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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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ist gegen die unversäumte und vollständige Durchführung dieses Prin¬
cips, weil, wie sie sagt, die Völker überhaupt und besonders die deut¬
schen Völker für die Freiheit noch nicht reif seien, sondern erst durch
stufenweise Concessionen herangebildet werden müßten. Wagen wir
es nun, über ein Volk, welches ein Theil unsers eigenen Volkes ge¬
worden ist, die Unmündigkeitserklärung auszusprechen, so ermächtigen
wir dadurch die herrschende Partei, dasselbe Urtheil über uns selbst
zu fällen.

Die Gegner der Judenfreiheit behaupten hartnäckig, dieselbe ließe
sich ohne die größten Nachtheile nicht durchführen, die Juden seien
nun einmal nicht darnach, sie könnten und wollten sich nicht eigentlich
und organisch unserm Volksleben anschließen, sie würden immer ein
fremdes und feindliches Element bleiben. Weist man nun gegen diese
Behauptung ganz einfach auf Frankreich und England hin, so erwidern
jene Judenfeinde kurz und schlecht, in Frankreich und England seien
andere Verhältnisse. Ganz genau so machen es nun die Feinde der
deutschen Freiheit überhaupt. Sie behaupten fortwährend, Preßfrei-
heit, Oeffentlichkeit, Mündlichkeit und Juryverfassung des Gerichts¬
wesens und eine wahrhaft constitutionelle Freiheit sei mit den ganz
besondern und sehr schwierigen deutschen Zuständen unvereinbar. Weist
man nun gegen diese grausame Behauptung auf die Macht und das
Glück Frankreichs und Englands hin, so wird man kurz mit der Be¬
merkung abgefertigt, in Frankreich und England seien eben ganz an¬
dere Verhältnisse. Wenn wir also in einer so wichtigen Richtung der
Freiheit gegen das englische und französische Beispiel blind sind, so
rechtfertigen wir dadurch gewissermaßen das Verfahien unsrer Regie¬
rungen, die uns in Betreff der Freiheit überhaupt gegen jenes Beispiel
blind machen wollen.

Es ist aber überdies geradezu gelogen, wenn behauptet wird, die
Juden würden sich niemals wahrhaft mit unserm ^olköthum vereini¬
gen. Sie haben sich ja ungeachtet aller Unterdrückung, Ausschließung
und Beschimpfung bereits so vollständig nationalisirt, daß Juden in
den ersten Reihen unsrer patriotischen Kämpfer stehen. Sie haben alle
unsere innern und äußern Nationalkämpfe mit Treue und Begeisterung
angekämpft, sie sind in den fernsten Weltgegenden die Träger deutscher
Sprache und Bildung, zu allen unsern großen Nalionalwerken h."ben
sie Geist und Gut beigesteuert und auf allen Gebieten der deutschen
Kunst, Wissenschaft und Literatur, glänzen als Sterne erster Größe
jüdische Namen. Das also, was die Juden für unser Nationalleben


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ist gegen die unversäumte und vollständige Durchführung dieses Prin¬
cips, weil, wie sie sagt, die Völker überhaupt und besonders die deut¬
schen Völker für die Freiheit noch nicht reif seien, sondern erst durch
stufenweise Concessionen herangebildet werden müßten. Wagen wir
es nun, über ein Volk, welches ein Theil unsers eigenen Volkes ge¬
worden ist, die Unmündigkeitserklärung auszusprechen, so ermächtigen
wir dadurch die herrschende Partei, dasselbe Urtheil über uns selbst
zu fällen.

Die Gegner der Judenfreiheit behaupten hartnäckig, dieselbe ließe
sich ohne die größten Nachtheile nicht durchführen, die Juden seien
nun einmal nicht darnach, sie könnten und wollten sich nicht eigentlich
und organisch unserm Volksleben anschließen, sie würden immer ein
fremdes und feindliches Element bleiben. Weist man nun gegen diese
Behauptung ganz einfach auf Frankreich und England hin, so erwidern
jene Judenfeinde kurz und schlecht, in Frankreich und England seien
andere Verhältnisse. Ganz genau so machen es nun die Feinde der
deutschen Freiheit überhaupt. Sie behaupten fortwährend, Preßfrei-
heit, Oeffentlichkeit, Mündlichkeit und Juryverfassung des Gerichts¬
wesens und eine wahrhaft constitutionelle Freiheit sei mit den ganz
besondern und sehr schwierigen deutschen Zuständen unvereinbar. Weist
man nun gegen diese grausame Behauptung auf die Macht und das
Glück Frankreichs und Englands hin, so wird man kurz mit der Be¬
merkung abgefertigt, in Frankreich und England seien eben ganz an¬
dere Verhältnisse. Wenn wir also in einer so wichtigen Richtung der
Freiheit gegen das englische und französische Beispiel blind sind, so
rechtfertigen wir dadurch gewissermaßen das Verfahien unsrer Regie¬
rungen, die uns in Betreff der Freiheit überhaupt gegen jenes Beispiel
blind machen wollen.

Es ist aber überdies geradezu gelogen, wenn behauptet wird, die
Juden würden sich niemals wahrhaft mit unserm ^olköthum vereini¬
gen. Sie haben sich ja ungeachtet aller Unterdrückung, Ausschließung
und Beschimpfung bereits so vollständig nationalisirt, daß Juden in
den ersten Reihen unsrer patriotischen Kämpfer stehen. Sie haben alle
unsere innern und äußern Nationalkämpfe mit Treue und Begeisterung
angekämpft, sie sind in den fernsten Weltgegenden die Träger deutscher
Sprache und Bildung, zu allen unsern großen Nalionalwerken h.»ben
sie Geist und Gut beigesteuert und auf allen Gebieten der deutschen
Kunst, Wissenschaft und Literatur, glänzen als Sterne erster Größe
jüdische Namen. Das also, was die Juden für unser Nationalleben


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[0291] ist gegen die unversäumte und vollständige Durchführung dieses Prin¬ cips, weil, wie sie sagt, die Völker überhaupt und besonders die deut¬ schen Völker für die Freiheit noch nicht reif seien, sondern erst durch stufenweise Concessionen herangebildet werden müßten. Wagen wir es nun, über ein Volk, welches ein Theil unsers eigenen Volkes ge¬ worden ist, die Unmündigkeitserklärung auszusprechen, so ermächtigen wir dadurch die herrschende Partei, dasselbe Urtheil über uns selbst zu fällen. Die Gegner der Judenfreiheit behaupten hartnäckig, dieselbe ließe sich ohne die größten Nachtheile nicht durchführen, die Juden seien nun einmal nicht darnach, sie könnten und wollten sich nicht eigentlich und organisch unserm Volksleben anschließen, sie würden immer ein fremdes und feindliches Element bleiben. Weist man nun gegen diese Behauptung ganz einfach auf Frankreich und England hin, so erwidern jene Judenfeinde kurz und schlecht, in Frankreich und England seien andere Verhältnisse. Ganz genau so machen es nun die Feinde der deutschen Freiheit überhaupt. Sie behaupten fortwährend, Preßfrei- heit, Oeffentlichkeit, Mündlichkeit und Juryverfassung des Gerichts¬ wesens und eine wahrhaft constitutionelle Freiheit sei mit den ganz besondern und sehr schwierigen deutschen Zuständen unvereinbar. Weist man nun gegen diese grausame Behauptung auf die Macht und das Glück Frankreichs und Englands hin, so wird man kurz mit der Be¬ merkung abgefertigt, in Frankreich und England seien eben ganz an¬ dere Verhältnisse. Wenn wir also in einer so wichtigen Richtung der Freiheit gegen das englische und französische Beispiel blind sind, so rechtfertigen wir dadurch gewissermaßen das Verfahien unsrer Regie¬ rungen, die uns in Betreff der Freiheit überhaupt gegen jenes Beispiel blind machen wollen. Es ist aber überdies geradezu gelogen, wenn behauptet wird, die Juden würden sich niemals wahrhaft mit unserm ^olköthum vereini¬ gen. Sie haben sich ja ungeachtet aller Unterdrückung, Ausschließung und Beschimpfung bereits so vollständig nationalisirt, daß Juden in den ersten Reihen unsrer patriotischen Kämpfer stehen. Sie haben alle unsere innern und äußern Nationalkämpfe mit Treue und Begeisterung angekämpft, sie sind in den fernsten Weltgegenden die Träger deutscher Sprache und Bildung, zu allen unsern großen Nalionalwerken h.»ben sie Geist und Gut beigesteuert und auf allen Gebieten der deutschen Kunst, Wissenschaft und Literatur, glänzen als Sterne erster Größe jüdische Namen. Das also, was die Juden für unser Nationalleben 39*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/291>, abgerufen am 16.06.2024.