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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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werden angewendet. Ferner: Vermehrung der Tempel und Wiederherstellung alt-
ehrwürdiger heiliger Ceremonien. Endlich: das Bestreben, eine Regie¬
rungsliteratur zu schaffen "Vellejus Paterculus, Valvrius Maximus).
Hier macht der Verfasser die vortreffliche Anmerkung, daß nur durch die Erzie¬
hung radikal hätte gewirkt werden können; denn die Erziehung (wie er später
S. 4Z1 sagt) gebe dem Geiste ein für allemal die Richtung für das Leben; die
Erziehung sei es, welche die Geschichte mache. Aber es ergebe sich leicht, daß
der Grundgedanke einer solchen Reform kein anderer sein könne, als das Princip
der Freiheit, d. h. der freien Entwicklung des Seelenvermögens. "Die Jngnid,"
ruft er so schön als wahr aus, "ist von Natur das Geschlecht der Zukunft, des
Wandels, das eigentlich reformatorische Geschlecht. Während daher das Alter,
als das von Natur conservative, mehr für die Gegenwart, für den Bestand der
Dinge wirkt, ist umgekehrt die Jugend, soll anders nicht ein ewiger
Stillstand und Schlendrian erzielt werden, stets für dieZnkuuft,
d. h. für friedlich reformatorische Ideen, als die alleinigen Ab-
leiter der Revolution, von Staatswegen zu erziehen." S. 322.

"Allein diese Aufgabe begriff die Monarchie vollends nicht." Vielmehr, da
man die Unzulänglichkeit der bisherigen Mittel einsah, entschloß man sich gewalt-
. sam zu verfahren. So wird denn Cap. X.- die Verfolgung der Philo¬
sophie und ihrer Jünger dargestellt. Diese Verfolgung der freien Wissen¬
schaft trat nur allmälig in's Leben. Tiberius stellte der Geschichtschreibung und
Poesie nach, der Philosophie durchaus nicht. Caligula schlug um sich wie ein
Wahnsinniger; traf aber auch die Philosophie uicht. Er verbannte nur einige
Rhetoren wegen Lehrfreiheit. Auch Claudius war zu einfältig, um systematisch
zu verfahren. Erst Nero, durch Einflüsterungen des Tigellinus aufgeregt, ver¬
folgte und vertrieb die Stoiker. Zuerst nnr einzelne Vertreter derselben (Seneka)
zuletzt jedoch, kurz vor seinem Tode, richtete er sich gegen das Princip, gegen die ge¬
säumte Philosophie. Das hatte denn die böse Folge, daß, als nach Nero's Tode die
Reaction sich auf das ungestümste geberdete, Vespasian, der ganz freisinnig regieren und
anfangs Alles wieder erlauben wollte, sich doch genöthigt sah, die "frechen" Stoiker
und Cyniker zu verbannen. Vespasian war nicht gebildet genug, um gehörig zu
unterscheiden. Nach ihm ächtet Domitian noch einmal "die gestimmte Philosophie"
(Satyre der Sulpicia). Ungemein lichtwerfend auf das praktische Wirken der
Philosophie in den Zeiten politischer Bedrängniß sind die diesem Capitel beige¬
fügten Biographien der edelsten Bekenner derselben, des Stoikers und Staats¬
mannes Thrasea Mus, des öffentlichen Lehrers der stoischen Philosophie Muso-
nius Rufus, des Cynikers Demetrius und des wunderbaren Apollonius von
Tyana -- die herrlichsten Charaktere, die ihre Ueberzeugung mit Tod oder Aech-
tung besiegelten -- vom Verfasser mit liebevoller Ausführlichkeit dargestellt. --
Im XI. Capitel endlich wird: Die Monarchie im Conflicte mit der Er-


werden angewendet. Ferner: Vermehrung der Tempel und Wiederherstellung alt-
ehrwürdiger heiliger Ceremonien. Endlich: das Bestreben, eine Regie¬
rungsliteratur zu schaffen «Vellejus Paterculus, Valvrius Maximus).
Hier macht der Verfasser die vortreffliche Anmerkung, daß nur durch die Erzie¬
hung radikal hätte gewirkt werden können; denn die Erziehung (wie er später
S. 4Z1 sagt) gebe dem Geiste ein für allemal die Richtung für das Leben; die
Erziehung sei es, welche die Geschichte mache. Aber es ergebe sich leicht, daß
der Grundgedanke einer solchen Reform kein anderer sein könne, als das Princip
der Freiheit, d. h. der freien Entwicklung des Seelenvermögens. „Die Jngnid,"
ruft er so schön als wahr aus, „ist von Natur das Geschlecht der Zukunft, des
Wandels, das eigentlich reformatorische Geschlecht. Während daher das Alter,
als das von Natur conservative, mehr für die Gegenwart, für den Bestand der
Dinge wirkt, ist umgekehrt die Jugend, soll anders nicht ein ewiger
Stillstand und Schlendrian erzielt werden, stets für dieZnkuuft,
d. h. für friedlich reformatorische Ideen, als die alleinigen Ab-
leiter der Revolution, von Staatswegen zu erziehen." S. 322.

„Allein diese Aufgabe begriff die Monarchie vollends nicht." Vielmehr, da
man die Unzulänglichkeit der bisherigen Mittel einsah, entschloß man sich gewalt-
. sam zu verfahren. So wird denn Cap. X.- die Verfolgung der Philo¬
sophie und ihrer Jünger dargestellt. Diese Verfolgung der freien Wissen¬
schaft trat nur allmälig in's Leben. Tiberius stellte der Geschichtschreibung und
Poesie nach, der Philosophie durchaus nicht. Caligula schlug um sich wie ein
Wahnsinniger; traf aber auch die Philosophie uicht. Er verbannte nur einige
Rhetoren wegen Lehrfreiheit. Auch Claudius war zu einfältig, um systematisch
zu verfahren. Erst Nero, durch Einflüsterungen des Tigellinus aufgeregt, ver¬
folgte und vertrieb die Stoiker. Zuerst nnr einzelne Vertreter derselben (Seneka)
zuletzt jedoch, kurz vor seinem Tode, richtete er sich gegen das Princip, gegen die ge¬
säumte Philosophie. Das hatte denn die böse Folge, daß, als nach Nero's Tode die
Reaction sich auf das ungestümste geberdete, Vespasian, der ganz freisinnig regieren und
anfangs Alles wieder erlauben wollte, sich doch genöthigt sah, die „frechen" Stoiker
und Cyniker zu verbannen. Vespasian war nicht gebildet genug, um gehörig zu
unterscheiden. Nach ihm ächtet Domitian noch einmal „die gestimmte Philosophie"
(Satyre der Sulpicia). Ungemein lichtwerfend auf das praktische Wirken der
Philosophie in den Zeiten politischer Bedrängniß sind die diesem Capitel beige¬
fügten Biographien der edelsten Bekenner derselben, des Stoikers und Staats¬
mannes Thrasea Mus, des öffentlichen Lehrers der stoischen Philosophie Muso-
nius Rufus, des Cynikers Demetrius und des wunderbaren Apollonius von
Tyana — die herrlichsten Charaktere, die ihre Ueberzeugung mit Tod oder Aech-
tung besiegelten — vom Verfasser mit liebevoller Ausführlichkeit dargestellt. —
Im XI. Capitel endlich wird: Die Monarchie im Conflicte mit der Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/132>, abgerufen am 17.06.2024.