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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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ziehung gezeigt. Die Elementarschulen der Grammatiker, die Universalschulen
der Rhetoren, die akademische Bedeutung der Philosophenschulen werden genau ent¬
wickelt. Es wird dargethan, daß zur Zeit der Republik der Unterricht durchaus
unabhängig vom Staate gewesen und daß er es noch weithinein in das Jahrhun¬
dert der Kaiserherrschaft geblieben. Daraus entsteht dann unter den Kaisern ein
eigenthümlicher Zwiespalt zwischen Schule und Leben. In diesem besteht Zwing¬
herrschaft, in jener bleibt der gewöhnlichste Stoff zur rhetorischen Uebung die
pathetische Lobpreisung der Freiheit, die frühere Nömergeschichte, ja selbst -- das
Auffälligste -- Aufforderungen zum Tyrannenmord. -- Die Rhetorenschulen sind
die eigentlichen Bürgerschulen. Die Rhetoren und Grammatiker befanden sich
jämmerlich; waren abhängig von den Launen der Eltern; wer nicht Mode war,
mußte verhungern. Das Gehalt war sehr gering ("An einem Tage verdient ein
Schauspieler mehr, als ein Schullehrer in einem Jahr," sagt Juveal). Diesen
Zustand nun durchschaute Vespasian oder sein Rathgeber sehr wohl und setzte
den Rhetoren ein Gehalt aus. So machte er sie von der Regierung
abhängiger. Zwar gab es nun noch viele unbesoldete Lehrer; aber es waren doch
nnn ordentliche und außerordentliche Professoren, von denen die erstem neben ihrem
Honorar auch noch die fixe Besoldung genossen. Später that Hadrian noch mehr,
indem er das Athenäum, eine große öffentliche Schule, gründete.-- DasXlI. Cap.
enthält noch einige bedeutende Schlußl>einerkungen. Der Verfasser faßt die
gleich darauf folgenden glücklichern Zeiten des Nerva, Trajan, Hadrian, Antoni-
nus und Markus Aurelius kurz in's Auge, das Preiswürdige derselben anerken¬
nend, der Zeiten, in welchen die Geschichtswerke des Tacitus eine Möglichkeit ge¬
worden. Aber er verfehlt doch nicht, daß dies Alles nur ein "vergoldetes Elend,"
nur ein "Athemschöpfen der Geschichte," nur "eine Pause im Verfall"
gewesen. Denn trotz alles guten Willens sei doch die Monarchie "nicht geistreich
genug" gewesen, um "für die geschaffene oder wiederhergestellte Freiheit schützende
Einrichtungen und eine gesetzmäßige Abgrenzung von Rechten und Pflichten zu er¬
denken, oder wenigstens nicht reif und kühn genug, um sie durchzuführen." --
Der Verfasser schließt sein Buch mit folgenden, wie uns dünkt, gewichtigen Wor¬
ten: "Wir aber können unsere Erörterungen über eine der merkwürdigsten Perio¬
den aus den Drangsalen der Denk- und Glaubensfreiheit nicht besser beschließen,
als mit dem Hinblick auf die beachtenswerthe Erfahrung der Geschichte, daß die
Beschränkung des Geistes eben so wenig eine Schutzwehr gegen das revolutionäre
Factum ist, wie die vollkommene Geistesfreiheit ein Palladium gegen die Usur¬
pation. Denn in der französischen Monarchie des achtzehnten Jahrhunderts herrschte
die Censur, und doch trat die Revolution und die Republik ein; in der römischen
Republik aber waltete unumschränkte Gedankenfreiheit, und doch ging daraus die
Wchard Treitschke. Usurpation und die Monarchie hervor." --

iSchlvfi folgt i", nächsten Heft.)


ziehung gezeigt. Die Elementarschulen der Grammatiker, die Universalschulen
der Rhetoren, die akademische Bedeutung der Philosophenschulen werden genau ent¬
wickelt. Es wird dargethan, daß zur Zeit der Republik der Unterricht durchaus
unabhängig vom Staate gewesen und daß er es noch weithinein in das Jahrhun¬
dert der Kaiserherrschaft geblieben. Daraus entsteht dann unter den Kaisern ein
eigenthümlicher Zwiespalt zwischen Schule und Leben. In diesem besteht Zwing¬
herrschaft, in jener bleibt der gewöhnlichste Stoff zur rhetorischen Uebung die
pathetische Lobpreisung der Freiheit, die frühere Nömergeschichte, ja selbst — das
Auffälligste — Aufforderungen zum Tyrannenmord. — Die Rhetorenschulen sind
die eigentlichen Bürgerschulen. Die Rhetoren und Grammatiker befanden sich
jämmerlich; waren abhängig von den Launen der Eltern; wer nicht Mode war,
mußte verhungern. Das Gehalt war sehr gering („An einem Tage verdient ein
Schauspieler mehr, als ein Schullehrer in einem Jahr," sagt Juveal). Diesen
Zustand nun durchschaute Vespasian oder sein Rathgeber sehr wohl und setzte
den Rhetoren ein Gehalt aus. So machte er sie von der Regierung
abhängiger. Zwar gab es nun noch viele unbesoldete Lehrer; aber es waren doch
nnn ordentliche und außerordentliche Professoren, von denen die erstem neben ihrem
Honorar auch noch die fixe Besoldung genossen. Später that Hadrian noch mehr,
indem er das Athenäum, eine große öffentliche Schule, gründete.— DasXlI. Cap.
enthält noch einige bedeutende Schlußl>einerkungen. Der Verfasser faßt die
gleich darauf folgenden glücklichern Zeiten des Nerva, Trajan, Hadrian, Antoni-
nus und Markus Aurelius kurz in's Auge, das Preiswürdige derselben anerken¬
nend, der Zeiten, in welchen die Geschichtswerke des Tacitus eine Möglichkeit ge¬
worden. Aber er verfehlt doch nicht, daß dies Alles nur ein „vergoldetes Elend,"
nur ein „Athemschöpfen der Geschichte," nur „eine Pause im Verfall"
gewesen. Denn trotz alles guten Willens sei doch die Monarchie „nicht geistreich
genug" gewesen, um „für die geschaffene oder wiederhergestellte Freiheit schützende
Einrichtungen und eine gesetzmäßige Abgrenzung von Rechten und Pflichten zu er¬
denken, oder wenigstens nicht reif und kühn genug, um sie durchzuführen." —
Der Verfasser schließt sein Buch mit folgenden, wie uns dünkt, gewichtigen Wor¬
ten: „Wir aber können unsere Erörterungen über eine der merkwürdigsten Perio¬
den aus den Drangsalen der Denk- und Glaubensfreiheit nicht besser beschließen,
als mit dem Hinblick auf die beachtenswerthe Erfahrung der Geschichte, daß die
Beschränkung des Geistes eben so wenig eine Schutzwehr gegen das revolutionäre
Factum ist, wie die vollkommene Geistesfreiheit ein Palladium gegen die Usur¬
pation. Denn in der französischen Monarchie des achtzehnten Jahrhunderts herrschte
die Censur, und doch trat die Revolution und die Republik ein; in der römischen
Republik aber waltete unumschränkte Gedankenfreiheit, und doch ging daraus die
Wchard Treitschke. Usurpation und die Monarchie hervor." —

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[0133] ziehung gezeigt. Die Elementarschulen der Grammatiker, die Universalschulen der Rhetoren, die akademische Bedeutung der Philosophenschulen werden genau ent¬ wickelt. Es wird dargethan, daß zur Zeit der Republik der Unterricht durchaus unabhängig vom Staate gewesen und daß er es noch weithinein in das Jahrhun¬ dert der Kaiserherrschaft geblieben. Daraus entsteht dann unter den Kaisern ein eigenthümlicher Zwiespalt zwischen Schule und Leben. In diesem besteht Zwing¬ herrschaft, in jener bleibt der gewöhnlichste Stoff zur rhetorischen Uebung die pathetische Lobpreisung der Freiheit, die frühere Nömergeschichte, ja selbst — das Auffälligste — Aufforderungen zum Tyrannenmord. — Die Rhetorenschulen sind die eigentlichen Bürgerschulen. Die Rhetoren und Grammatiker befanden sich jämmerlich; waren abhängig von den Launen der Eltern; wer nicht Mode war, mußte verhungern. Das Gehalt war sehr gering („An einem Tage verdient ein Schauspieler mehr, als ein Schullehrer in einem Jahr," sagt Juveal). Diesen Zustand nun durchschaute Vespasian oder sein Rathgeber sehr wohl und setzte den Rhetoren ein Gehalt aus. So machte er sie von der Regierung abhängiger. Zwar gab es nun noch viele unbesoldete Lehrer; aber es waren doch nnn ordentliche und außerordentliche Professoren, von denen die erstem neben ihrem Honorar auch noch die fixe Besoldung genossen. Später that Hadrian noch mehr, indem er das Athenäum, eine große öffentliche Schule, gründete.— DasXlI. Cap. enthält noch einige bedeutende Schlußl>einerkungen. Der Verfasser faßt die gleich darauf folgenden glücklichern Zeiten des Nerva, Trajan, Hadrian, Antoni- nus und Markus Aurelius kurz in's Auge, das Preiswürdige derselben anerken¬ nend, der Zeiten, in welchen die Geschichtswerke des Tacitus eine Möglichkeit ge¬ worden. Aber er verfehlt doch nicht, daß dies Alles nur ein „vergoldetes Elend," nur ein „Athemschöpfen der Geschichte," nur „eine Pause im Verfall" gewesen. Denn trotz alles guten Willens sei doch die Monarchie „nicht geistreich genug" gewesen, um „für die geschaffene oder wiederhergestellte Freiheit schützende Einrichtungen und eine gesetzmäßige Abgrenzung von Rechten und Pflichten zu er¬ denken, oder wenigstens nicht reif und kühn genug, um sie durchzuführen." — Der Verfasser schließt sein Buch mit folgenden, wie uns dünkt, gewichtigen Wor¬ ten: „Wir aber können unsere Erörterungen über eine der merkwürdigsten Perio¬ den aus den Drangsalen der Denk- und Glaubensfreiheit nicht besser beschließen, als mit dem Hinblick auf die beachtenswerthe Erfahrung der Geschichte, daß die Beschränkung des Geistes eben so wenig eine Schutzwehr gegen das revolutionäre Factum ist, wie die vollkommene Geistesfreiheit ein Palladium gegen die Usur¬ pation. Denn in der französischen Monarchie des achtzehnten Jahrhunderts herrschte die Censur, und doch trat die Revolution und die Republik ein; in der römischen Republik aber waltete unumschränkte Gedankenfreiheit, und doch ging daraus die Wchard Treitschke. Usurpation und die Monarchie hervor." — iSchlvfi folgt i», nächsten Heft.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/133>, abgerufen am 26.05.2024.