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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Der sogenannte Scheeberg, ein imposanter Anblick von nah und fern,
bildet völlig die letzte Alpenspitze. Von dort an, gegen Osten, verliert
sich immer mehr und mehr die Bergeshöhe. Die Gebirge werden zu
Hügeln, und diese endlich zur völligen Fläche. Kreuz und quer ziehen
sich die Krümmungen der mannichfaltigsten Thäler. Letztere sind sehr
enge und häufig mit Waldungen bekleidet. Die Anhöhen werden am
meisten bebaut und sind gewöhnlich mit Dörfern, selbst mit Märkten
besetzt, aber auch die Thäler nicht unbewohnt. Es gibt deren beson-
ders zwei, welche die Hauptthäler bilden und von Heerstraßen durch¬
zogen werden, deren die eine nach Steiermark, die andere nach Gnus
in Ungarn führt. An der letztern, zwei Stunden von der Grenze, lag
sah..., und eben daselbst, außerhalb des Dorfes, unsere Kaserne. Ein
Wildbach, über den ein Steg führte, trennte sie von der Straße.

Leidenfroh war eben ausgegangen, in diesem Wasser mit der An¬
gel Forellen zu fischen, -- eine Beschäftigung, die seine Freude aus¬
machte. Er hatte darin viele Gewandtheit und Kenntniß; sein uner¬
müdlicher Fleiß wurde aber auch jederzeit durch reichlichen Fang be¬
lohnt. Uebrigens war er ein seltsamer Kauz ; ich ehrte ihn lange als
meinen Liebling, bis sich endlich, einige Tage bevor ich von diesem
Grenzwachleben auf immer Abschied nahm, durch eine seltsame Bege¬
benheit meine Zuneigung zu ihm sehr verminderte.

Wir saßen nämlich, es war Ende Januars, in der Kaserne; der
Oberjäger Kranowetter hatte sich auf ein Bett gelagert und warf sein
Feuerzeug und einige Scheidemünzen, die ihn in der Tasche genirten,
in eine über seinem Kopfe hängende Guitarre. Nachdem er ausge¬
ruht hatte, wollte er diese Habseligkeiten aus dem Instrument heraus¬
nehmen; es gelang ihm jedoch nicht sogleich und ich bot mich an, es
zu versuchen. Ich that eS und siehe! drei Fünfgulden-Banknoten fielen
heraus. Nun wollte Niemand Besitzer dieses Reichthums sein. Die
Guitarre hatte Leidenfroh von einem Einnehmer entlehnt; aber auch
dieser sagte, ihm gehöre das Geld nicht. Nun gerieth Leidenfroh's
Seele in Empörung. Ich machte den Vorschlag, wir sollten den ge¬
fundenen Schatz gleichmäßig unier uns Drei vertheilen, aber Leidenfroh
sagte: "Nein!" Das Geld, behauptete er, sei ein Geschenk von schwar¬
zem ; ihn habe man dadurch bestechen oder gar dadurch verdächtig ma¬
chen wollen. Ich oder Kranowetter hätten es heimlich in sein In¬
strument gelegt, um ihn öffentlich anzuklagen und zu stürzen; dieser
gehässige Vorwurf ärgerte auch mich. Mochte Kranowetter in einer
oder der andern Beziehung sich manches Verdachtes schuldig gemacht ha-


Der sogenannte Scheeberg, ein imposanter Anblick von nah und fern,
bildet völlig die letzte Alpenspitze. Von dort an, gegen Osten, verliert
sich immer mehr und mehr die Bergeshöhe. Die Gebirge werden zu
Hügeln, und diese endlich zur völligen Fläche. Kreuz und quer ziehen
sich die Krümmungen der mannichfaltigsten Thäler. Letztere sind sehr
enge und häufig mit Waldungen bekleidet. Die Anhöhen werden am
meisten bebaut und sind gewöhnlich mit Dörfern, selbst mit Märkten
besetzt, aber auch die Thäler nicht unbewohnt. Es gibt deren beson-
ders zwei, welche die Hauptthäler bilden und von Heerstraßen durch¬
zogen werden, deren die eine nach Steiermark, die andere nach Gnus
in Ungarn führt. An der letztern, zwei Stunden von der Grenze, lag
sah..., und eben daselbst, außerhalb des Dorfes, unsere Kaserne. Ein
Wildbach, über den ein Steg führte, trennte sie von der Straße.

Leidenfroh war eben ausgegangen, in diesem Wasser mit der An¬
gel Forellen zu fischen, — eine Beschäftigung, die seine Freude aus¬
machte. Er hatte darin viele Gewandtheit und Kenntniß; sein uner¬
müdlicher Fleiß wurde aber auch jederzeit durch reichlichen Fang be¬
lohnt. Uebrigens war er ein seltsamer Kauz ; ich ehrte ihn lange als
meinen Liebling, bis sich endlich, einige Tage bevor ich von diesem
Grenzwachleben auf immer Abschied nahm, durch eine seltsame Bege¬
benheit meine Zuneigung zu ihm sehr verminderte.

Wir saßen nämlich, es war Ende Januars, in der Kaserne; der
Oberjäger Kranowetter hatte sich auf ein Bett gelagert und warf sein
Feuerzeug und einige Scheidemünzen, die ihn in der Tasche genirten,
in eine über seinem Kopfe hängende Guitarre. Nachdem er ausge¬
ruht hatte, wollte er diese Habseligkeiten aus dem Instrument heraus¬
nehmen; es gelang ihm jedoch nicht sogleich und ich bot mich an, es
zu versuchen. Ich that eS und siehe! drei Fünfgulden-Banknoten fielen
heraus. Nun wollte Niemand Besitzer dieses Reichthums sein. Die
Guitarre hatte Leidenfroh von einem Einnehmer entlehnt; aber auch
dieser sagte, ihm gehöre das Geld nicht. Nun gerieth Leidenfroh's
Seele in Empörung. Ich machte den Vorschlag, wir sollten den ge¬
fundenen Schatz gleichmäßig unier uns Drei vertheilen, aber Leidenfroh
sagte: „Nein!" Das Geld, behauptete er, sei ein Geschenk von schwar¬
zem ; ihn habe man dadurch bestechen oder gar dadurch verdächtig ma¬
chen wollen. Ich oder Kranowetter hätten es heimlich in sein In¬
strument gelegt, um ihn öffentlich anzuklagen und zu stürzen; dieser
gehässige Vorwurf ärgerte auch mich. Mochte Kranowetter in einer
oder der andern Beziehung sich manches Verdachtes schuldig gemacht ha-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/50>, abgerufen am 21.05.2024.