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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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die heutigen; ist doch der heutige wichtigste, der kräftig auflebende bürger-
liche Mittelstand so ganz vergessen, als existirte nur Adel und niederer
Plebs. Man gestehe es nur, jene Minorität, welche die Beilage-Ur. 37
so warm vertheidigt, verschanzte sich hinter der Formaleinwendung, hof¬
fend damit die Sache selbst zu Grabe zu tragen, spricht doch jene Bei¬
lage diese Tendenz gar deutlich aus. Auch ist inzwischen die von der
Defension gehegte Hoffnung, die stets gerechte Majestät werde jenen
formalungiltigen (?) Beschluß nicht genehmigen, in Nebel aufgegangen,
denn Majestät hat den Beschluß genehmigt, überdies noch mit dem
Beisatze -- man genehmige mit um so minderem Bedenken, da man die
gleichmäßige Steuer repartition ohnehin habe anbefehlen
wollen ^ ein Beisatz, welchen die Majorität gar unliebsam aufnahm. Das
System des Steuerwesens in Böhmen chaotisch und "zerfahren, wie kaum
ein zweites, läßt sich bündig und kurz gar nicht darstellen; es ist ein Konglo¬
merat von Winkelzügen der seltensten Sorte, hat aber ein Herr Defensor
in No. 37 den Einsender der "Beurtheilung" in No. 28 an Gründ¬
lichkeit gemahnen wollen, so hatte der Herr Defensor selbst nicht falsch
angeben sollen, ursprünglich sei die Grundsteuer auf Dominical- wie
Rustical-Besitz ganz gleichmäßig umgelegt gewesen -- das ist die mun¬
terste Lüge, die je gelogen worden, denn ursprünglich hatte der Bauer
allein das Steuervergnügen zu genießen, der adelige Gutsherr steu¬
erte gar nicht, nur zeitweilig forderten die Stande freiwillige Subsi-
dien; erst unter Maria Theresia fatirten dieselben ihre Grund¬
einkünfte, übernahmen es, diesen von ihnen selbst einbekannren
Ertrag zu versteuern, und nannten diese Steuer das u'omiunüll"; ^xti-i"-
öl-limarwin! Wir begnügen uns mit dieser Anführung, ohne den Herrn
Defensor besonders an Gründlichkeit zu mahnen, doch möge der Herr
Defensor minornm uns die Frage beantworten, wie es gekommen, daß
bei allen bisherigen Repartitionen, von dem steuerbaren Erträgnisse so
ungleich Abschläge stattgefunden haben, daß man von dem dominicalen
Erträgnisse volle neunzehn Procent, von dem Rusticalen aber nur
drei Procent in Abschlag und außer Versteuerung brachte, und schon
dadurch allein drückende Ungleichheit der Besteuerung begründete, ohne
daß heute hat ermittelt werden können, wienach dieser ungleiche Abschlag
sich rechtfertige, so daß derselbe als offenbarer Abusus dies Jahr abge¬
stellt worden ist.

^ Wir zweifeln bedeutend, daß der ritterliche Defensor uns hierüber
genügenden Ausschluß wird geben, daß er uns wird überzeugen können,
daß ihn irgend andere Regung, als bitterer Verdruß, jenes bejammerns-
werthe Minoritätsvotum der Oeffentlichkeit verfallen zu sehen, zu jener
mißglückter Defension bestimmt habe, welche sich fogar zu der pyrami¬
dalen Behauptung verirrte, der Tagelöhner, Handwerker und derlei
Menschen -- die Proletarier also -- sei bei der Grundsteuerbemessung
-- und von dieser ist überall die Rede -- gedrückt, keineswegs aber der
grundbesitzende Bauer!

Daß der Nichtbesitzende durch die directe Grundsteuer nicht direct
gedrückt sein mag, räumen wir dem defendirenden Doctor der Staats-


die heutigen; ist doch der heutige wichtigste, der kräftig auflebende bürger-
liche Mittelstand so ganz vergessen, als existirte nur Adel und niederer
Plebs. Man gestehe es nur, jene Minorität, welche die Beilage-Ur. 37
so warm vertheidigt, verschanzte sich hinter der Formaleinwendung, hof¬
fend damit die Sache selbst zu Grabe zu tragen, spricht doch jene Bei¬
lage diese Tendenz gar deutlich aus. Auch ist inzwischen die von der
Defension gehegte Hoffnung, die stets gerechte Majestät werde jenen
formalungiltigen (?) Beschluß nicht genehmigen, in Nebel aufgegangen,
denn Majestät hat den Beschluß genehmigt, überdies noch mit dem
Beisatze — man genehmige mit um so minderem Bedenken, da man die
gleichmäßige Steuer repartition ohnehin habe anbefehlen
wollen ^ ein Beisatz, welchen die Majorität gar unliebsam aufnahm. Das
System des Steuerwesens in Böhmen chaotisch und "zerfahren, wie kaum
ein zweites, läßt sich bündig und kurz gar nicht darstellen; es ist ein Konglo¬
merat von Winkelzügen der seltensten Sorte, hat aber ein Herr Defensor
in No. 37 den Einsender der „Beurtheilung" in No. 28 an Gründ¬
lichkeit gemahnen wollen, so hatte der Herr Defensor selbst nicht falsch
angeben sollen, ursprünglich sei die Grundsteuer auf Dominical- wie
Rustical-Besitz ganz gleichmäßig umgelegt gewesen — das ist die mun¬
terste Lüge, die je gelogen worden, denn ursprünglich hatte der Bauer
allein das Steuervergnügen zu genießen, der adelige Gutsherr steu¬
erte gar nicht, nur zeitweilig forderten die Stande freiwillige Subsi-
dien; erst unter Maria Theresia fatirten dieselben ihre Grund¬
einkünfte, übernahmen es, diesen von ihnen selbst einbekannren
Ertrag zu versteuern, und nannten diese Steuer das u'omiunüll«; ^xti-i»-
öl-limarwin! Wir begnügen uns mit dieser Anführung, ohne den Herrn
Defensor besonders an Gründlichkeit zu mahnen, doch möge der Herr
Defensor minornm uns die Frage beantworten, wie es gekommen, daß
bei allen bisherigen Repartitionen, von dem steuerbaren Erträgnisse so
ungleich Abschläge stattgefunden haben, daß man von dem dominicalen
Erträgnisse volle neunzehn Procent, von dem Rusticalen aber nur
drei Procent in Abschlag und außer Versteuerung brachte, und schon
dadurch allein drückende Ungleichheit der Besteuerung begründete, ohne
daß heute hat ermittelt werden können, wienach dieser ungleiche Abschlag
sich rechtfertige, so daß derselbe als offenbarer Abusus dies Jahr abge¬
stellt worden ist.

^ Wir zweifeln bedeutend, daß der ritterliche Defensor uns hierüber
genügenden Ausschluß wird geben, daß er uns wird überzeugen können,
daß ihn irgend andere Regung, als bitterer Verdruß, jenes bejammerns-
werthe Minoritätsvotum der Oeffentlichkeit verfallen zu sehen, zu jener
mißglückter Defension bestimmt habe, welche sich fogar zu der pyrami¬
dalen Behauptung verirrte, der Tagelöhner, Handwerker und derlei
Menschen — die Proletarier also — sei bei der Grundsteuerbemessung
— und von dieser ist überall die Rede — gedrückt, keineswegs aber der
grundbesitzende Bauer!

Daß der Nichtbesitzende durch die directe Grundsteuer nicht direct
gedrückt sein mag, räumen wir dem defendirenden Doctor der Staats-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/43>, abgerufen am 21.05.2024.