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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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der dasselbe Original-Manuscript in Händen hatte, wie Hr. W., und
vor einigen Jahren daraus eine, und zwar die einzige wirklich artige
Probe im Morgenblatt (1838, Ur. 200) mittheilte. Hr. W. fand
dies nicht genügend, er schreibt Vorwort, Einleitung und Anmerkun¬
gen, der unternehmende Verleger wendet sechs Seiten Facsimile daran,
und ein Lump, dem ein solches Buch nicht Einen Gulden weniger
sechs Kreuzer werth ist.'

Es versteht sich, daß ich den Leser so wenig mitdem Inhalt "des
höchst interessanten, authentischen Manuscripts, dieses bedeutsamen
Fundes," als mit Hrn. W.'s Erläuterungen beschweren will. Nur
folgende zwei VVei8mimniima theile ich mit, das erste, weil es uns
etwas lehrt, das zweite, weil es Hrn. W. etwas lehren kann. Zuerst
sagt er S. 60: "Sind diese Erercitien mehr der Zeit und Lehrmethode
wegen von einigem Werthe, so finden wir dagegen auf den nächsten
Blättern wieder den rastlos an seiner Entwicklung arbeitenden Knaben.
Es folgen nämlich auf vier Seiten Glückwünsche, die der liebevolle
Sohn zum Beginn feines Tagewerkes lateinisch ausdachte, um sie
dem theuren Vater als Morgengrüfie darzubringen. Besonders schön
und beachtenswert!) erscheint es mir, daß diese Uebungen, an der Herz
und Kopf gleichmäßig Theil nahmen, grade in seinen Geburtsmonat
fallen, wo er sein neuntes Jahr vollendet hatte. Gewiß geben sie ein
schönes Zeugniß von der Gemüthstiefe des Knaben; aber sie beleuch¬
ten auch den harmonischen Frieden, der um ihn im Hause waltete,
und das ernst-innige Verhältniß zwischen Vater und Sohn. Sei nun
der Anstoß zu einer solchen Uebung von ihm selbst gekommen oder
möge der Vater ihm einen Wink gegeben haben, -- immer bleibt die
Energie, mit der der Knabe die Aufgabe löste, bewundernswerth; wir
freuen uns, hier und in den früher angeführten ähnlichen Arbeiten die
kräftigen Keime zu erblicken, aus denen des Meisters Goethe nicht er¬
reichte Sprachgewandtheit, die krystallhelle Klarheit, das herrliche Maß
und der unwiderstehliche Reiz in seiner Diction wie ein Wunderbaum
emporgewachsen ist. -- Und sehen wir, wie schwerfällig, reizlos damals
noch unsere Sprache war, wie sie noch die Fesseln man könnte sagen
fast aller lebenden und todten Sprachen nachschleppte, so wird es uns
fühlbar, welche Riesenarbeit es war, diesen Augiasstall zu säubern,
und wie alle Mühe ihn nicht zum Ziele geführt hätte, wäre nicht der
gewaltige Strom des Genies eingedrungen und all' der fremdartige Wust
mit fortgeschwemmt worden. Wie G. sich hier als Knabe mühte, sich
frei in der Sprache bewegen zu können, so wandte er bis in's späteste


Grenzbvwi. IV. 184". 5

der dasselbe Original-Manuscript in Händen hatte, wie Hr. W., und
vor einigen Jahren daraus eine, und zwar die einzige wirklich artige
Probe im Morgenblatt (1838, Ur. 200) mittheilte. Hr. W. fand
dies nicht genügend, er schreibt Vorwort, Einleitung und Anmerkun¬
gen, der unternehmende Verleger wendet sechs Seiten Facsimile daran,
und ein Lump, dem ein solches Buch nicht Einen Gulden weniger
sechs Kreuzer werth ist.'

Es versteht sich, daß ich den Leser so wenig mitdem Inhalt „des
höchst interessanten, authentischen Manuscripts, dieses bedeutsamen
Fundes," als mit Hrn. W.'s Erläuterungen beschweren will. Nur
folgende zwei VVei8mimniima theile ich mit, das erste, weil es uns
etwas lehrt, das zweite, weil es Hrn. W. etwas lehren kann. Zuerst
sagt er S. 60: „Sind diese Erercitien mehr der Zeit und Lehrmethode
wegen von einigem Werthe, so finden wir dagegen auf den nächsten
Blättern wieder den rastlos an seiner Entwicklung arbeitenden Knaben.
Es folgen nämlich auf vier Seiten Glückwünsche, die der liebevolle
Sohn zum Beginn feines Tagewerkes lateinisch ausdachte, um sie
dem theuren Vater als Morgengrüfie darzubringen. Besonders schön
und beachtenswert!) erscheint es mir, daß diese Uebungen, an der Herz
und Kopf gleichmäßig Theil nahmen, grade in seinen Geburtsmonat
fallen, wo er sein neuntes Jahr vollendet hatte. Gewiß geben sie ein
schönes Zeugniß von der Gemüthstiefe des Knaben; aber sie beleuch¬
ten auch den harmonischen Frieden, der um ihn im Hause waltete,
und das ernst-innige Verhältniß zwischen Vater und Sohn. Sei nun
der Anstoß zu einer solchen Uebung von ihm selbst gekommen oder
möge der Vater ihm einen Wink gegeben haben, — immer bleibt die
Energie, mit der der Knabe die Aufgabe löste, bewundernswerth; wir
freuen uns, hier und in den früher angeführten ähnlichen Arbeiten die
kräftigen Keime zu erblicken, aus denen des Meisters Goethe nicht er¬
reichte Sprachgewandtheit, die krystallhelle Klarheit, das herrliche Maß
und der unwiderstehliche Reiz in seiner Diction wie ein Wunderbaum
emporgewachsen ist. — Und sehen wir, wie schwerfällig, reizlos damals
noch unsere Sprache war, wie sie noch die Fesseln man könnte sagen
fast aller lebenden und todten Sprachen nachschleppte, so wird es uns
fühlbar, welche Riesenarbeit es war, diesen Augiasstall zu säubern,
und wie alle Mühe ihn nicht zum Ziele geführt hätte, wäre nicht der
gewaltige Strom des Genies eingedrungen und all' der fremdartige Wust
mit fortgeschwemmt worden. Wie G. sich hier als Knabe mühte, sich
frei in der Sprache bewegen zu können, so wandte er bis in's späteste


Grenzbvwi. IV. 184«. 5
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[0037] der dasselbe Original-Manuscript in Händen hatte, wie Hr. W., und vor einigen Jahren daraus eine, und zwar die einzige wirklich artige Probe im Morgenblatt (1838, Ur. 200) mittheilte. Hr. W. fand dies nicht genügend, er schreibt Vorwort, Einleitung und Anmerkun¬ gen, der unternehmende Verleger wendet sechs Seiten Facsimile daran, und ein Lump, dem ein solches Buch nicht Einen Gulden weniger sechs Kreuzer werth ist.' Es versteht sich, daß ich den Leser so wenig mitdem Inhalt „des höchst interessanten, authentischen Manuscripts, dieses bedeutsamen Fundes," als mit Hrn. W.'s Erläuterungen beschweren will. Nur folgende zwei VVei8mimniima theile ich mit, das erste, weil es uns etwas lehrt, das zweite, weil es Hrn. W. etwas lehren kann. Zuerst sagt er S. 60: „Sind diese Erercitien mehr der Zeit und Lehrmethode wegen von einigem Werthe, so finden wir dagegen auf den nächsten Blättern wieder den rastlos an seiner Entwicklung arbeitenden Knaben. Es folgen nämlich auf vier Seiten Glückwünsche, die der liebevolle Sohn zum Beginn feines Tagewerkes lateinisch ausdachte, um sie dem theuren Vater als Morgengrüfie darzubringen. Besonders schön und beachtenswert!) erscheint es mir, daß diese Uebungen, an der Herz und Kopf gleichmäßig Theil nahmen, grade in seinen Geburtsmonat fallen, wo er sein neuntes Jahr vollendet hatte. Gewiß geben sie ein schönes Zeugniß von der Gemüthstiefe des Knaben; aber sie beleuch¬ ten auch den harmonischen Frieden, der um ihn im Hause waltete, und das ernst-innige Verhältniß zwischen Vater und Sohn. Sei nun der Anstoß zu einer solchen Uebung von ihm selbst gekommen oder möge der Vater ihm einen Wink gegeben haben, — immer bleibt die Energie, mit der der Knabe die Aufgabe löste, bewundernswerth; wir freuen uns, hier und in den früher angeführten ähnlichen Arbeiten die kräftigen Keime zu erblicken, aus denen des Meisters Goethe nicht er¬ reichte Sprachgewandtheit, die krystallhelle Klarheit, das herrliche Maß und der unwiderstehliche Reiz in seiner Diction wie ein Wunderbaum emporgewachsen ist. — Und sehen wir, wie schwerfällig, reizlos damals noch unsere Sprache war, wie sie noch die Fesseln man könnte sagen fast aller lebenden und todten Sprachen nachschleppte, so wird es uns fühlbar, welche Riesenarbeit es war, diesen Augiasstall zu säubern, und wie alle Mühe ihn nicht zum Ziele geführt hätte, wäre nicht der gewaltige Strom des Genies eingedrungen und all' der fremdartige Wust mit fortgeschwemmt worden. Wie G. sich hier als Knabe mühte, sich frei in der Sprache bewegen zu können, so wandte er bis in's späteste Grenzbvwi. IV. 184«. 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/37>, abgerufen am 21.05.2024.