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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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leisten, nehmen wir an, eignen es uns zu, lassen es als deutsch gel¬
ten ; den Juden selber aber wollen wir den deutschen Charakter ab¬
sprechen, wollen sie von der deutschen Nationalität ausschließen unter
dem Vorwand, sie wollten und könnten nicht deutsch sein?! Durch
dieses ungerechte Verfahren beschimpfen wir die deutsche Nationalität.
Denn wenn die Juden nicht deutsch sind, wenn sie nicht werth sind,
es zu werden, warum nimmt dann die große deutsche Nation von den
verachteten Fremdlingen Almosen an, warum schmückt sie sich mit den
geistigen Werken derselben ?

Bis zu welchem Grade unsre Juden deutsch sind, beweist ein für
unsere Culturgeschichte äußerst merkwürdiges neuestes Beispiel, nämlich
der Verfasser der Dorfgeschichten, der edle Berthold Auerbach. Gewiß
wenige Leser dieser lieblichen und einfach großartigen deutschen Volks¬
bilder werden es auch nur für denkbar gehalten haben, daß diese
Dorfgeschichten von einem Juden geschrieben seien. Und doch ist Ber¬
thold Auerbach ein Jude und zwar ein aus einer armen Dorfjuden¬
familie stammender Jude. Geist, Scharfsinn und Witz hat man den
Juden immer zugestehen müssen; hier habt ihr nun einen Juden, der
als Repräsentant derjenigen Eigenschaft gelten kann, die man sonst ge¬
wöhnlich für ein Urprivilegium der urdeutschen Natur hält; hier habt
ihr einen tief gemüthlichen Juden. Hier habt ihr einen Juden, der
unser eigentliches deutsches UrVolk in seinem innersten Wesen belauscht
und erkannt hat, und dessen Herz das wärmste Mitgefühl für alle
Freuden und Leiden dieses deutschen Volks empfindet. Und nun sage
Jemand, daß dieser liebe Berthold Auerbach nicht deutsch sei!

Wer selber ächt deutsch ist, der muß die deutscheu Juden als
deutsche Mitbürger anerkennen; wer die Freiheit überhaupt will, der
muß auch für die Freiheit der Juden wirken. Und ihre Befreiung
hängt recht eigentlich von uns ab. Nicht nur die deutschen Kammern
können für sie wirken, sondern jeder deutsche Mann, wenn er damit
anfängt, sein angebornes Vorurtheil und seine persönliche Antipathie
gegen die Ju^'n abzulegen. Die deutschen Städte, in deren Weichbild
kein Jud wohnen oder sogar nur schlafen darf, die deutschen Zünfte,
die keinen Juden aufnehmen, die deutschen Städtecollegien, die den jü¬
dischen Mitbürgern Sitz und Stimme verweigern, die deutschen gelehr¬
ten und geselligen Vereine, die durch Ausschließung der Juden beweisen,
wie ungebildet unt ungesellig sie sind, -- sie Alle und jeder einzelne
Deutsche erweise den Juden Gerechtigkeit, und die Regierungen werde"
um so lieber nachfolgen^ je nothwendiger sie die Juden brauchen."


leisten, nehmen wir an, eignen es uns zu, lassen es als deutsch gel¬
ten ; den Juden selber aber wollen wir den deutschen Charakter ab¬
sprechen, wollen sie von der deutschen Nationalität ausschließen unter
dem Vorwand, sie wollten und könnten nicht deutsch sein?! Durch
dieses ungerechte Verfahren beschimpfen wir die deutsche Nationalität.
Denn wenn die Juden nicht deutsch sind, wenn sie nicht werth sind,
es zu werden, warum nimmt dann die große deutsche Nation von den
verachteten Fremdlingen Almosen an, warum schmückt sie sich mit den
geistigen Werken derselben ?

Bis zu welchem Grade unsre Juden deutsch sind, beweist ein für
unsere Culturgeschichte äußerst merkwürdiges neuestes Beispiel, nämlich
der Verfasser der Dorfgeschichten, der edle Berthold Auerbach. Gewiß
wenige Leser dieser lieblichen und einfach großartigen deutschen Volks¬
bilder werden es auch nur für denkbar gehalten haben, daß diese
Dorfgeschichten von einem Juden geschrieben seien. Und doch ist Ber¬
thold Auerbach ein Jude und zwar ein aus einer armen Dorfjuden¬
familie stammender Jude. Geist, Scharfsinn und Witz hat man den
Juden immer zugestehen müssen; hier habt ihr nun einen Juden, der
als Repräsentant derjenigen Eigenschaft gelten kann, die man sonst ge¬
wöhnlich für ein Urprivilegium der urdeutschen Natur hält; hier habt
ihr einen tief gemüthlichen Juden. Hier habt ihr einen Juden, der
unser eigentliches deutsches UrVolk in seinem innersten Wesen belauscht
und erkannt hat, und dessen Herz das wärmste Mitgefühl für alle
Freuden und Leiden dieses deutschen Volks empfindet. Und nun sage
Jemand, daß dieser liebe Berthold Auerbach nicht deutsch sei!

Wer selber ächt deutsch ist, der muß die deutscheu Juden als
deutsche Mitbürger anerkennen; wer die Freiheit überhaupt will, der
muß auch für die Freiheit der Juden wirken. Und ihre Befreiung
hängt recht eigentlich von uns ab. Nicht nur die deutschen Kammern
können für sie wirken, sondern jeder deutsche Mann, wenn er damit
anfängt, sein angebornes Vorurtheil und seine persönliche Antipathie
gegen die Ju^'n abzulegen. Die deutschen Städte, in deren Weichbild
kein Jud wohnen oder sogar nur schlafen darf, die deutschen Zünfte,
die keinen Juden aufnehmen, die deutschen Städtecollegien, die den jü¬
dischen Mitbürgern Sitz und Stimme verweigern, die deutschen gelehr¬
ten und geselligen Vereine, die durch Ausschließung der Juden beweisen,
wie ungebildet unt ungesellig sie sind, — sie Alle und jeder einzelne
Deutsche erweise den Juden Gerechtigkeit, und die Regierungen werde»
um so lieber nachfolgen^ je nothwendiger sie die Juden brauchen."


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[0292] leisten, nehmen wir an, eignen es uns zu, lassen es als deutsch gel¬ ten ; den Juden selber aber wollen wir den deutschen Charakter ab¬ sprechen, wollen sie von der deutschen Nationalität ausschließen unter dem Vorwand, sie wollten und könnten nicht deutsch sein?! Durch dieses ungerechte Verfahren beschimpfen wir die deutsche Nationalität. Denn wenn die Juden nicht deutsch sind, wenn sie nicht werth sind, es zu werden, warum nimmt dann die große deutsche Nation von den verachteten Fremdlingen Almosen an, warum schmückt sie sich mit den geistigen Werken derselben ? Bis zu welchem Grade unsre Juden deutsch sind, beweist ein für unsere Culturgeschichte äußerst merkwürdiges neuestes Beispiel, nämlich der Verfasser der Dorfgeschichten, der edle Berthold Auerbach. Gewiß wenige Leser dieser lieblichen und einfach großartigen deutschen Volks¬ bilder werden es auch nur für denkbar gehalten haben, daß diese Dorfgeschichten von einem Juden geschrieben seien. Und doch ist Ber¬ thold Auerbach ein Jude und zwar ein aus einer armen Dorfjuden¬ familie stammender Jude. Geist, Scharfsinn und Witz hat man den Juden immer zugestehen müssen; hier habt ihr nun einen Juden, der als Repräsentant derjenigen Eigenschaft gelten kann, die man sonst ge¬ wöhnlich für ein Urprivilegium der urdeutschen Natur hält; hier habt ihr einen tief gemüthlichen Juden. Hier habt ihr einen Juden, der unser eigentliches deutsches UrVolk in seinem innersten Wesen belauscht und erkannt hat, und dessen Herz das wärmste Mitgefühl für alle Freuden und Leiden dieses deutschen Volks empfindet. Und nun sage Jemand, daß dieser liebe Berthold Auerbach nicht deutsch sei! Wer selber ächt deutsch ist, der muß die deutscheu Juden als deutsche Mitbürger anerkennen; wer die Freiheit überhaupt will, der muß auch für die Freiheit der Juden wirken. Und ihre Befreiung hängt recht eigentlich von uns ab. Nicht nur die deutschen Kammern können für sie wirken, sondern jeder deutsche Mann, wenn er damit anfängt, sein angebornes Vorurtheil und seine persönliche Antipathie gegen die Ju^'n abzulegen. Die deutschen Städte, in deren Weichbild kein Jud wohnen oder sogar nur schlafen darf, die deutschen Zünfte, die keinen Juden aufnehmen, die deutschen Städtecollegien, die den jü¬ dischen Mitbürgern Sitz und Stimme verweigern, die deutschen gelehr¬ ten und geselligen Vereine, die durch Ausschließung der Juden beweisen, wie ungebildet unt ungesellig sie sind, — sie Alle und jeder einzelne Deutsche erweise den Juden Gerechtigkeit, und die Regierungen werde» um so lieber nachfolgen^ je nothwendiger sie die Juden brauchen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/292>, abgerufen am 18.05.2024.