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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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und dachte wohl, sie hetzten ihn, als ich hinter ihm schrie. Und dar¬
über kam ich um das Papier, das nun der alte Sünder verbrannt
hat. Es soll ihm aber noch mehr verbrennen, als das Papier werth
war, er soll an die Mescheln denken/'

Durch die Trostlose gedrängt, erzählte sie nun von ihrer Post-
fahrt und deren Folgen und von dem Unglücke im gräflichen Forste,
daß Martin dort erhängt gefunden und in die Stadt gebracht worden
sei, wo sie ihn aufgeschnitten, wie ein wildes Thier; das hatte sie mit
dem größten Zorne erfüllt.

"Sie gehen mit uns um, als ob wir keine Menschen wären!^
rief sie. "Das Pferd, das für sie pflügt, den Ochsen halten sie bes¬
ser, denn die kosten Geld und bringen Geld -- uns, die ihnen auch
Geld bringen, uns lassen sie halb verhungern, weil wir kein Geld
kosten; geht Eins zu Grunde, finden sich zehn Andere, die der
Hunger treibt, sich für ein Hundelohn ihren Körper zu ruiniren!"

Die beiden Frauen verbrachten den Abend und einen großen
Theil der Nacht in Gram und Verwünschungen, rohe Naturen er--
leichtem sich jede Last durch wilde Leidenschaftlichkeit. Endlich erzählte
die Hobländerin von dem reichen Vetter, der aus Amerika gekommen
und bet ihr gewesen war. Die Alte horchte betroffen auf, sie kannte
ihn, sie erinnerte sich seiner sehr wohl. O warum war er zu spät ge,
kommen! Mit Geld ist Alles zu machen, er hätte den armen Mar¬
tin gerettet!

"Wo ist er denn jetzt?" fragte sie.

Als die junge Frau ihr das nicht zu sagen wußte und auf Be¬
fragen, was er ihr gegeben habe, das geringfügige Geschenk nannte,
wurde sie wieder zornig und rief - "Der alte Knauser hätte uns also
auch nicht geholfen! Nun wenn uns Jeder und selbst unser Herrgott
im Stich läßt, so müssen wir selbst sehen! - - Der alte Filz -- ein
Paar lumpige Thaler!"

Der gescholtene Greis, der in redlichster Absicht und aus Men¬
schenkenntniß nicht anders gehandelt hatte, war mittlerweile beim Ba¬
ron Mainhard angekommen, mit welchem er die weiter zu nehmenden
Schritte besprechen wollte. Noch wußte er von dem freiwilligen Ende
seines Verwandten nichts, Mainhard theilte es ihm schonend mit, es
erschütterte ihn mächtig.

"Ich muß noch heute Masser sprechen!" sagte der Greis. --
"Sie werden dort keinen Aufschluß erhalten," versetzte Mainhard.
"Der Agent ist todt, seine Papiere sind verschwunden, er wird Masser


und dachte wohl, sie hetzten ihn, als ich hinter ihm schrie. Und dar¬
über kam ich um das Papier, das nun der alte Sünder verbrannt
hat. Es soll ihm aber noch mehr verbrennen, als das Papier werth
war, er soll an die Mescheln denken/'

Durch die Trostlose gedrängt, erzählte sie nun von ihrer Post-
fahrt und deren Folgen und von dem Unglücke im gräflichen Forste,
daß Martin dort erhängt gefunden und in die Stadt gebracht worden
sei, wo sie ihn aufgeschnitten, wie ein wildes Thier; das hatte sie mit
dem größten Zorne erfüllt.

„Sie gehen mit uns um, als ob wir keine Menschen wären!^
rief sie. „Das Pferd, das für sie pflügt, den Ochsen halten sie bes¬
ser, denn die kosten Geld und bringen Geld — uns, die ihnen auch
Geld bringen, uns lassen sie halb verhungern, weil wir kein Geld
kosten; geht Eins zu Grunde, finden sich zehn Andere, die der
Hunger treibt, sich für ein Hundelohn ihren Körper zu ruiniren!"

Die beiden Frauen verbrachten den Abend und einen großen
Theil der Nacht in Gram und Verwünschungen, rohe Naturen er--
leichtem sich jede Last durch wilde Leidenschaftlichkeit. Endlich erzählte
die Hobländerin von dem reichen Vetter, der aus Amerika gekommen
und bet ihr gewesen war. Die Alte horchte betroffen auf, sie kannte
ihn, sie erinnerte sich seiner sehr wohl. O warum war er zu spät ge,
kommen! Mit Geld ist Alles zu machen, er hätte den armen Mar¬
tin gerettet!

„Wo ist er denn jetzt?" fragte sie.

Als die junge Frau ihr das nicht zu sagen wußte und auf Be¬
fragen, was er ihr gegeben habe, das geringfügige Geschenk nannte,
wurde sie wieder zornig und rief - „Der alte Knauser hätte uns also
auch nicht geholfen! Nun wenn uns Jeder und selbst unser Herrgott
im Stich läßt, so müssen wir selbst sehen! - - Der alte Filz — ein
Paar lumpige Thaler!"

Der gescholtene Greis, der in redlichster Absicht und aus Men¬
schenkenntniß nicht anders gehandelt hatte, war mittlerweile beim Ba¬
ron Mainhard angekommen, mit welchem er die weiter zu nehmenden
Schritte besprechen wollte. Noch wußte er von dem freiwilligen Ende
seines Verwandten nichts, Mainhard theilte es ihm schonend mit, es
erschütterte ihn mächtig.

„Ich muß noch heute Masser sprechen!" sagte der Greis. —
„Sie werden dort keinen Aufschluß erhalten," versetzte Mainhard.
„Der Agent ist todt, seine Papiere sind verschwunden, er wird Masser


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[0216] und dachte wohl, sie hetzten ihn, als ich hinter ihm schrie. Und dar¬ über kam ich um das Papier, das nun der alte Sünder verbrannt hat. Es soll ihm aber noch mehr verbrennen, als das Papier werth war, er soll an die Mescheln denken/' Durch die Trostlose gedrängt, erzählte sie nun von ihrer Post- fahrt und deren Folgen und von dem Unglücke im gräflichen Forste, daß Martin dort erhängt gefunden und in die Stadt gebracht worden sei, wo sie ihn aufgeschnitten, wie ein wildes Thier; das hatte sie mit dem größten Zorne erfüllt. „Sie gehen mit uns um, als ob wir keine Menschen wären!^ rief sie. „Das Pferd, das für sie pflügt, den Ochsen halten sie bes¬ ser, denn die kosten Geld und bringen Geld — uns, die ihnen auch Geld bringen, uns lassen sie halb verhungern, weil wir kein Geld kosten; geht Eins zu Grunde, finden sich zehn Andere, die der Hunger treibt, sich für ein Hundelohn ihren Körper zu ruiniren!" Die beiden Frauen verbrachten den Abend und einen großen Theil der Nacht in Gram und Verwünschungen, rohe Naturen er-- leichtem sich jede Last durch wilde Leidenschaftlichkeit. Endlich erzählte die Hobländerin von dem reichen Vetter, der aus Amerika gekommen und bet ihr gewesen war. Die Alte horchte betroffen auf, sie kannte ihn, sie erinnerte sich seiner sehr wohl. O warum war er zu spät ge, kommen! Mit Geld ist Alles zu machen, er hätte den armen Mar¬ tin gerettet! „Wo ist er denn jetzt?" fragte sie. Als die junge Frau ihr das nicht zu sagen wußte und auf Be¬ fragen, was er ihr gegeben habe, das geringfügige Geschenk nannte, wurde sie wieder zornig und rief - „Der alte Knauser hätte uns also auch nicht geholfen! Nun wenn uns Jeder und selbst unser Herrgott im Stich läßt, so müssen wir selbst sehen! - - Der alte Filz — ein Paar lumpige Thaler!" Der gescholtene Greis, der in redlichster Absicht und aus Men¬ schenkenntniß nicht anders gehandelt hatte, war mittlerweile beim Ba¬ ron Mainhard angekommen, mit welchem er die weiter zu nehmenden Schritte besprechen wollte. Noch wußte er von dem freiwilligen Ende seines Verwandten nichts, Mainhard theilte es ihm schonend mit, es erschütterte ihn mächtig. „Ich muß noch heute Masser sprechen!" sagte der Greis. — „Sie werden dort keinen Aufschluß erhalten," versetzte Mainhard. „Der Agent ist todt, seine Papiere sind verschwunden, er wird Masser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/216>, abgerufen am 29.04.2024.