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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Herzen gewonnen, aber er saß neben Pepi' und drückte ihre Hand unter
dein Tische, bis die beiden aus demi Bade kamen und nun das Tanzen an¬
ging. Pepi und Karl erregten allgemeine Bewunderung, sie hatte viel na¬
türliches Talent und begriff sogar die "Polka/' die längst schon in den ein¬
samen Bergschenken Eingang gefunden hatte, ehe sie in Paris ihren Sieges-
einzng hielt, nach den ersten Schritten. In den Tanzschcnken im Gebirg
ist man unbewachter als sonst wo -- man kann seine Tänzerin etwas feu¬
riger an sich drücken, ihre Stirne, ihre glühenden Wangen küssen, ohne
daß es gerade übel genommen und gedeutet wird, aber reden darf man nicht
mit ihr, sonst würde sie unfehlbar ans dem Tacte kommen. Wenn man
daher etwas abzureden hat oder sich abkühlen mochte, so geht man unge¬
hindert zur Thüre hinaus, und wenn nicht gerade ein eifersüchtiger Neben¬
buhler mit in der Stube ist, so kann man darauf rechnen, daß Niemand
nachgeht. Karl, der seine Kameraden insgeheim ersucht hatte, sich der Wei¬
ber aus Sankt Peter etwas anzunehmen, sah nun Alle genügend versorgt,
und ging mit Pepi vor das Haus. Drei Schritt vor der Thüre beginnt
ein reizender Buchenwald -- durch den mehrere Wildpfade führen -- der
Grenzjäger schlug den nächsten ein, und wie die Zweige hinter ihnen zusam-
menrauschten, schlang er den Arm um das schöne Kind und küßte sie, bis
ihm die Brust zerspringen wollte. Die Liebe hatte Pepi in den wenigen
Wochen der Trennung um Jahre gereift, sie war noch immer etwas zurück¬
haltend, aber die Blödigkeit und Angst, die bei dem ersten Zusammentreffen
sie gepeinigt hatte, war heute verschwunden und sie antwortete tapfer und
aus der Seele heraus. In der Stunde, die sie zusammen sprachen, war
das einfältige Kind, das in seinem Leben nicht über die Berge hinausge¬
kommen war, die seine väterliche Hütte umgaben, total verwandelt, alle
ungcweckten kleinen Talente, welche eine bedrohte Liebe so nöthig hat, waren
wie Primeln nach dem ersten warmen Regen aufgeblüht, und Karl war so
überwältigt von seinem Glück, daß er es nicht zu mißbrauchen wagte. Es war
aber doch hohe Zeit, daß unser Paar auf den Tanzboden zurückkehrte, denn
der Pferdehannes, dessen junges Weib die Aufmerksamkeit eines preußischen
Handwerksburschen mehr als gebührlich auf sich gezogen hatte, und dem das
braune Bier und die Eifersucht zugleich einheizten, war, wie man sagt,
fertig und sing an Spektakel zu machen. Schon hatte man ihn und den
Gesellen auseinanderreißen müssen, jetzt fing er mit einem Grenzjäger Streit
an, und die Pfcrdehaunessin trieb zum Aufbruch. Zudem war es schon
Abend geworden -- der kleine Zug setzte sich in Bewegung, von dem Gespött
der Zurückbleibenden verfolgt. Karl hatte sich fortgeschlichen und wartete


Herzen gewonnen, aber er saß neben Pepi' und drückte ihre Hand unter
dein Tische, bis die beiden aus demi Bade kamen und nun das Tanzen an¬
ging. Pepi und Karl erregten allgemeine Bewunderung, sie hatte viel na¬
türliches Talent und begriff sogar die „Polka/' die längst schon in den ein¬
samen Bergschenken Eingang gefunden hatte, ehe sie in Paris ihren Sieges-
einzng hielt, nach den ersten Schritten. In den Tanzschcnken im Gebirg
ist man unbewachter als sonst wo — man kann seine Tänzerin etwas feu¬
riger an sich drücken, ihre Stirne, ihre glühenden Wangen küssen, ohne
daß es gerade übel genommen und gedeutet wird, aber reden darf man nicht
mit ihr, sonst würde sie unfehlbar ans dem Tacte kommen. Wenn man
daher etwas abzureden hat oder sich abkühlen mochte, so geht man unge¬
hindert zur Thüre hinaus, und wenn nicht gerade ein eifersüchtiger Neben¬
buhler mit in der Stube ist, so kann man darauf rechnen, daß Niemand
nachgeht. Karl, der seine Kameraden insgeheim ersucht hatte, sich der Wei¬
ber aus Sankt Peter etwas anzunehmen, sah nun Alle genügend versorgt,
und ging mit Pepi vor das Haus. Drei Schritt vor der Thüre beginnt
ein reizender Buchenwald — durch den mehrere Wildpfade führen — der
Grenzjäger schlug den nächsten ein, und wie die Zweige hinter ihnen zusam-
menrauschten, schlang er den Arm um das schöne Kind und küßte sie, bis
ihm die Brust zerspringen wollte. Die Liebe hatte Pepi in den wenigen
Wochen der Trennung um Jahre gereift, sie war noch immer etwas zurück¬
haltend, aber die Blödigkeit und Angst, die bei dem ersten Zusammentreffen
sie gepeinigt hatte, war heute verschwunden und sie antwortete tapfer und
aus der Seele heraus. In der Stunde, die sie zusammen sprachen, war
das einfältige Kind, das in seinem Leben nicht über die Berge hinausge¬
kommen war, die seine väterliche Hütte umgaben, total verwandelt, alle
ungcweckten kleinen Talente, welche eine bedrohte Liebe so nöthig hat, waren
wie Primeln nach dem ersten warmen Regen aufgeblüht, und Karl war so
überwältigt von seinem Glück, daß er es nicht zu mißbrauchen wagte. Es war
aber doch hohe Zeit, daß unser Paar auf den Tanzboden zurückkehrte, denn
der Pferdehannes, dessen junges Weib die Aufmerksamkeit eines preußischen
Handwerksburschen mehr als gebührlich auf sich gezogen hatte, und dem das
braune Bier und die Eifersucht zugleich einheizten, war, wie man sagt,
fertig und sing an Spektakel zu machen. Schon hatte man ihn und den
Gesellen auseinanderreißen müssen, jetzt fing er mit einem Grenzjäger Streit
an, und die Pfcrdehaunessin trieb zum Aufbruch. Zudem war es schon
Abend geworden — der kleine Zug setzte sich in Bewegung, von dem Gespött
der Zurückbleibenden verfolgt. Karl hatte sich fortgeschlichen und wartete


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[0110] Herzen gewonnen, aber er saß neben Pepi' und drückte ihre Hand unter dein Tische, bis die beiden aus demi Bade kamen und nun das Tanzen an¬ ging. Pepi und Karl erregten allgemeine Bewunderung, sie hatte viel na¬ türliches Talent und begriff sogar die „Polka/' die längst schon in den ein¬ samen Bergschenken Eingang gefunden hatte, ehe sie in Paris ihren Sieges- einzng hielt, nach den ersten Schritten. In den Tanzschcnken im Gebirg ist man unbewachter als sonst wo — man kann seine Tänzerin etwas feu¬ riger an sich drücken, ihre Stirne, ihre glühenden Wangen küssen, ohne daß es gerade übel genommen und gedeutet wird, aber reden darf man nicht mit ihr, sonst würde sie unfehlbar ans dem Tacte kommen. Wenn man daher etwas abzureden hat oder sich abkühlen mochte, so geht man unge¬ hindert zur Thüre hinaus, und wenn nicht gerade ein eifersüchtiger Neben¬ buhler mit in der Stube ist, so kann man darauf rechnen, daß Niemand nachgeht. Karl, der seine Kameraden insgeheim ersucht hatte, sich der Wei¬ ber aus Sankt Peter etwas anzunehmen, sah nun Alle genügend versorgt, und ging mit Pepi vor das Haus. Drei Schritt vor der Thüre beginnt ein reizender Buchenwald — durch den mehrere Wildpfade führen — der Grenzjäger schlug den nächsten ein, und wie die Zweige hinter ihnen zusam- menrauschten, schlang er den Arm um das schöne Kind und küßte sie, bis ihm die Brust zerspringen wollte. Die Liebe hatte Pepi in den wenigen Wochen der Trennung um Jahre gereift, sie war noch immer etwas zurück¬ haltend, aber die Blödigkeit und Angst, die bei dem ersten Zusammentreffen sie gepeinigt hatte, war heute verschwunden und sie antwortete tapfer und aus der Seele heraus. In der Stunde, die sie zusammen sprachen, war das einfältige Kind, das in seinem Leben nicht über die Berge hinausge¬ kommen war, die seine väterliche Hütte umgaben, total verwandelt, alle ungcweckten kleinen Talente, welche eine bedrohte Liebe so nöthig hat, waren wie Primeln nach dem ersten warmen Regen aufgeblüht, und Karl war so überwältigt von seinem Glück, daß er es nicht zu mißbrauchen wagte. Es war aber doch hohe Zeit, daß unser Paar auf den Tanzboden zurückkehrte, denn der Pferdehannes, dessen junges Weib die Aufmerksamkeit eines preußischen Handwerksburschen mehr als gebührlich auf sich gezogen hatte, und dem das braune Bier und die Eifersucht zugleich einheizten, war, wie man sagt, fertig und sing an Spektakel zu machen. Schon hatte man ihn und den Gesellen auseinanderreißen müssen, jetzt fing er mit einem Grenzjäger Streit an, und die Pfcrdehaunessin trieb zum Aufbruch. Zudem war es schon Abend geworden — der kleine Zug setzte sich in Bewegung, von dem Gespött der Zurückbleibenden verfolgt. Karl hatte sich fortgeschlichen und wartete

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/110>, abgerufen am 29.05.2024.