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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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sein, ehe eS den Frauen besser gehen kann. -- Welch ein gedankenlose
Unsinn ist also die sogenannte Emancipation der Frauen, welche ihnen
die barbarische Beschäftigung der Männer ansprängen will, da doch
grade ihre Aufgabe darin besteht, diese zuweilen an sich selbst zu er¬
innern, wenn die Geschichte sie sich ganz entfremdet hat.

Die Tafel war beendet und unterdessen es vollständig Nacht ge¬
worden. Der Mond bildete seine silberne Straße auf dem Meere, ge¬
heimnißvoll winkend nach der fernen Dämmerung am Horizont, welche
unbekannte, selige Gefilde zu bergen schien. -- Das Meer unter uns
sprühte und knisterte, von den Rädern des Dampfschiffes aufgewühlt
und zuweilen huschten unter dem Gischte große Feuerkugeln daher, die
uns plötzlich so lebend ansahen, als hätte das Meer ein menschliches
Auge bekommen. -- So standen wir lange über die Brüstung des
Schiffes gelehnt, versunken in die Wunder der italienischen Sommer¬
nacht. -- Nicht ferne von uns saß ein junger Mann in ziemlich ge-
fährlicher Stellung auf der Lehne der Bank, der mit einer Hand die
eiserne Zeltstange festhielt und weit sich vorbeugend in das Meer
starrte. Der Mondschein fiel auf das schöne Menschen-Antlitz. Des
Südens edle Linien hatten sich darin vereinigt. Ein üppiger Haar¬
wuchs umgab die hohe Stirne, eine edle Nase, ein ernster selbstgewisser
Mund, und dabei Augen groß und dunkel wie das Meer und um¬
zogen von jenen geheimnißvoll schattigen Kreisen, die bei edlen Ge¬
sichtern die Weihe des Schmerzes, bei gemeinen das Brandmal er-
storbener Lust bedeuten. -- "Sieh', Maria," sagte ich, nach ihm hin¬
deutend mit den Augen, "hier hast Du Deinen Wunsch erfüllt. Ein
Meisterstück der Natur, ohne Verzerrung." -- "Ja wohl," sagte sie,
dies Gesicht ist schön und leidenschaftlich wie der Süden, mit einem
Anflug nordischer Tiefe; aber seht ihr denn dem Mann nicht an, daß
er zu den Privilegirtesten der Erde gehört. Es ist ja Verdi, der
Componist, der gefeierte Maestro des Tages durch ganz Italien. --
Seine eigenste Leidenschaft ist auch seine Arbeit, in der ihn Niemand
hindert und beschränkt, er beherrscht mit ihr vielmehr das
schönste Land der Erde, er beherrscht es mehr als die durch öster¬
reichische Bayonette mühsam erhaltenen Fürsten desselben. -- Er hat
weder die Censur des Staates, noch die weit schlimmere eines dummen
und rohen Publicums zu fürchten, denn die Musik stellt nur die
Stimmung, ich möchte sagen, das Landschaftliche des Menschen dar,
und dies begreift nur derjenige, der ihrer fähig ist. Bei den Andern
kann sie höchstens dunkle Atmungen erwecken, ferne Alvhornklänge,


sein, ehe eS den Frauen besser gehen kann. — Welch ein gedankenlose
Unsinn ist also die sogenannte Emancipation der Frauen, welche ihnen
die barbarische Beschäftigung der Männer ansprängen will, da doch
grade ihre Aufgabe darin besteht, diese zuweilen an sich selbst zu er¬
innern, wenn die Geschichte sie sich ganz entfremdet hat.

Die Tafel war beendet und unterdessen es vollständig Nacht ge¬
worden. Der Mond bildete seine silberne Straße auf dem Meere, ge¬
heimnißvoll winkend nach der fernen Dämmerung am Horizont, welche
unbekannte, selige Gefilde zu bergen schien. — Das Meer unter uns
sprühte und knisterte, von den Rädern des Dampfschiffes aufgewühlt
und zuweilen huschten unter dem Gischte große Feuerkugeln daher, die
uns plötzlich so lebend ansahen, als hätte das Meer ein menschliches
Auge bekommen. — So standen wir lange über die Brüstung des
Schiffes gelehnt, versunken in die Wunder der italienischen Sommer¬
nacht. — Nicht ferne von uns saß ein junger Mann in ziemlich ge-
fährlicher Stellung auf der Lehne der Bank, der mit einer Hand die
eiserne Zeltstange festhielt und weit sich vorbeugend in das Meer
starrte. Der Mondschein fiel auf das schöne Menschen-Antlitz. Des
Südens edle Linien hatten sich darin vereinigt. Ein üppiger Haar¬
wuchs umgab die hohe Stirne, eine edle Nase, ein ernster selbstgewisser
Mund, und dabei Augen groß und dunkel wie das Meer und um¬
zogen von jenen geheimnißvoll schattigen Kreisen, die bei edlen Ge¬
sichtern die Weihe des Schmerzes, bei gemeinen das Brandmal er-
storbener Lust bedeuten. — „Sieh', Maria," sagte ich, nach ihm hin¬
deutend mit den Augen, „hier hast Du Deinen Wunsch erfüllt. Ein
Meisterstück der Natur, ohne Verzerrung." — „Ja wohl," sagte sie,
dies Gesicht ist schön und leidenschaftlich wie der Süden, mit einem
Anflug nordischer Tiefe; aber seht ihr denn dem Mann nicht an, daß
er zu den Privilegirtesten der Erde gehört. Es ist ja Verdi, der
Componist, der gefeierte Maestro des Tages durch ganz Italien. —
Seine eigenste Leidenschaft ist auch seine Arbeit, in der ihn Niemand
hindert und beschränkt, er beherrscht mit ihr vielmehr das
schönste Land der Erde, er beherrscht es mehr als die durch öster¬
reichische Bayonette mühsam erhaltenen Fürsten desselben. — Er hat
weder die Censur des Staates, noch die weit schlimmere eines dummen
und rohen Publicums zu fürchten, denn die Musik stellt nur die
Stimmung, ich möchte sagen, das Landschaftliche des Menschen dar,
und dies begreift nur derjenige, der ihrer fähig ist. Bei den Andern
kann sie höchstens dunkle Atmungen erwecken, ferne Alvhornklänge,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/27>, abgerufen am 21.05.2024.