hält, ohne Sorge für den andern Morgen. Jncognito bildete dieser
solide Hummerappetit eine ebenso solide Grundlage für gewisse, nicht
zum Appetit beitragende Affectionen der menschlichen Schwäche aus
dem neuzudurchfurchenden Meere. Die Hummern aber, mit denen es
grade umgekehrt gegen das ergeht, wie man es mit den Land- oder
Bachkrebsen hält, daß nämlich letztere nur in denjenigen Monaten, die
kein R. in ihrer Bezeichnung haben (Mai, Juni, Juli, August) als
genießbar gelten, wogegen eben jene grade in diesen Monaten nicht
gefangen werden sollen, zeigten trotz der Julitage (es waren die poli¬
tischen und chronologischen zugleich) in ihrem Geschmacke keinen Un¬
terschied gegen die sonstige Annehmlichkeit dieses schweren, aber, wie
für den Muthigen alles Schwere, verführerischen Gerichtes und schie¬
nen, wie geistliche Personen es zu halten pflegen (die Krebse sind be¬
kanntlich eine dem Dienste der Kirche vorzugsweise geweihte Zunft
als Prädilection der Fastenspeisen und haben ihren Heiligen), ganz
wohl bei Leibe zu sein. Uns wenigstens mundeten sie ungemein und
dies schien die Stimmung der ganzen Tischgesellschaft zu sein, unter
der sich heute vom Leder und von der Feder, vom Nährstand, wie vom
Verzehrstand befanden. Auch bezieht sich das Verbot des Hummer-


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[0065] im Wänden hinab Schwindelerregend, und bei Sturm und vom Re¬ gen durchnäßten Erdreiche kann das Herumstreifen in deren Nähe nicht anders als halsbrechend sein, zumal dieses Sandgestein keinen festen Anhalt gewährt, sondern zerbröckelt. Unsre Unterkunft fanden wir in der Hauptstraße des Oberlandes, welche nach der Landseite zu eine hübsche Reihe freundlich aussehender Häu¬ ser mit Altären und Gärten, nach dem Meere aber über die natürliche Felsbrüstung hin die majestätische Aussicht des den Felsen umbran¬ denden Oceans in ungemessene Fernen hat. Wir empfehlen das Gast¬ haus zum belveövrv, dem Herrn Erich Franz gehörig, allen Rei¬ senden als ein solches, wo man nicht nur in jedem Sinne vortrefflich aufgehoben ist, sondern auch, trotzdem, daß Helgoland im Rufe hoher Preise steht, eine sehr billige Zeche findet. Die Bewirthung ist in die¬ sem Hause ausgezeichnet, und wir fanden uns mit unserm durch die Seeluft und das Bergansteigen stets frisch genährten Appetite hier ungleich zufriedener gestellt, als an der Tafel des Conversationshau- ses. Vor dem Hause ist ein schmuckloser kleiner Altan, von dem man mit größtem Behagen den herrlichen Ausblick genießen kann. An den bei Tische in ganzer Figur mit Profusion aufgetragenen Hum¬ mern thaten wir uns eine sogenannte Güte, wie man es auf Reisen hält, ohne Sorge für den andern Morgen. Jncognito bildete dieser solide Hummerappetit eine ebenso solide Grundlage für gewisse, nicht zum Appetit beitragende Affectionen der menschlichen Schwäche aus dem neuzudurchfurchenden Meere. Die Hummern aber, mit denen es grade umgekehrt gegen das ergeht, wie man es mit den Land- oder Bachkrebsen hält, daß nämlich letztere nur in denjenigen Monaten, die kein R. in ihrer Bezeichnung haben (Mai, Juni, Juli, August) als genießbar gelten, wogegen eben jene grade in diesen Monaten nicht gefangen werden sollen, zeigten trotz der Julitage (es waren die poli¬ tischen und chronologischen zugleich) in ihrem Geschmacke keinen Un¬ terschied gegen die sonstige Annehmlichkeit dieses schweren, aber, wie für den Muthigen alles Schwere, verführerischen Gerichtes und schie¬ nen, wie geistliche Personen es zu halten pflegen (die Krebse sind be¬ kanntlich eine dem Dienste der Kirche vorzugsweise geweihte Zunft als Prädilection der Fastenspeisen und haben ihren Heiligen), ganz wohl bei Leibe zu sein. Uns wenigstens mundeten sie ungemein und dies schien die Stimmung der ganzen Tischgesellschaft zu sein, unter der sich heute vom Leder und von der Feder, vom Nährstand, wie vom Verzehrstand befanden. Auch bezieht sich das Verbot des Hummer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/65>, abgerufen am 15.06.2024.