Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

senhafter und verschwenderischer aufgetischt, als in kleinen Städten --
sie nennen das anständig.

Auch in dem Oertchen, in dessen Nähe die Fabrikgebäude des
Herrn Masser lagen, herrschte diese Sitte und die Frau Pastorin,
welche einen großen Kaffee gab, hätte sich eher jeden andern Verstoß
erlaubt, als eine Reduction der üblichen Tractamente. Amalia, ihre
Tochter, hatte also fünf Sorten Kuchen gebacken, ein Currendaner
drehte schon stundenlang die Eisbüchsc, der Pastor selbst zerschnitt Pfir¬
sichen zum Cardinal und prüfte dessen Güte. Als aber die Zeit her¬
anrückte, wo pünktliche Gäste die goldene Kette über den Kopf und
die Blondenhaube auf denselben werfen -- denn wie gesagt, Klein¬
städterinnen beschämen im Putz die höchsten Stände -- so entfernte
sich der Hausherr nach üblichen Brauch, lind suchte sein Vergnügen
im Kreise der männlichen Honoratioren, der sich gewissenhaft um fünf
Uhr versammelt. Hier wurde gespielt, so hoch gespielt und gewet¬
tet, daß selbst das unschuldige Kegeln zum Hazardspiel entartete, jeder
Wurf Gegenstand von Wetten mehrere Thaler werth. Fragte man
nach den Vermögensumständen dieser Spieler, so war ein lächelndes
Achselzucken die Antwort. Und nicht die Honoratioren allein, auch
die Bürger in ihrem Vereinslocale hatten den kostspieligsten Verkehr.
Es ist aber diese Schilderung kein Phantasiestück, sondern das treueste
Spiegelbild selbstgeschauten, noch bestehenden Treibens! Wundere man
sich also über Verarmung! Auch die hier genannten Schichten der
Gesellschaften können ihr nicht lange mehr widerstehen.

Der Pastor konnte keine Ruhe finden. Er sah sich nach Herrn
Masser um, der zu dieser Stunde hereinzukommen pflegte. Der geist¬
liche Herr hatte mit ihm zu sprechen, denn Frau Greschel war heute
bei ihm gewesen und hatte ihm über den Fabrikanten die beunruhi¬
gendsten Mittheilungen gemacht. Er hatte sie dafür gescholten und
abgewiesen, und sie war mit halben Drohungen, wie unsinnig, fort¬
gelaufen, daher konnte der Pfarrer kaum erwarten, mit Masser zu
sprechen.

Der befand sich aber grade daheim in der unangenehmsten Lage.
Seine Haushälterin, welche bei der zunehmenden Kränklichkeit ihres
Herrn sicher gehen wollte, hatte sich in Vortheil gesetzt und drohte
ihm mit üblen Folgen, wenn er ihr nicht endlich sein Versprechen
halte.

"Du bist ein heilloses Mädel!" sagte Masser aufgeregt. "Denkst
Du, der Wisch, um den Du heimlich in den Kamin gekrochen bist,


senhafter und verschwenderischer aufgetischt, als in kleinen Städten —
sie nennen das anständig.

Auch in dem Oertchen, in dessen Nähe die Fabrikgebäude des
Herrn Masser lagen, herrschte diese Sitte und die Frau Pastorin,
welche einen großen Kaffee gab, hätte sich eher jeden andern Verstoß
erlaubt, als eine Reduction der üblichen Tractamente. Amalia, ihre
Tochter, hatte also fünf Sorten Kuchen gebacken, ein Currendaner
drehte schon stundenlang die Eisbüchsc, der Pastor selbst zerschnitt Pfir¬
sichen zum Cardinal und prüfte dessen Güte. Als aber die Zeit her¬
anrückte, wo pünktliche Gäste die goldene Kette über den Kopf und
die Blondenhaube auf denselben werfen — denn wie gesagt, Klein¬
städterinnen beschämen im Putz die höchsten Stände — so entfernte
sich der Hausherr nach üblichen Brauch, lind suchte sein Vergnügen
im Kreise der männlichen Honoratioren, der sich gewissenhaft um fünf
Uhr versammelt. Hier wurde gespielt, so hoch gespielt und gewet¬
tet, daß selbst das unschuldige Kegeln zum Hazardspiel entartete, jeder
Wurf Gegenstand von Wetten mehrere Thaler werth. Fragte man
nach den Vermögensumständen dieser Spieler, so war ein lächelndes
Achselzucken die Antwort. Und nicht die Honoratioren allein, auch
die Bürger in ihrem Vereinslocale hatten den kostspieligsten Verkehr.
Es ist aber diese Schilderung kein Phantasiestück, sondern das treueste
Spiegelbild selbstgeschauten, noch bestehenden Treibens! Wundere man
sich also über Verarmung! Auch die hier genannten Schichten der
Gesellschaften können ihr nicht lange mehr widerstehen.

Der Pastor konnte keine Ruhe finden. Er sah sich nach Herrn
Masser um, der zu dieser Stunde hereinzukommen pflegte. Der geist¬
liche Herr hatte mit ihm zu sprechen, denn Frau Greschel war heute
bei ihm gewesen und hatte ihm über den Fabrikanten die beunruhi¬
gendsten Mittheilungen gemacht. Er hatte sie dafür gescholten und
abgewiesen, und sie war mit halben Drohungen, wie unsinnig, fort¬
gelaufen, daher konnte der Pfarrer kaum erwarten, mit Masser zu
sprechen.

Der befand sich aber grade daheim in der unangenehmsten Lage.
Seine Haushälterin, welche bei der zunehmenden Kränklichkeit ihres
Herrn sicher gehen wollte, hatte sich in Vortheil gesetzt und drohte
ihm mit üblen Folgen, wenn er ihr nicht endlich sein Versprechen
halte.

„Du bist ein heilloses Mädel!" sagte Masser aufgeregt. „Denkst
Du, der Wisch, um den Du heimlich in den Kamin gekrochen bist,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0218" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182641"/>
            <p xml:id="ID_601" prev="#ID_600"> senhafter und verschwenderischer aufgetischt, als in kleinen Städten &#x2014;<lb/>
sie nennen das anständig.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_602"> Auch in dem Oertchen, in dessen Nähe die Fabrikgebäude des<lb/>
Herrn Masser lagen, herrschte diese Sitte und die Frau Pastorin,<lb/>
welche einen großen Kaffee gab, hätte sich eher jeden andern Verstoß<lb/>
erlaubt, als eine Reduction der üblichen Tractamente. Amalia, ihre<lb/>
Tochter, hatte also fünf Sorten Kuchen gebacken, ein Currendaner<lb/>
drehte schon stundenlang die Eisbüchsc, der Pastor selbst zerschnitt Pfir¬<lb/>
sichen zum Cardinal und prüfte dessen Güte. Als aber die Zeit her¬<lb/>
anrückte, wo pünktliche Gäste die goldene Kette über den Kopf und<lb/>
die Blondenhaube auf denselben werfen &#x2014; denn wie gesagt, Klein¬<lb/>
städterinnen beschämen im Putz die höchsten Stände &#x2014; so entfernte<lb/>
sich der Hausherr nach üblichen Brauch, lind suchte sein Vergnügen<lb/>
im Kreise der männlichen Honoratioren, der sich gewissenhaft um fünf<lb/>
Uhr versammelt. Hier wurde gespielt, so hoch gespielt und gewet¬<lb/>
tet, daß selbst das unschuldige Kegeln zum Hazardspiel entartete, jeder<lb/>
Wurf Gegenstand von Wetten mehrere Thaler werth. Fragte man<lb/>
nach den Vermögensumständen dieser Spieler, so war ein lächelndes<lb/>
Achselzucken die Antwort. Und nicht die Honoratioren allein, auch<lb/>
die Bürger in ihrem Vereinslocale hatten den kostspieligsten Verkehr.<lb/>
Es ist aber diese Schilderung kein Phantasiestück, sondern das treueste<lb/>
Spiegelbild selbstgeschauten, noch bestehenden Treibens! Wundere man<lb/>
sich also über Verarmung! Auch die hier genannten Schichten der<lb/>
Gesellschaften können ihr nicht lange mehr widerstehen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_603"> Der Pastor konnte keine Ruhe finden. Er sah sich nach Herrn<lb/>
Masser um, der zu dieser Stunde hereinzukommen pflegte. Der geist¬<lb/>
liche Herr hatte mit ihm zu sprechen, denn Frau Greschel war heute<lb/>
bei ihm gewesen und hatte ihm über den Fabrikanten die beunruhi¬<lb/>
gendsten Mittheilungen gemacht. Er hatte sie dafür gescholten und<lb/>
abgewiesen, und sie war mit halben Drohungen, wie unsinnig, fort¬<lb/>
gelaufen, daher konnte der Pfarrer kaum erwarten, mit Masser zu<lb/>
sprechen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_604"> Der befand sich aber grade daheim in der unangenehmsten Lage.<lb/>
Seine Haushälterin, welche bei der zunehmenden Kränklichkeit ihres<lb/>
Herrn sicher gehen wollte, hatte sich in Vortheil gesetzt und drohte<lb/>
ihm mit üblen Folgen, wenn er ihr nicht endlich sein Versprechen<lb/>
halte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_605" next="#ID_606"> &#x201E;Du bist ein heilloses Mädel!" sagte Masser aufgeregt. &#x201E;Denkst<lb/>
Du, der Wisch, um den Du heimlich in den Kamin gekrochen bist,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0218] senhafter und verschwenderischer aufgetischt, als in kleinen Städten — sie nennen das anständig. Auch in dem Oertchen, in dessen Nähe die Fabrikgebäude des Herrn Masser lagen, herrschte diese Sitte und die Frau Pastorin, welche einen großen Kaffee gab, hätte sich eher jeden andern Verstoß erlaubt, als eine Reduction der üblichen Tractamente. Amalia, ihre Tochter, hatte also fünf Sorten Kuchen gebacken, ein Currendaner drehte schon stundenlang die Eisbüchsc, der Pastor selbst zerschnitt Pfir¬ sichen zum Cardinal und prüfte dessen Güte. Als aber die Zeit her¬ anrückte, wo pünktliche Gäste die goldene Kette über den Kopf und die Blondenhaube auf denselben werfen — denn wie gesagt, Klein¬ städterinnen beschämen im Putz die höchsten Stände — so entfernte sich der Hausherr nach üblichen Brauch, lind suchte sein Vergnügen im Kreise der männlichen Honoratioren, der sich gewissenhaft um fünf Uhr versammelt. Hier wurde gespielt, so hoch gespielt und gewet¬ tet, daß selbst das unschuldige Kegeln zum Hazardspiel entartete, jeder Wurf Gegenstand von Wetten mehrere Thaler werth. Fragte man nach den Vermögensumständen dieser Spieler, so war ein lächelndes Achselzucken die Antwort. Und nicht die Honoratioren allein, auch die Bürger in ihrem Vereinslocale hatten den kostspieligsten Verkehr. Es ist aber diese Schilderung kein Phantasiestück, sondern das treueste Spiegelbild selbstgeschauten, noch bestehenden Treibens! Wundere man sich also über Verarmung! Auch die hier genannten Schichten der Gesellschaften können ihr nicht lange mehr widerstehen. Der Pastor konnte keine Ruhe finden. Er sah sich nach Herrn Masser um, der zu dieser Stunde hereinzukommen pflegte. Der geist¬ liche Herr hatte mit ihm zu sprechen, denn Frau Greschel war heute bei ihm gewesen und hatte ihm über den Fabrikanten die beunruhi¬ gendsten Mittheilungen gemacht. Er hatte sie dafür gescholten und abgewiesen, und sie war mit halben Drohungen, wie unsinnig, fort¬ gelaufen, daher konnte der Pfarrer kaum erwarten, mit Masser zu sprechen. Der befand sich aber grade daheim in der unangenehmsten Lage. Seine Haushälterin, welche bei der zunehmenden Kränklichkeit ihres Herrn sicher gehen wollte, hatte sich in Vortheil gesetzt und drohte ihm mit üblen Folgen, wenn er ihr nicht endlich sein Versprechen halte. „Du bist ein heilloses Mädel!" sagte Masser aufgeregt. „Denkst Du, der Wisch, um den Du heimlich in den Kamin gekrochen bist,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/218
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/218>, abgerufen am 28.04.2024.