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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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herab sieht man jedoch ganze Karavanen von Pilgern ziehen. Buch¬
händler se'ut's, die von der Ostermesse in ihre Heimath reisen, mit leich¬
tem Herzen und schwerem Beutel, mit schwerem Herzen und leichtem
Beutel. Im Geiste revidiren sie ihre Rechnungen, mustern ihr Lager
und mancher zählt schmerzlich die Häupter seiner Lieben und steht, daß
allzuviele ihm übrig geblieben. Was sich in dieser Uebergangsepoche
melden läßt, ist wenig. Von Alexander von Humbold's Cosmos, dessen
erster Band innerhalb eines Jahres drei Auflagen erlebte, erscheint bald
der zweite Band. Das Manuscript ist der Vollendung nahe. Die Art,
wie Humbold arbeitet, ist eine eben so merkwürdige Erscheinung als das¬
jenige, was er arbeitet. Wahrend des ganzen Tages theils vom König
in Anspruch genommen, theils von Besuchen und von der ausgedehntesten
Correspondenz, die ein Mann in Europa hat, zerstreut, fast jeden Abend
in Gesellschaft, stets conversirend und lebhaft erregt, bleibt dem großen
Naturforscher, zur Sammlung und Aufzeichnung seiner Gedanken, nur
die Nacht übrig und der bewundernswürdige Greis sitzt auch rüstig um ein
Uhr nach Mitternacht noch an feinem Schreibpulte und begrüßt den
frischen Morgen heiter und lebensfroh, ein umgekehrter Faust. -- Eine
größere Publication anderer Art ist im Laufe dieses Jahres gleichfalls
von Berlin aus zu erwarten: es ist dies eine Uebersetzung der gesam¬
melten Werke Fouriers, mit der einige jüngere socialistische berliner Schrift¬
steller beschäftigt sind. -- Eine dritte literarische Neuigkeit, die man sich
in Berlin erzählt, scheint wohl vom 1. April sich zu datiren. Es ist
nämlich die Rede von einem großen Epos Moses, in fünf Gesängen und
in Hexametern, dessen Dichter kein anderer sein soll, als die höchste Per¬
son des preußischen Staates!

-- Das schöne Mährchen von dem wunderbaren Heizapparat, den
man in Wien erfunden haben wollte, ist also eine Seifenblase, ein Wind¬
stoß wissenschaftlicher Untersuchung hat es in Nichts aufgelöst. Wir
sehen schon im Geiste Millionen von Armen an der neuen Heizmaschine
sich wärmen. Wälder und Steinkohlen, durch den neuen Apparat auf
ein Zehntheil ihres Werthes herabgesetzt, bieten den Unglücklichen, die
bisher im Winter froren, ihre Ausbeute fast umsonst. Die Forstbesitzer
lassen ihre Baume umhauen und Korn an ihre Stelle pflanzen. Der
Getreidebau verdoppelt sich und die Deutschen, die jetzt Aecker genug
haben, stellen die Auswanderung ein, der Schiffbau, der jetzt Holz im
Ueberflusse findet, wird mit gelingen Kosten betrieben und Deutschland
läßt sich aus Wohlfeilheit eine Flotte bauen, und alle diese schönen
Träume werden nun durch eine einzige Berichtigung zu Wasser. Doch
nein! Während das alte Oesterreich das gewohnte Schicksal erlebt, aber¬
mals nichts erfunden zu haben,, taucht in Amerika, dem jungen Land
wunderbarer Erfindungen, die Hcizmaschine in einer andern Form auf.
Es handelt sich um nichts Geringeres, als eine ganze Stadt zu bauen,
die unterirdisch geheizt wird, wo die sanfteste Temperatur mitten im Win¬
ter herrschen und Jedermann trocknen und warmen Fußes durch die
Straßen wandeln soll. Die Idee ist sehr einfach -- aber man mußte
sie finden! Sie besteht darin, daß man alle Schornsteine verbannt, um


herab sieht man jedoch ganze Karavanen von Pilgern ziehen. Buch¬
händler se'ut's, die von der Ostermesse in ihre Heimath reisen, mit leich¬
tem Herzen und schwerem Beutel, mit schwerem Herzen und leichtem
Beutel. Im Geiste revidiren sie ihre Rechnungen, mustern ihr Lager
und mancher zählt schmerzlich die Häupter seiner Lieben und steht, daß
allzuviele ihm übrig geblieben. Was sich in dieser Uebergangsepoche
melden läßt, ist wenig. Von Alexander von Humbold's Cosmos, dessen
erster Band innerhalb eines Jahres drei Auflagen erlebte, erscheint bald
der zweite Band. Das Manuscript ist der Vollendung nahe. Die Art,
wie Humbold arbeitet, ist eine eben so merkwürdige Erscheinung als das¬
jenige, was er arbeitet. Wahrend des ganzen Tages theils vom König
in Anspruch genommen, theils von Besuchen und von der ausgedehntesten
Correspondenz, die ein Mann in Europa hat, zerstreut, fast jeden Abend
in Gesellschaft, stets conversirend und lebhaft erregt, bleibt dem großen
Naturforscher, zur Sammlung und Aufzeichnung seiner Gedanken, nur
die Nacht übrig und der bewundernswürdige Greis sitzt auch rüstig um ein
Uhr nach Mitternacht noch an feinem Schreibpulte und begrüßt den
frischen Morgen heiter und lebensfroh, ein umgekehrter Faust. — Eine
größere Publication anderer Art ist im Laufe dieses Jahres gleichfalls
von Berlin aus zu erwarten: es ist dies eine Uebersetzung der gesam¬
melten Werke Fouriers, mit der einige jüngere socialistische berliner Schrift¬
steller beschäftigt sind. — Eine dritte literarische Neuigkeit, die man sich
in Berlin erzählt, scheint wohl vom 1. April sich zu datiren. Es ist
nämlich die Rede von einem großen Epos Moses, in fünf Gesängen und
in Hexametern, dessen Dichter kein anderer sein soll, als die höchste Per¬
son des preußischen Staates!

-- Das schöne Mährchen von dem wunderbaren Heizapparat, den
man in Wien erfunden haben wollte, ist also eine Seifenblase, ein Wind¬
stoß wissenschaftlicher Untersuchung hat es in Nichts aufgelöst. Wir
sehen schon im Geiste Millionen von Armen an der neuen Heizmaschine
sich wärmen. Wälder und Steinkohlen, durch den neuen Apparat auf
ein Zehntheil ihres Werthes herabgesetzt, bieten den Unglücklichen, die
bisher im Winter froren, ihre Ausbeute fast umsonst. Die Forstbesitzer
lassen ihre Baume umhauen und Korn an ihre Stelle pflanzen. Der
Getreidebau verdoppelt sich und die Deutschen, die jetzt Aecker genug
haben, stellen die Auswanderung ein, der Schiffbau, der jetzt Holz im
Ueberflusse findet, wird mit gelingen Kosten betrieben und Deutschland
läßt sich aus Wohlfeilheit eine Flotte bauen, und alle diese schönen
Träume werden nun durch eine einzige Berichtigung zu Wasser. Doch
nein! Während das alte Oesterreich das gewohnte Schicksal erlebt, aber¬
mals nichts erfunden zu haben,, taucht in Amerika, dem jungen Land
wunderbarer Erfindungen, die Hcizmaschine in einer andern Form auf.
Es handelt sich um nichts Geringeres, als eine ganze Stadt zu bauen,
die unterirdisch geheizt wird, wo die sanfteste Temperatur mitten im Win¬
ter herrschen und Jedermann trocknen und warmen Fußes durch die
Straßen wandeln soll. Die Idee ist sehr einfach — aber man mußte
sie finden! Sie besteht darin, daß man alle Schornsteine verbannt, um


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/374>, abgerufen am 29.04.2024.