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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Bouquet eingebracht, das jetzt als Asche in meinem Kamin liegt. Ich
habe bald bemerkt, daß er an seine Ungetreue nicht mehr denke. Eines
Tages hatte er sie in der Stadt getroffen und sogar mit ihr gespro^
chen. Er erzählte mir Alles dies bei seiner Rückkehr und sagte mir
ohne Aufregung, daß sie glücklich sei lind daß sie reizende Kinder habe.
Der Zufall machte ihn zum Zeugen einiger brüsten, rohen Aeußerun¬
gen Heinrich's, dessen Manier Du leider so gut wie ich kennst. So
entstanden von meiner Seite halb erzwungene, vertrauliche Mittheilun¬
gen, und auf der seinigen ein verdoppeltes Interesse für mich. Er kennt
meinen Mann, als wäre er seit zehn Jahren mit ihm umgegangen.
Ueberdies war er ein ebenso guter Rathgeber als Du, und unparteii¬
scher, denn Du glaubst immer, daß das Unrecht auf beiden Seiten
sei. Er gab mir immer Recht, aber indem er mir Klugheit und Vor¬
sicht empfahl. Mit einem Wort, er zeigte sich als treuer Freund. Es
liegt in ihm etwas Weibliches, das mich sehr anspricht. Es ist ein
Geist, der mich an den Deinigen erinnert: ein eraltirter und fester
Charakter, gefühlvoll, doch fanatisch, was die Pflicht betrifft.... Ich
flicke Phrasen aneinander, um der letzten Erklärung auszuweichen. Ich
kann nicht offen sprechen, dieses Papier schüchtert mich ein.... Doch
ich muß das große Wort fallen lassen. Der arme Unglückliche war
in mich verliebt. Lachse Du, oder nimmst Du Anstoß? Ich möchte
Dich in diesem Augenblicke sehen. Er hat mir, wohlverstanden, nichts
gesagt, aber wir täuschen uns nicht, und seine großen schwarzen Au¬
gen!.... Jetzt, glaubeich, lachst Du? Wie viele tonangebende Herren
unserer wiener Gesellschaft möchten diese Augen haben, welche reden,
ohne es zu wollen! Ich habe so viele von diesen Männern kennen
gelernt, die gern den ihrigen einen geistigen Ausdruck zu geben ver¬
suchten und dadurch nur um so alberner aussahen. Als ich den Zu¬
stand des Kranken erkannte, habe ich mich anfangs fast darüber gefreut.
Eine Eroberung in meinem Alter und eine unschuldige Eroberung wie
diese.... Eine solche Leidenschaft, eine solche fast unmögliche Liebe zu
erregen, ist keine Alltäglichkeit....! Pfui, dieses schlechte Gefühl hat
mich bald wieder verlassen. Hier ist ein verliebter Mensch, sagte ich
mir, den meine Unbesonnenheit unglücklich machen würde. Das wäre
schrecklich; das muß durchaus ein Ende nehmen. Ich dachte nach,
wie ich ihn entfernen könnte. Eines Tages gingen wir zusammen an
dem Strome spazieren. Er wagte kein Wort zu sprechen, und ich war
ebenfalls verlegen. Es herrschte eine Todesstille von fünf Minuten.
Endlich fing ich an: "Mein lieber Pater, Sie müssen durchaus eine


Grenze",'!-", II. 184". 59

Bouquet eingebracht, das jetzt als Asche in meinem Kamin liegt. Ich
habe bald bemerkt, daß er an seine Ungetreue nicht mehr denke. Eines
Tages hatte er sie in der Stadt getroffen und sogar mit ihr gespro^
chen. Er erzählte mir Alles dies bei seiner Rückkehr und sagte mir
ohne Aufregung, daß sie glücklich sei lind daß sie reizende Kinder habe.
Der Zufall machte ihn zum Zeugen einiger brüsten, rohen Aeußerun¬
gen Heinrich's, dessen Manier Du leider so gut wie ich kennst. So
entstanden von meiner Seite halb erzwungene, vertrauliche Mittheilun¬
gen, und auf der seinigen ein verdoppeltes Interesse für mich. Er kennt
meinen Mann, als wäre er seit zehn Jahren mit ihm umgegangen.
Ueberdies war er ein ebenso guter Rathgeber als Du, und unparteii¬
scher, denn Du glaubst immer, daß das Unrecht auf beiden Seiten
sei. Er gab mir immer Recht, aber indem er mir Klugheit und Vor¬
sicht empfahl. Mit einem Wort, er zeigte sich als treuer Freund. Es
liegt in ihm etwas Weibliches, das mich sehr anspricht. Es ist ein
Geist, der mich an den Deinigen erinnert: ein eraltirter und fester
Charakter, gefühlvoll, doch fanatisch, was die Pflicht betrifft.... Ich
flicke Phrasen aneinander, um der letzten Erklärung auszuweichen. Ich
kann nicht offen sprechen, dieses Papier schüchtert mich ein.... Doch
ich muß das große Wort fallen lassen. Der arme Unglückliche war
in mich verliebt. Lachse Du, oder nimmst Du Anstoß? Ich möchte
Dich in diesem Augenblicke sehen. Er hat mir, wohlverstanden, nichts
gesagt, aber wir täuschen uns nicht, und seine großen schwarzen Au¬
gen!.... Jetzt, glaubeich, lachst Du? Wie viele tonangebende Herren
unserer wiener Gesellschaft möchten diese Augen haben, welche reden,
ohne es zu wollen! Ich habe so viele von diesen Männern kennen
gelernt, die gern den ihrigen einen geistigen Ausdruck zu geben ver¬
suchten und dadurch nur um so alberner aussahen. Als ich den Zu¬
stand des Kranken erkannte, habe ich mich anfangs fast darüber gefreut.
Eine Eroberung in meinem Alter und eine unschuldige Eroberung wie
diese.... Eine solche Leidenschaft, eine solche fast unmögliche Liebe zu
erregen, ist keine Alltäglichkeit....! Pfui, dieses schlechte Gefühl hat
mich bald wieder verlassen. Hier ist ein verliebter Mensch, sagte ich
mir, den meine Unbesonnenheit unglücklich machen würde. Das wäre
schrecklich; das muß durchaus ein Ende nehmen. Ich dachte nach,
wie ich ihn entfernen könnte. Eines Tages gingen wir zusammen an
dem Strome spazieren. Er wagte kein Wort zu sprechen, und ich war
ebenfalls verlegen. Es herrschte eine Todesstille von fünf Minuten.
Endlich fing ich an: „Mein lieber Pater, Sie müssen durchaus eine


Grenze",'!-», II. 184«. 59
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/469>, abgerufen am 28.04.2024.