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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Defterreichifche Grenzjäger. /°



Sauer war schon seit acht Tagen die Arbeit gewesen; Tag und
Nacht ward uns keine Ruhe vergönnt. Bald gab es Dieses, bald
Jenes. Der Posten war vielleicht einer der strengsten, aber eben da¬
durch einer der ausgezeichnetsten und angenehmsten im ganzen Gebirge.
Er stand unter der Leitung des Oberjägers und Viceführers Hader,
eines Mannes, der ganz für sein Fach geboren zu sein schien. "Macht
Euch'ö bequem", sprach er, "nach der Arbeit ist gut ruhen; morgen
hoffentlich geht es wieder von Neuem an." Wir ließen uns dies nicht
zweimal sagen. Fast Jeder entkleidete sich bis auf Unterhose und Hemd,
wie es in Ungarn Sitte ist, und ging seinem eigenen Willen nach.
Es war grade ein angenehmer Sommerabend. Die ganze Gegend,
von einem Zauberschleier umflossen, athmete Wonne. Dies erquickte
selbst die rohesten Seelen. Jeder hoffte und wünschte, es mochte un¬
gestört und ungetrübt der köstliche Abend und die noch köstlichere Nacht
vorübergehen; denn Ruhe und Schlaf gehörig zu würdigen, vermag
nur Jener, welcher beide so vielfach und auf so mühsame Weise ent¬
behren muß. Deshalb sehnten wir uns auch nach einiger unschuldi¬
gen Erholung oder Beschäftigung, die gern an die Stelle der erstern
tritt. Wer ein Liebchen hatte, besuchte es; wer den Anblick der unter¬
gehenden Sonn" genießen wollte, erstieg den nächsten Hügel; wer das
Gasthaus liebte, o.gab sich dort hin. Der Eine fischte, der Andere
arbeitete, und die Mehrzahl streckte ihre matten Glieder vor der Ka¬
serne im weichen grünen Rasen. So verfolgte ein Jeder die Freude
seines Herzens-

Der Ort, wo unsere Kaserne stand, liegt am Ausgange der stei-
nschen und österreichischen Alpen, gegen das ungarische Flachland zu.


Grenzbot",,. IV. Isi". 7
Defterreichifche Grenzjäger. /°



Sauer war schon seit acht Tagen die Arbeit gewesen; Tag und
Nacht ward uns keine Ruhe vergönnt. Bald gab es Dieses, bald
Jenes. Der Posten war vielleicht einer der strengsten, aber eben da¬
durch einer der ausgezeichnetsten und angenehmsten im ganzen Gebirge.
Er stand unter der Leitung des Oberjägers und Viceführers Hader,
eines Mannes, der ganz für sein Fach geboren zu sein schien. „Macht
Euch'ö bequem", sprach er, „nach der Arbeit ist gut ruhen; morgen
hoffentlich geht es wieder von Neuem an." Wir ließen uns dies nicht
zweimal sagen. Fast Jeder entkleidete sich bis auf Unterhose und Hemd,
wie es in Ungarn Sitte ist, und ging seinem eigenen Willen nach.
Es war grade ein angenehmer Sommerabend. Die ganze Gegend,
von einem Zauberschleier umflossen, athmete Wonne. Dies erquickte
selbst die rohesten Seelen. Jeder hoffte und wünschte, es mochte un¬
gestört und ungetrübt der köstliche Abend und die noch köstlichere Nacht
vorübergehen; denn Ruhe und Schlaf gehörig zu würdigen, vermag
nur Jener, welcher beide so vielfach und auf so mühsame Weise ent¬
behren muß. Deshalb sehnten wir uns auch nach einiger unschuldi¬
gen Erholung oder Beschäftigung, die gern an die Stelle der erstern
tritt. Wer ein Liebchen hatte, besuchte es; wer den Anblick der unter¬
gehenden Sonn" genießen wollte, erstieg den nächsten Hügel; wer das
Gasthaus liebte, o.gab sich dort hin. Der Eine fischte, der Andere
arbeitete, und die Mehrzahl streckte ihre matten Glieder vor der Ka¬
serne im weichen grünen Rasen. So verfolgte ein Jeder die Freude
seines Herzens-

Der Ort, wo unsere Kaserne stand, liegt am Ausgange der stei-
nschen und österreichischen Alpen, gegen das ungarische Flachland zu.


Grenzbot«,,. IV. Isi«. 7
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[0049] Defterreichifche Grenzjäger. /° Sauer war schon seit acht Tagen die Arbeit gewesen; Tag und Nacht ward uns keine Ruhe vergönnt. Bald gab es Dieses, bald Jenes. Der Posten war vielleicht einer der strengsten, aber eben da¬ durch einer der ausgezeichnetsten und angenehmsten im ganzen Gebirge. Er stand unter der Leitung des Oberjägers und Viceführers Hader, eines Mannes, der ganz für sein Fach geboren zu sein schien. „Macht Euch'ö bequem", sprach er, „nach der Arbeit ist gut ruhen; morgen hoffentlich geht es wieder von Neuem an." Wir ließen uns dies nicht zweimal sagen. Fast Jeder entkleidete sich bis auf Unterhose und Hemd, wie es in Ungarn Sitte ist, und ging seinem eigenen Willen nach. Es war grade ein angenehmer Sommerabend. Die ganze Gegend, von einem Zauberschleier umflossen, athmete Wonne. Dies erquickte selbst die rohesten Seelen. Jeder hoffte und wünschte, es mochte un¬ gestört und ungetrübt der köstliche Abend und die noch köstlichere Nacht vorübergehen; denn Ruhe und Schlaf gehörig zu würdigen, vermag nur Jener, welcher beide so vielfach und auf so mühsame Weise ent¬ behren muß. Deshalb sehnten wir uns auch nach einiger unschuldi¬ gen Erholung oder Beschäftigung, die gern an die Stelle der erstern tritt. Wer ein Liebchen hatte, besuchte es; wer den Anblick der unter¬ gehenden Sonn" genießen wollte, erstieg den nächsten Hügel; wer das Gasthaus liebte, o.gab sich dort hin. Der Eine fischte, der Andere arbeitete, und die Mehrzahl streckte ihre matten Glieder vor der Ka¬ serne im weichen grünen Rasen. So verfolgte ein Jeder die Freude seines Herzens- Der Ort, wo unsere Kaserne stand, liegt am Ausgange der stei- nschen und österreichischen Alpen, gegen das ungarische Flachland zu. Grenzbot«,,. IV. Isi«. 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/49>, abgerufen am 22.05.2024.