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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Alle" die laute Warnung zu: "Denkt an das Wesen, an die inneren
Bedürfnisse der Völker!"

Deswegen ist aber die Form, und ganz besonders die der Regierung,
der Staatsorganisativn nicht weniger als eine Nebensache. Sie ist das Mit¬
tel zur Verwirklichung des Geistes, und überall, wo die Form selbst der
Art ist, daß sie nur einen Theil des Volkes umfaßt, ist es natürlich, daß
die Vertreter dieser Form anch nur mit Ergebenheit an die Interessen die¬
ses Theiles, den sie vertreten, denken, ans Eifer für ihn sorgen. In Folge
der nach und nach sich geltend machenden Erkenntniß, daß die inneren
Angelegenheiten die Hauptsache sind, tritt gegenwärtig eine Reaction ein, die
die äußeren, die Form für vollkommen gleichgültig an siebt. Aber diese
würde sicher bald auf ebenso bodenlose Wege gerathen, als die siud, auf de¬
ren jetzt der Staatswagen festgefahren ist. Wollen hoffen, daß die verstän¬
digen Völker nach grade die rechte Bahn erkennen lernen und einschlagen.

In Frankreich hat sich die Stimme der Warnung ebenfalls in der letz¬
ten Zeit mitunter geltend gemacht. MM hörte sie aus den höchsten und
zugleich ans den tiefsten Regionen widerklingen. In dem Ackerbaucongresse,
der in der letzten Woche stattfand, wurden mehrere Klagen laut. Man warf
der Regierung ihre Rath- und Thatlosigkeit, ihre vollkommene Unwissenheit
über die innere Lage des Ackerbaues vor. Wir hörten dort, daß die tüch-
tigsten Ackerbauer die Regierung zur rechten Zeit gewarnt, daß aber die
Regierung trotz der Warnung die Hände in den Schoos gelegt, ja, im'Ge¬
gentheile, durch ihren Agenten im Interesse des Augenblickes, um die Wah¬
len nicht zu stören, die Völker nicht zu beunruhigen, diese Warnungen selbst
öffentlich in ihren Cirkularen und Zeitungen für unbegründet und übertritt
ben erklärt habe. Das ist die Auffassungsweise unserer Zeit. Aber auch
von einer andern Seite zeigte sich dann wieder die Denkart der Leute selbst,
die in diesem Kongresse vertreten waren, das heißt die der großen und rei¬
chen Ackerbauer und Wiesenbcsitzer. Die Viehzucht ist in Frankreich geschätzt
und sehr vortheilhaft. Sie kann aber mit Erfolg nur von reichen und gro¬
ßen Herrschaften betrieben werden. Diese dringen nun darauf, den gegen¬
wärtigen Fruchtmangel dazu zu benutzen, die Nahrung des Volkes zu an
dern, und das Brot durch Fleisch zu verdrängen. In England geschah nach
der letzten englischen Revolution etwas Aehnliches in Folge der Form
der Regierung, die die Herrschaft in die Hand der großen Grundbesitzer
gab. Die neue französische Aristokratie arbeitet auf ein gleiches Ergebniß
hin, und es ist höchst wahrscheinlich, daß auch sie es halbwegs erreichen,
und bald mehr Fleisch als Brot verzehrt werden wird. Es mag das seine
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Alle» die laute Warnung zu: „Denkt an das Wesen, an die inneren
Bedürfnisse der Völker!"

Deswegen ist aber die Form, und ganz besonders die der Regierung,
der Staatsorganisativn nicht weniger als eine Nebensache. Sie ist das Mit¬
tel zur Verwirklichung des Geistes, und überall, wo die Form selbst der
Art ist, daß sie nur einen Theil des Volkes umfaßt, ist es natürlich, daß
die Vertreter dieser Form anch nur mit Ergebenheit an die Interessen die¬
ses Theiles, den sie vertreten, denken, ans Eifer für ihn sorgen. In Folge
der nach und nach sich geltend machenden Erkenntniß, daß die inneren
Angelegenheiten die Hauptsache sind, tritt gegenwärtig eine Reaction ein, die
die äußeren, die Form für vollkommen gleichgültig an siebt. Aber diese
würde sicher bald auf ebenso bodenlose Wege gerathen, als die siud, auf de¬
ren jetzt der Staatswagen festgefahren ist. Wollen hoffen, daß die verstän¬
digen Völker nach grade die rechte Bahn erkennen lernen und einschlagen.

In Frankreich hat sich die Stimme der Warnung ebenfalls in der letz¬
ten Zeit mitunter geltend gemacht. MM hörte sie aus den höchsten und
zugleich ans den tiefsten Regionen widerklingen. In dem Ackerbaucongresse,
der in der letzten Woche stattfand, wurden mehrere Klagen laut. Man warf
der Regierung ihre Rath- und Thatlosigkeit, ihre vollkommene Unwissenheit
über die innere Lage des Ackerbaues vor. Wir hörten dort, daß die tüch-
tigsten Ackerbauer die Regierung zur rechten Zeit gewarnt, daß aber die
Regierung trotz der Warnung die Hände in den Schoos gelegt, ja, im'Ge¬
gentheile, durch ihren Agenten im Interesse des Augenblickes, um die Wah¬
len nicht zu stören, die Völker nicht zu beunruhigen, diese Warnungen selbst
öffentlich in ihren Cirkularen und Zeitungen für unbegründet und übertritt
ben erklärt habe. Das ist die Auffassungsweise unserer Zeit. Aber auch
von einer andern Seite zeigte sich dann wieder die Denkart der Leute selbst,
die in diesem Kongresse vertreten waren, das heißt die der großen und rei¬
chen Ackerbauer und Wiesenbcsitzer. Die Viehzucht ist in Frankreich geschätzt
und sehr vortheilhaft. Sie kann aber mit Erfolg nur von reichen und gro¬
ßen Herrschaften betrieben werden. Diese dringen nun darauf, den gegen¬
wärtigen Fruchtmangel dazu zu benutzen, die Nahrung des Volkes zu an
dern, und das Brot durch Fleisch zu verdrängen. In England geschah nach
der letzten englischen Revolution etwas Aehnliches in Folge der Form
der Regierung, die die Herrschaft in die Hand der großen Grundbesitzer
gab. Die neue französische Aristokratie arbeitet auf ein gleiches Ergebniß
hin, und es ist höchst wahrscheinlich, daß auch sie es halbwegs erreichen,
und bald mehr Fleisch als Brot verzehrt werden wird. Es mag das seine
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/11>, abgerufen am 17.06.2024.