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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Diese Weigerung zweier Zeitungen, die einen jährlichen bedeutenden
Gewinn von bezahlten Inseraten beziehen, erscheint um so wunderbarer,
da sie, namentlich die Vossischen Erben, sobald sie Moses und die Pro¬
pheten sehen, ihre Spalten bereitwillig selbst dem Stadtklatsch und Jour¬
nalkehricht zu öffnen, aber mit Eonsequenz unbezahlten, wenn noch so
gemeinnützigen Artikeln, die Aufnahme zu verweigern pflegen. "Es ist
etwas faul im Staate Dänemark", sagt Hamlet, und Lady Macbeth
dürfte ihm erwidern: Alle Wohlgerüche Arabiens versüßen diesen kleinen
Fleck nicht mehr!" Wie können zwei so bejahrte Damen, die jede zwölf-
bis funfzehntausend Anbeter besitzen, noch so eifersüchtig sein auf ein neu¬
geborenes Kind, das wir philosophischer und christlicher Weise nur mit
frommen Wünschen für sein ferneres Wohl begleiten sollen, ohne ihm
seine ersten Athemzüge mörderisch zu erschweren. Athemzüge, die ihm
durch Eensurbcklcmmungen im Verlauf der Zeit sauer genug gemacht
werden dürften. Sonst sind ja die Basen in Berlin so bereit, Alles
auszuklatschen, was irgend geschieht, und nun sind ihnen die Zungen ge¬
lähmt. Kaum glaublich, aber wahr. Noch müssen die Zettel an den
Ecken kleben, wenn nicht die Thränen des Himmels, die in dieser Nacht
seit Wochen endlich reichlich geflossen sind, sie abgespült haben!


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II.
Herren und Bauern in Böhme".

Der stylistische Wohlgeruch des polemischen Beiblattes der Grenz¬
boten Ur. 37 laßt uns deutlich die Blume der Ritterschaft erkennen,
deren Heft Ur. 30 fo rühmlich erwähnt. Eine an sich Verlorne schlechte
Sache zu vertheidigen, um mindestens den Schein zu retten, erfordert
Talent, billig also hatte der hohe Klerus und die böhmische Ritterschaft jene
Vertheidigung in Ur. 37 abwehren mögen.

Ein verweigerndes Votum, wo es sich um Erleichterung des armen
Bauers handelte, zu einer Zeit, wie die heutige, ist inhuman und unklug
zugleich, an sich also nicht defensibel, am wenigsten aber durch jenes
Verschanzen hinter angebliche Formen des Hauses, nachdem eine feste
Norm, ein festes Geschäftsordnung-Reglement für die ständischen Ver¬
handlungen gar nicht bestehet; ist doch das ganze Ständewesen an
sich eine Deformität, verglichen mit den Verhältnissen, den Bedürf¬
nissen unserer Tage, sein heutiges Sichgcltendmachen ist eben deshalb
nur geeignet, dieses bloße Schattenleben, das nicht mehr paßt in die Wirk¬
lichkeiten, uns recht klar erkennen zu lassen.'

Als bloße Form, wie ehedem, ließ mans noch gelten, gleichsam
als Cabinetsstück aus der Rococoperiode, als Komödie in Puder --
sobald man die alte Form will beleben, in Bewegung setzen, zerfällt sie,
denn das Ständewesen wie es ist, reprnsentirt Stände von ehemals, nicht


Diese Weigerung zweier Zeitungen, die einen jährlichen bedeutenden
Gewinn von bezahlten Inseraten beziehen, erscheint um so wunderbarer,
da sie, namentlich die Vossischen Erben, sobald sie Moses und die Pro¬
pheten sehen, ihre Spalten bereitwillig selbst dem Stadtklatsch und Jour¬
nalkehricht zu öffnen, aber mit Eonsequenz unbezahlten, wenn noch so
gemeinnützigen Artikeln, die Aufnahme zu verweigern pflegen. „Es ist
etwas faul im Staate Dänemark", sagt Hamlet, und Lady Macbeth
dürfte ihm erwidern: Alle Wohlgerüche Arabiens versüßen diesen kleinen
Fleck nicht mehr!" Wie können zwei so bejahrte Damen, die jede zwölf-
bis funfzehntausend Anbeter besitzen, noch so eifersüchtig sein auf ein neu¬
geborenes Kind, das wir philosophischer und christlicher Weise nur mit
frommen Wünschen für sein ferneres Wohl begleiten sollen, ohne ihm
seine ersten Athemzüge mörderisch zu erschweren. Athemzüge, die ihm
durch Eensurbcklcmmungen im Verlauf der Zeit sauer genug gemacht
werden dürften. Sonst sind ja die Basen in Berlin so bereit, Alles
auszuklatschen, was irgend geschieht, und nun sind ihnen die Zungen ge¬
lähmt. Kaum glaublich, aber wahr. Noch müssen die Zettel an den
Ecken kleben, wenn nicht die Thränen des Himmels, die in dieser Nacht
seit Wochen endlich reichlich geflossen sind, sie abgespült haben!


3.3-
II.
Herren und Bauern in Böhme».

Der stylistische Wohlgeruch des polemischen Beiblattes der Grenz¬
boten Ur. 37 laßt uns deutlich die Blume der Ritterschaft erkennen,
deren Heft Ur. 30 fo rühmlich erwähnt. Eine an sich Verlorne schlechte
Sache zu vertheidigen, um mindestens den Schein zu retten, erfordert
Talent, billig also hatte der hohe Klerus und die böhmische Ritterschaft jene
Vertheidigung in Ur. 37 abwehren mögen.

Ein verweigerndes Votum, wo es sich um Erleichterung des armen
Bauers handelte, zu einer Zeit, wie die heutige, ist inhuman und unklug
zugleich, an sich also nicht defensibel, am wenigsten aber durch jenes
Verschanzen hinter angebliche Formen des Hauses, nachdem eine feste
Norm, ein festes Geschäftsordnung-Reglement für die ständischen Ver¬
handlungen gar nicht bestehet; ist doch das ganze Ständewesen an
sich eine Deformität, verglichen mit den Verhältnissen, den Bedürf¬
nissen unserer Tage, sein heutiges Sichgcltendmachen ist eben deshalb
nur geeignet, dieses bloße Schattenleben, das nicht mehr paßt in die Wirk¬
lichkeiten, uns recht klar erkennen zu lassen.'

Als bloße Form, wie ehedem, ließ mans noch gelten, gleichsam
als Cabinetsstück aus der Rococoperiode, als Komödie in Puder —
sobald man die alte Form will beleben, in Bewegung setzen, zerfällt sie,
denn das Ständewesen wie es ist, reprnsentirt Stände von ehemals, nicht


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[0042] Diese Weigerung zweier Zeitungen, die einen jährlichen bedeutenden Gewinn von bezahlten Inseraten beziehen, erscheint um so wunderbarer, da sie, namentlich die Vossischen Erben, sobald sie Moses und die Pro¬ pheten sehen, ihre Spalten bereitwillig selbst dem Stadtklatsch und Jour¬ nalkehricht zu öffnen, aber mit Eonsequenz unbezahlten, wenn noch so gemeinnützigen Artikeln, die Aufnahme zu verweigern pflegen. „Es ist etwas faul im Staate Dänemark", sagt Hamlet, und Lady Macbeth dürfte ihm erwidern: Alle Wohlgerüche Arabiens versüßen diesen kleinen Fleck nicht mehr!" Wie können zwei so bejahrte Damen, die jede zwölf- bis funfzehntausend Anbeter besitzen, noch so eifersüchtig sein auf ein neu¬ geborenes Kind, das wir philosophischer und christlicher Weise nur mit frommen Wünschen für sein ferneres Wohl begleiten sollen, ohne ihm seine ersten Athemzüge mörderisch zu erschweren. Athemzüge, die ihm durch Eensurbcklcmmungen im Verlauf der Zeit sauer genug gemacht werden dürften. Sonst sind ja die Basen in Berlin so bereit, Alles auszuklatschen, was irgend geschieht, und nun sind ihnen die Zungen ge¬ lähmt. Kaum glaublich, aber wahr. Noch müssen die Zettel an den Ecken kleben, wenn nicht die Thränen des Himmels, die in dieser Nacht seit Wochen endlich reichlich geflossen sind, sie abgespült haben! 3.3- II. Herren und Bauern in Böhme». Der stylistische Wohlgeruch des polemischen Beiblattes der Grenz¬ boten Ur. 37 laßt uns deutlich die Blume der Ritterschaft erkennen, deren Heft Ur. 30 fo rühmlich erwähnt. Eine an sich Verlorne schlechte Sache zu vertheidigen, um mindestens den Schein zu retten, erfordert Talent, billig also hatte der hohe Klerus und die böhmische Ritterschaft jene Vertheidigung in Ur. 37 abwehren mögen. Ein verweigerndes Votum, wo es sich um Erleichterung des armen Bauers handelte, zu einer Zeit, wie die heutige, ist inhuman und unklug zugleich, an sich also nicht defensibel, am wenigsten aber durch jenes Verschanzen hinter angebliche Formen des Hauses, nachdem eine feste Norm, ein festes Geschäftsordnung-Reglement für die ständischen Ver¬ handlungen gar nicht bestehet; ist doch das ganze Ständewesen an sich eine Deformität, verglichen mit den Verhältnissen, den Bedürf¬ nissen unserer Tage, sein heutiges Sichgcltendmachen ist eben deshalb nur geeignet, dieses bloße Schattenleben, das nicht mehr paßt in die Wirk¬ lichkeiten, uns recht klar erkennen zu lassen.' Als bloße Form, wie ehedem, ließ mans noch gelten, gleichsam als Cabinetsstück aus der Rococoperiode, als Komödie in Puder — sobald man die alte Form will beleben, in Bewegung setzen, zerfällt sie, denn das Ständewesen wie es ist, reprnsentirt Stände von ehemals, nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/42>, abgerufen am 22.05.2024.