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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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tems, die Fässer wieder zu schließen, als ein dabeistehender Israelit
kläglich wimmerte. "Haben Se den Kern nicht gesehen, der macht
Grimmen!" Dadurch aufmerksam gemacht, untersuchte man genauer,
und siehe da, unter den Orangen funkelten bald die geschliffenen
Sensenklingen heraus.

In Krakau fand ich lebhaftes Truppengewimmel. Der Tscher-
kesse und Kosak, der preußische Uhlane oder Landwehrmann, der
österreichische Reiter und Musketier wanderten wieder, was seit 30
Jahren nicht geschehen, neben einander und ihre Posten kosten sich
mit derselben Parole ab. Ob es von den Polen klug war, sich zu
dem Magnet zu machen, der die Lanzenspitze des russischen Kosaken,
das preußische Bajonnet und den österreichischen Pallasch wieder in
einen gemeinsamen Eisenring schmiedet, lasse ich Sie selbst beur¬
theilen! -- Krakau sprach mich wehmüthig an. Der Eindruck, wel¬
chen ich empfand, war jenem ähnlich, der mich in Venedig behängt.
Hier und dort stehe ich an Riesengräbern der Zeit. Auch Krakau
ist eine Königswiege und ein Hcldensarg. -- Ja! der Sarg'eines
ganzen Volkes! Ich begreife den wehmüthigen Blick des Vene"
tianers, der vom Palazzo Moeenigo und von dem Piazza Se. Marco
hinausftreift auf die Lagunen! -- Ich verstehe das gesenkte Haupt
des Polen in der Gruft, wo Sobieski's, Koöcziusko's und Porla--
towski's Heldenasche ruht! -- Jedes Volk, wie jeder einzelne
Mensch denkt dabei an die geheiligte Asche der Vergangenheit, die
er selbst begraben hat! -- Aber eben deshalb muß man von den
Gräbern wieder hinausblicken in das grünende, wogende Leben, und
seine Thatkraft nicht an Mausoleen und Nekropolen verdorren
lassen. Der Pole hätte meines Erachtens besser gethan, diese,
in jedem fühlenden Herzen für sein Geschick lebende Sympathie zu
benutzen und ehrlich die Bruderhand zu einem neuen Leben zu rei¬
chen, als uns zu zwingen, mit umgürteten: Schwert das Grab sei¬
ner Helden zu besuchen, und uns durch sein wahnsinniges, frevel¬
haftes Beginnen, durch seine Meuchelmordsanschläge, -- auch die
Achtung zu rauben, die wir für sein, wiewohl selbstverschuldetes
politisches Unglück hegten. -- Die drei Helden, die dort ruhen,
würden im Leben mit Stolz und Abscheu die Waffen von sich ge¬
stoßen haben, welche ihre Nachkommen von der wälschen Propa¬
ganda entlehnt zu haben scheinen.


tems, die Fässer wieder zu schließen, als ein dabeistehender Israelit
kläglich wimmerte. „Haben Se den Kern nicht gesehen, der macht
Grimmen!" Dadurch aufmerksam gemacht, untersuchte man genauer,
und siehe da, unter den Orangen funkelten bald die geschliffenen
Sensenklingen heraus.

In Krakau fand ich lebhaftes Truppengewimmel. Der Tscher-
kesse und Kosak, der preußische Uhlane oder Landwehrmann, der
österreichische Reiter und Musketier wanderten wieder, was seit 30
Jahren nicht geschehen, neben einander und ihre Posten kosten sich
mit derselben Parole ab. Ob es von den Polen klug war, sich zu
dem Magnet zu machen, der die Lanzenspitze des russischen Kosaken,
das preußische Bajonnet und den österreichischen Pallasch wieder in
einen gemeinsamen Eisenring schmiedet, lasse ich Sie selbst beur¬
theilen! — Krakau sprach mich wehmüthig an. Der Eindruck, wel¬
chen ich empfand, war jenem ähnlich, der mich in Venedig behängt.
Hier und dort stehe ich an Riesengräbern der Zeit. Auch Krakau
ist eine Königswiege und ein Hcldensarg. — Ja! der Sarg'eines
ganzen Volkes! Ich begreife den wehmüthigen Blick des Vene»
tianers, der vom Palazzo Moeenigo und von dem Piazza Se. Marco
hinausftreift auf die Lagunen! — Ich verstehe das gesenkte Haupt
des Polen in der Gruft, wo Sobieski's, Koöcziusko's und Porla--
towski's Heldenasche ruht! — Jedes Volk, wie jeder einzelne
Mensch denkt dabei an die geheiligte Asche der Vergangenheit, die
er selbst begraben hat! — Aber eben deshalb muß man von den
Gräbern wieder hinausblicken in das grünende, wogende Leben, und
seine Thatkraft nicht an Mausoleen und Nekropolen verdorren
lassen. Der Pole hätte meines Erachtens besser gethan, diese,
in jedem fühlenden Herzen für sein Geschick lebende Sympathie zu
benutzen und ehrlich die Bruderhand zu einem neuen Leben zu rei¬
chen, als uns zu zwingen, mit umgürteten: Schwert das Grab sei¬
ner Helden zu besuchen, und uns durch sein wahnsinniges, frevel¬
haftes Beginnen, durch seine Meuchelmordsanschläge, — auch die
Achtung zu rauben, die wir für sein, wiewohl selbstverschuldetes
politisches Unglück hegten. — Die drei Helden, die dort ruhen,
würden im Leben mit Stolz und Abscheu die Waffen von sich ge¬
stoßen haben, welche ihre Nachkommen von der wälschen Propa¬
ganda entlehnt zu haben scheinen.


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[0122] tems, die Fässer wieder zu schließen, als ein dabeistehender Israelit kläglich wimmerte. „Haben Se den Kern nicht gesehen, der macht Grimmen!" Dadurch aufmerksam gemacht, untersuchte man genauer, und siehe da, unter den Orangen funkelten bald die geschliffenen Sensenklingen heraus. In Krakau fand ich lebhaftes Truppengewimmel. Der Tscher- kesse und Kosak, der preußische Uhlane oder Landwehrmann, der österreichische Reiter und Musketier wanderten wieder, was seit 30 Jahren nicht geschehen, neben einander und ihre Posten kosten sich mit derselben Parole ab. Ob es von den Polen klug war, sich zu dem Magnet zu machen, der die Lanzenspitze des russischen Kosaken, das preußische Bajonnet und den österreichischen Pallasch wieder in einen gemeinsamen Eisenring schmiedet, lasse ich Sie selbst beur¬ theilen! — Krakau sprach mich wehmüthig an. Der Eindruck, wel¬ chen ich empfand, war jenem ähnlich, der mich in Venedig behängt. Hier und dort stehe ich an Riesengräbern der Zeit. Auch Krakau ist eine Königswiege und ein Hcldensarg. — Ja! der Sarg'eines ganzen Volkes! Ich begreife den wehmüthigen Blick des Vene» tianers, der vom Palazzo Moeenigo und von dem Piazza Se. Marco hinausftreift auf die Lagunen! — Ich verstehe das gesenkte Haupt des Polen in der Gruft, wo Sobieski's, Koöcziusko's und Porla-- towski's Heldenasche ruht! — Jedes Volk, wie jeder einzelne Mensch denkt dabei an die geheiligte Asche der Vergangenheit, die er selbst begraben hat! — Aber eben deshalb muß man von den Gräbern wieder hinausblicken in das grünende, wogende Leben, und seine Thatkraft nicht an Mausoleen und Nekropolen verdorren lassen. Der Pole hätte meines Erachtens besser gethan, diese, in jedem fühlenden Herzen für sein Geschick lebende Sympathie zu benutzen und ehrlich die Bruderhand zu einem neuen Leben zu rei¬ chen, als uns zu zwingen, mit umgürteten: Schwert das Grab sei¬ ner Helden zu besuchen, und uns durch sein wahnsinniges, frevel¬ haftes Beginnen, durch seine Meuchelmordsanschläge, — auch die Achtung zu rauben, die wir für sein, wiewohl selbstverschuldetes politisches Unglück hegten. — Die drei Helden, die dort ruhen, würden im Leben mit Stolz und Abscheu die Waffen von sich ge¬ stoßen haben, welche ihre Nachkommen von der wälschen Propa¬ ganda entlehnt zu haben scheinen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/122>, abgerufen am 14.05.2024.