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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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i.
Aus Berlin.

Die grimmigen Kritiker. -- Kücken und sei" PrZtendent. -- Frau Virch-Vfciffer und Verthold Auerbach.--
Welches sind die Ansprüche des Dramatistrten und des Dram.itisircndcn? -- Vor- und Nachtheile der
französischen Gesetzgebung.

Ich sehe aus Ihren Anmerkungen, geehrter Herr Redacteur, daß Sie sehr geneigt
sind, jede der Rede werthe Produktion vor unbefugten Angriffen zu schützen. Das ist
leider jetzt noch wie ehedem an keinem Orte unsers Vaterlandes so nöthig als in Ber¬
lin. Ich will nicht geradezu sagen, daß in schöpferischer Literatur verhältnißmäßig hier
am Wenigsten producirt werde -- Viele sagen es und allem Anschein nach mit gutem
Grunde -- aber zugestehn muß ich, daß die Menge der blos b e sprechenden, man mochte
sagen z er sprechenden Schriftsteller seit Jahren hier unvcrhältnifimäßig zugenommen
hat, und daß die leichtfertige Dreistigkeit und Bissigkeit des Tons, eher im Stei¬
gen als im Abnehmen begriffen ist. Wollte man alle die kleinen Cliquen und die
Persönlichkeiten -- unter diesen ist manche interessante -- ausführlich schildern, so
würde sich als gemeinschaftliche Eigenschaft der grimmigsten "Kritiker" ergeben, daß Kei¬
nem etwas gelungen ist in schöpferischer Thätigkeit, sei's im Gedicht, im Roman, im
Drama, in der Musik, und daß nur Jeder hastig bestrebt sei, auch keinem Anderen
etwas gelingen zu lassen. Es wäre ein Leichtes, jedes angeführte Fach, Gedicht, Ro¬
man, Drama und Oper, mit Namen der grimmigsten Korrespondenten und Kritiker zu
belegen, welchen das entsprechende Fiasko in einem dieser Fächer nachzuweisen ist. Viel¬
leicht ist Zählung und Namensaufruf einmal für kurze Zeit ersprießlich. Man sagt gern,
die sreie Presse allein könne Berlin befreien von diesem kritischen Jnsektenschwarme. Ick)
möchte nicht gern widersprechen, um einen Grund mehr zu behalten sür freie Presse.
Aber ganz daran glauben kann ich auch nicht. Bessern würde freie Presse gewiß.

In diesem Augenblicke führen uns zwei Zeitungsberichte ans dies unselige Berliner
Thema: einer über Kückens "Prätendenten" in Ihrem Blatte, welchen Sie selbst schon
durch eine Note gemildert haben, und einer in der Augsburger Allg. Zeitung gegen
Frau Charlotte Birch - Pfeiffer als Verfasserin von "Dorf und Stadt." -- Den "Prä¬
tendenten" anlangend mag es ganz in der Ordnung sein, diese Oper als eine nicht eben
besondere zu charakterisiren Sie ist indessen melodiös und macht so eben auch in Ham-



") In der That hat unser Berliner V. Correspondent als Beleg, daß er über die Kücken'-
sche Oper nicht all' zu absprechend geurtheilt habe, eine Sammlung von andern Berliner Re¬
Z). Red. censionen zugeschickt, die alle ein ähnliches Urtheil über diese Komposition fällen.
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i.
Aus Berlin.

Die grimmigen Kritiker. — Kücken und sei» PrZtendent. — Frau Virch-Vfciffer und Verthold Auerbach.—
Welches sind die Ansprüche des Dramatistrten und des Dram.itisircndcn? — Vor- und Nachtheile der
französischen Gesetzgebung.

Ich sehe aus Ihren Anmerkungen, geehrter Herr Redacteur, daß Sie sehr geneigt
sind, jede der Rede werthe Produktion vor unbefugten Angriffen zu schützen. Das ist
leider jetzt noch wie ehedem an keinem Orte unsers Vaterlandes so nöthig als in Ber¬
lin. Ich will nicht geradezu sagen, daß in schöpferischer Literatur verhältnißmäßig hier
am Wenigsten producirt werde — Viele sagen es und allem Anschein nach mit gutem
Grunde — aber zugestehn muß ich, daß die Menge der blos b e sprechenden, man mochte
sagen z er sprechenden Schriftsteller seit Jahren hier unvcrhältnifimäßig zugenommen
hat, und daß die leichtfertige Dreistigkeit und Bissigkeit des Tons, eher im Stei¬
gen als im Abnehmen begriffen ist. Wollte man alle die kleinen Cliquen und die
Persönlichkeiten — unter diesen ist manche interessante — ausführlich schildern, so
würde sich als gemeinschaftliche Eigenschaft der grimmigsten „Kritiker" ergeben, daß Kei¬
nem etwas gelungen ist in schöpferischer Thätigkeit, sei's im Gedicht, im Roman, im
Drama, in der Musik, und daß nur Jeder hastig bestrebt sei, auch keinem Anderen
etwas gelingen zu lassen. Es wäre ein Leichtes, jedes angeführte Fach, Gedicht, Ro¬
man, Drama und Oper, mit Namen der grimmigsten Korrespondenten und Kritiker zu
belegen, welchen das entsprechende Fiasko in einem dieser Fächer nachzuweisen ist. Viel¬
leicht ist Zählung und Namensaufruf einmal für kurze Zeit ersprießlich. Man sagt gern,
die sreie Presse allein könne Berlin befreien von diesem kritischen Jnsektenschwarme. Ick)
möchte nicht gern widersprechen, um einen Grund mehr zu behalten sür freie Presse.
Aber ganz daran glauben kann ich auch nicht. Bessern würde freie Presse gewiß.

In diesem Augenblicke führen uns zwei Zeitungsberichte ans dies unselige Berliner
Thema: einer über Kückens „Prätendenten" in Ihrem Blatte, welchen Sie selbst schon
durch eine Note gemildert haben, und einer in der Augsburger Allg. Zeitung gegen
Frau Charlotte Birch - Pfeiffer als Verfasserin von „Dorf und Stadt." — Den „Prä¬
tendenten" anlangend mag es ganz in der Ordnung sein, diese Oper als eine nicht eben
besondere zu charakterisiren Sie ist indessen melodiös und macht so eben auch in Ham-



») In der That hat unser Berliner V. Correspondent als Beleg, daß er über die Kücken'-
sche Oper nicht all' zu absprechend geurtheilt habe, eine Sammlung von andern Berliner Re¬
Z). Red. censionen zugeschickt, die alle ein ähnliches Urtheil über diese Komposition fällen.
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[0486] T A g e b u clj. i. Aus Berlin. Die grimmigen Kritiker. — Kücken und sei» PrZtendent. — Frau Virch-Vfciffer und Verthold Auerbach.— Welches sind die Ansprüche des Dramatistrten und des Dram.itisircndcn? — Vor- und Nachtheile der französischen Gesetzgebung. Ich sehe aus Ihren Anmerkungen, geehrter Herr Redacteur, daß Sie sehr geneigt sind, jede der Rede werthe Produktion vor unbefugten Angriffen zu schützen. Das ist leider jetzt noch wie ehedem an keinem Orte unsers Vaterlandes so nöthig als in Ber¬ lin. Ich will nicht geradezu sagen, daß in schöpferischer Literatur verhältnißmäßig hier am Wenigsten producirt werde — Viele sagen es und allem Anschein nach mit gutem Grunde — aber zugestehn muß ich, daß die Menge der blos b e sprechenden, man mochte sagen z er sprechenden Schriftsteller seit Jahren hier unvcrhältnifimäßig zugenommen hat, und daß die leichtfertige Dreistigkeit und Bissigkeit des Tons, eher im Stei¬ gen als im Abnehmen begriffen ist. Wollte man alle die kleinen Cliquen und die Persönlichkeiten — unter diesen ist manche interessante — ausführlich schildern, so würde sich als gemeinschaftliche Eigenschaft der grimmigsten „Kritiker" ergeben, daß Kei¬ nem etwas gelungen ist in schöpferischer Thätigkeit, sei's im Gedicht, im Roman, im Drama, in der Musik, und daß nur Jeder hastig bestrebt sei, auch keinem Anderen etwas gelingen zu lassen. Es wäre ein Leichtes, jedes angeführte Fach, Gedicht, Ro¬ man, Drama und Oper, mit Namen der grimmigsten Korrespondenten und Kritiker zu belegen, welchen das entsprechende Fiasko in einem dieser Fächer nachzuweisen ist. Viel¬ leicht ist Zählung und Namensaufruf einmal für kurze Zeit ersprießlich. Man sagt gern, die sreie Presse allein könne Berlin befreien von diesem kritischen Jnsektenschwarme. Ick) möchte nicht gern widersprechen, um einen Grund mehr zu behalten sür freie Presse. Aber ganz daran glauben kann ich auch nicht. Bessern würde freie Presse gewiß. In diesem Augenblicke führen uns zwei Zeitungsberichte ans dies unselige Berliner Thema: einer über Kückens „Prätendenten" in Ihrem Blatte, welchen Sie selbst schon durch eine Note gemildert haben, und einer in der Augsburger Allg. Zeitung gegen Frau Charlotte Birch - Pfeiffer als Verfasserin von „Dorf und Stadt." — Den „Prä¬ tendenten" anlangend mag es ganz in der Ordnung sein, diese Oper als eine nicht eben besondere zu charakterisiren Sie ist indessen melodiös und macht so eben auch in Ham- ») In der That hat unser Berliner V. Correspondent als Beleg, daß er über die Kücken'- sche Oper nicht all' zu absprechend geurtheilt habe, eine Sammlung von andern Berliner Re¬ Z). Red. censionen zugeschickt, die alle ein ähnliches Urtheil über diese Komposition fällen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/486>, abgerufen am 17.06.2024.