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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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den neuen Hofmeister in ihrem Hause stellen sollte. Sie war fast so sehr
in Verlegenheit, als ob sie einen Liebhaber in ihr Haus einschwärzen sollte,
deun so ungetrübt die freiherrliche Ehe bisher verlaufen war, so kam es
der Baronin doch in den Sinn, daß sich das ändern werde. Der schüch¬
terne Jurist mußte etwas magnetisches in seinem Wesen haben, denn das
Herz der Baronin, das allen Offizieren der Umgegend bisher tapfer wider¬
standen hatte, schlug mit großer Unruhe und jeder Blick auf sein bleiches
hübsches Gesicht ließ ihr das ihres freiherrlichcn Gemahls röther und
kupferfarbiger erscheinen. Betel errieth mit jener wunderbaren Hellsichtigkeit,
welche verliebten Frauenzimmern eigen ist, den ganzen Gemüthszustand ihrer
Gebieterin und wurde vermöge ihres lebhaften Temperamentes immer unru¬
higer, während der Gegenstand dieser rivcilisirenden Empfindungen die all¬
gemeine Stille durch allerhand schüchterne Gesprächsversnche zu unterbrechen
sich bemühte. So hatte man einige Meilen zurückgelegt, war von der
Chaussee abgebogen und holperte nun auf einem jener Landwege, die im
November regelmäßig unfahrbar werden, bis der Schnee sich darüber legt.
Es ging langsam dem Hronowcr Wirthshause zu, wo Wenzel seinen er¬
schöpften Gäulen Rast gönnen sollte. Ein höhnisches Wirthshaus in solcher
von der Hauptstraße abgelegenen Gegend ist ein langweiliger hoffnungsloser
Anblick. Eine Mauer von gelben Bruchsteinen, oder ein hölzerner Zaun,
dessen Thor und Pförtchen aber allenthalben steinern sind, zieht sich um das
Gebäude, das niedrig und schmutzig hinter einem grünen Ententeiche steht
und, wenn es nicht abgebrannt ist und von Ziegeln nen erbaut und mit
Ziegeln neu gedeckt wurde, auch mit einer Dachschlafmütze von bemoosten
Stroh und schwarzgrauen halbverfaulten Schindeln an die alte schlechte Zeit
erinnert. Im Hofe steht eine nothdürftig gedeckte, nach allen vier Seiten
offene Remise, knurrt ein schwarzer Spitz an der Kette, wälzen sich ein
Dutzend Ferkel und schnattern einige Gänse und Enten den Wagen an.
Trotz alles Hungers verliert man schon beim Einfahren den Appetit und
bei aller Müdigkeit wird man beim (Antritte in diese schmutzigen Stuben,
wo es nach Fett und Branntwein riecht, unruhig statt schläfrig. Als Wenzel
in den Hof einbiegen wollte, traten zwei bekannte Gestalten vor das Thor, --
der Baron und Karl der Jäger. Den Freiherrn hatte die Sehnsucht nach
seiner Frau und seinem Sohne zu einem Actus der Galanterie vermocht, er
hatte die Britschka anspannen lassen und war seiner Fran entgegengefahren.
Karl hatte ihn gebeten mitfahren zu dürfen und so warteten sie schon seit
einigen Stunden mit großer Ungeduld. Wenzel drehte sich um und rief in
den Wagen: "Unser gnädiger Herr ist hier!" aber schon hatte Karl geschäftig


den neuen Hofmeister in ihrem Hause stellen sollte. Sie war fast so sehr
in Verlegenheit, als ob sie einen Liebhaber in ihr Haus einschwärzen sollte,
deun so ungetrübt die freiherrliche Ehe bisher verlaufen war, so kam es
der Baronin doch in den Sinn, daß sich das ändern werde. Der schüch¬
terne Jurist mußte etwas magnetisches in seinem Wesen haben, denn das
Herz der Baronin, das allen Offizieren der Umgegend bisher tapfer wider¬
standen hatte, schlug mit großer Unruhe und jeder Blick auf sein bleiches
hübsches Gesicht ließ ihr das ihres freiherrlichcn Gemahls röther und
kupferfarbiger erscheinen. Betel errieth mit jener wunderbaren Hellsichtigkeit,
welche verliebten Frauenzimmern eigen ist, den ganzen Gemüthszustand ihrer
Gebieterin und wurde vermöge ihres lebhaften Temperamentes immer unru¬
higer, während der Gegenstand dieser rivcilisirenden Empfindungen die all¬
gemeine Stille durch allerhand schüchterne Gesprächsversnche zu unterbrechen
sich bemühte. So hatte man einige Meilen zurückgelegt, war von der
Chaussee abgebogen und holperte nun auf einem jener Landwege, die im
November regelmäßig unfahrbar werden, bis der Schnee sich darüber legt.
Es ging langsam dem Hronowcr Wirthshause zu, wo Wenzel seinen er¬
schöpften Gäulen Rast gönnen sollte. Ein höhnisches Wirthshaus in solcher
von der Hauptstraße abgelegenen Gegend ist ein langweiliger hoffnungsloser
Anblick. Eine Mauer von gelben Bruchsteinen, oder ein hölzerner Zaun,
dessen Thor und Pförtchen aber allenthalben steinern sind, zieht sich um das
Gebäude, das niedrig und schmutzig hinter einem grünen Ententeiche steht
und, wenn es nicht abgebrannt ist und von Ziegeln nen erbaut und mit
Ziegeln neu gedeckt wurde, auch mit einer Dachschlafmütze von bemoosten
Stroh und schwarzgrauen halbverfaulten Schindeln an die alte schlechte Zeit
erinnert. Im Hofe steht eine nothdürftig gedeckte, nach allen vier Seiten
offene Remise, knurrt ein schwarzer Spitz an der Kette, wälzen sich ein
Dutzend Ferkel und schnattern einige Gänse und Enten den Wagen an.
Trotz alles Hungers verliert man schon beim Einfahren den Appetit und
bei aller Müdigkeit wird man beim (Antritte in diese schmutzigen Stuben,
wo es nach Fett und Branntwein riecht, unruhig statt schläfrig. Als Wenzel
in den Hof einbiegen wollte, traten zwei bekannte Gestalten vor das Thor, —
der Baron und Karl der Jäger. Den Freiherrn hatte die Sehnsucht nach
seiner Frau und seinem Sohne zu einem Actus der Galanterie vermocht, er
hatte die Britschka anspannen lassen und war seiner Fran entgegengefahren.
Karl hatte ihn gebeten mitfahren zu dürfen und so warteten sie schon seit
einigen Stunden mit großer Ungeduld. Wenzel drehte sich um und rief in
den Wagen: „Unser gnädiger Herr ist hier!" aber schon hatte Karl geschäftig


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[0062] den neuen Hofmeister in ihrem Hause stellen sollte. Sie war fast so sehr in Verlegenheit, als ob sie einen Liebhaber in ihr Haus einschwärzen sollte, deun so ungetrübt die freiherrliche Ehe bisher verlaufen war, so kam es der Baronin doch in den Sinn, daß sich das ändern werde. Der schüch¬ terne Jurist mußte etwas magnetisches in seinem Wesen haben, denn das Herz der Baronin, das allen Offizieren der Umgegend bisher tapfer wider¬ standen hatte, schlug mit großer Unruhe und jeder Blick auf sein bleiches hübsches Gesicht ließ ihr das ihres freiherrlichcn Gemahls röther und kupferfarbiger erscheinen. Betel errieth mit jener wunderbaren Hellsichtigkeit, welche verliebten Frauenzimmern eigen ist, den ganzen Gemüthszustand ihrer Gebieterin und wurde vermöge ihres lebhaften Temperamentes immer unru¬ higer, während der Gegenstand dieser rivcilisirenden Empfindungen die all¬ gemeine Stille durch allerhand schüchterne Gesprächsversnche zu unterbrechen sich bemühte. So hatte man einige Meilen zurückgelegt, war von der Chaussee abgebogen und holperte nun auf einem jener Landwege, die im November regelmäßig unfahrbar werden, bis der Schnee sich darüber legt. Es ging langsam dem Hronowcr Wirthshause zu, wo Wenzel seinen er¬ schöpften Gäulen Rast gönnen sollte. Ein höhnisches Wirthshaus in solcher von der Hauptstraße abgelegenen Gegend ist ein langweiliger hoffnungsloser Anblick. Eine Mauer von gelben Bruchsteinen, oder ein hölzerner Zaun, dessen Thor und Pförtchen aber allenthalben steinern sind, zieht sich um das Gebäude, das niedrig und schmutzig hinter einem grünen Ententeiche steht und, wenn es nicht abgebrannt ist und von Ziegeln nen erbaut und mit Ziegeln neu gedeckt wurde, auch mit einer Dachschlafmütze von bemoosten Stroh und schwarzgrauen halbverfaulten Schindeln an die alte schlechte Zeit erinnert. Im Hofe steht eine nothdürftig gedeckte, nach allen vier Seiten offene Remise, knurrt ein schwarzer Spitz an der Kette, wälzen sich ein Dutzend Ferkel und schnattern einige Gänse und Enten den Wagen an. Trotz alles Hungers verliert man schon beim Einfahren den Appetit und bei aller Müdigkeit wird man beim (Antritte in diese schmutzigen Stuben, wo es nach Fett und Branntwein riecht, unruhig statt schläfrig. Als Wenzel in den Hof einbiegen wollte, traten zwei bekannte Gestalten vor das Thor, — der Baron und Karl der Jäger. Den Freiherrn hatte die Sehnsucht nach seiner Frau und seinem Sohne zu einem Actus der Galanterie vermocht, er hatte die Britschka anspannen lassen und war seiner Fran entgegengefahren. Karl hatte ihn gebeten mitfahren zu dürfen und so warteten sie schon seit einigen Stunden mit großer Ungeduld. Wenzel drehte sich um und rief in den Wagen: „Unser gnädiger Herr ist hier!" aber schon hatte Karl geschäftig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/62>, abgerufen am 26.05.2024.