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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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zusehen, man konnte sie nöthigenfalls mit einer ganz gelinden Anwendung von
Gewalt hintertreiben. Viel wichtiger war die Frage, was die Polen zunächst
vorhätten?

Auch hier schien die Antwort einfach. Die östreichische und preußische Re¬
gierung sollten ihre Provinzen freigeben, alsdann würde man sich aus Frankreich
Waffen und Geld verschaffen und den weißen Adler gegen Rußland führen, um
mit Hilfe einer Jnsurrection in Russisch-Polen, vielleicht auch eines Abfalls von
Seiten eines großen Theils der dort stationirten Truppen, die Wiederherstellung
Polens anzubahnen.

Daß die Regierungen wirklich geneigt waren, die Polen loszuwerden, daß
sie in dieser Ansicht vollkommen mit ihren Völkern übereinstimmten, kann man bei
einer ruhigen Ueberlegung nicht bezweifeln. Ihr Interesse ging hier mit ihrem
Rechtsgefühl Hand in Hand. Die Schwierigkeit lag nur darin, auf welche Weise
diese Freigebung zu bewerkstelligen sei.

Sie ließ sich in zweierlei Formen denken. Entweder konnte die Regierung
ihre Truppen und Beamte ohne weiteres hinausziehen und dann den Polen sagen,
nun seht selber zu, wie ihr euch weiter forthelft. Oder sie mußte den Versuch machen,
vor der Freilassung von Staatswegen eine Reorganisation der Provinz zu bewerk¬
stelligen, um es ihr möglich zu macheu, nicht blos dem Namen nach ans eigenen
Füßen zu stehen.

Der erste Weg wäre vielleicht nnr in Krakau möglich gewesen. Hier war die
östreichische Herrschaft noch nicht alt geworden, die Stadt konnte mit Leichtigkeit
zu ihrer republikanischen Verfassung zurückkehren. Man sollte sich wundern, warum
die östreichische Regierung diesen einfachen Weg nicht wirklich und augenblicklich
eingeschlagen, wenn nicht zwei Bedenken ihm entgegenständen.

Einmal würde die Freigebung Krakaus ohne Galizien bei dem argwöhnischen
Charakter der Polen diesen das Mißtrauen eingeflößt haben, man gehe ans eine
vierte Theilung Polens ans, man wolle Galizien behalten. Sodann mußte man
fürchten, die neue Republik augenblicklich in einen Krieg mit Rußland verwickelt
und in Folge dessen in kürzester Frist in den Händen Rußlands zu sehen.

Gegen die unmittelbare Freilassung Galiziens sprach aber das menschliche
Gefühl. Wenn man an die Scenen von 1846 denkt, so wird man leicht zu der
Ueberzeugung gelangen, daß ein plötzliches Herausziehen der östreichischen Truppen
aus Galizien eben so viel gewesen wäre, als eine Proklamation der fürchterlichsten
Anarchie. Wären die polnischen Edelleute nicht so ganz verblendet, so mußten sie
einen solchen Schritt der Regierung als einen für sie verhängnißvollen scheuen
und hintertreiben.

Aber eine Reorganisation Galiziens in polnischem Sinne hatte auch ihre un-
absehlichen Schwierigkeiten. Man denke daran, daß I84ö die Negierung sich der


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zusehen, man konnte sie nöthigenfalls mit einer ganz gelinden Anwendung von
Gewalt hintertreiben. Viel wichtiger war die Frage, was die Polen zunächst
vorhätten?

Auch hier schien die Antwort einfach. Die östreichische und preußische Re¬
gierung sollten ihre Provinzen freigeben, alsdann würde man sich aus Frankreich
Waffen und Geld verschaffen und den weißen Adler gegen Rußland führen, um
mit Hilfe einer Jnsurrection in Russisch-Polen, vielleicht auch eines Abfalls von
Seiten eines großen Theils der dort stationirten Truppen, die Wiederherstellung
Polens anzubahnen.

Daß die Regierungen wirklich geneigt waren, die Polen loszuwerden, daß
sie in dieser Ansicht vollkommen mit ihren Völkern übereinstimmten, kann man bei
einer ruhigen Ueberlegung nicht bezweifeln. Ihr Interesse ging hier mit ihrem
Rechtsgefühl Hand in Hand. Die Schwierigkeit lag nur darin, auf welche Weise
diese Freigebung zu bewerkstelligen sei.

Sie ließ sich in zweierlei Formen denken. Entweder konnte die Regierung
ihre Truppen und Beamte ohne weiteres hinausziehen und dann den Polen sagen,
nun seht selber zu, wie ihr euch weiter forthelft. Oder sie mußte den Versuch machen,
vor der Freilassung von Staatswegen eine Reorganisation der Provinz zu bewerk¬
stelligen, um es ihr möglich zu macheu, nicht blos dem Namen nach ans eigenen
Füßen zu stehen.

Der erste Weg wäre vielleicht nnr in Krakau möglich gewesen. Hier war die
östreichische Herrschaft noch nicht alt geworden, die Stadt konnte mit Leichtigkeit
zu ihrer republikanischen Verfassung zurückkehren. Man sollte sich wundern, warum
die östreichische Regierung diesen einfachen Weg nicht wirklich und augenblicklich
eingeschlagen, wenn nicht zwei Bedenken ihm entgegenständen.

Einmal würde die Freigebung Krakaus ohne Galizien bei dem argwöhnischen
Charakter der Polen diesen das Mißtrauen eingeflößt haben, man gehe ans eine
vierte Theilung Polens ans, man wolle Galizien behalten. Sodann mußte man
fürchten, die neue Republik augenblicklich in einen Krieg mit Rußland verwickelt
und in Folge dessen in kürzester Frist in den Händen Rußlands zu sehen.

Gegen die unmittelbare Freilassung Galiziens sprach aber das menschliche
Gefühl. Wenn man an die Scenen von 1846 denkt, so wird man leicht zu der
Ueberzeugung gelangen, daß ein plötzliches Herausziehen der östreichischen Truppen
aus Galizien eben so viel gewesen wäre, als eine Proklamation der fürchterlichsten
Anarchie. Wären die polnischen Edelleute nicht so ganz verblendet, so mußten sie
einen solchen Schritt der Regierung als einen für sie verhängnißvollen scheuen
und hintertreiben.

Aber eine Reorganisation Galiziens in polnischem Sinne hatte auch ihre un-
absehlichen Schwierigkeiten. Man denke daran, daß I84ö die Negierung sich der


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[0159] zusehen, man konnte sie nöthigenfalls mit einer ganz gelinden Anwendung von Gewalt hintertreiben. Viel wichtiger war die Frage, was die Polen zunächst vorhätten? Auch hier schien die Antwort einfach. Die östreichische und preußische Re¬ gierung sollten ihre Provinzen freigeben, alsdann würde man sich aus Frankreich Waffen und Geld verschaffen und den weißen Adler gegen Rußland führen, um mit Hilfe einer Jnsurrection in Russisch-Polen, vielleicht auch eines Abfalls von Seiten eines großen Theils der dort stationirten Truppen, die Wiederherstellung Polens anzubahnen. Daß die Regierungen wirklich geneigt waren, die Polen loszuwerden, daß sie in dieser Ansicht vollkommen mit ihren Völkern übereinstimmten, kann man bei einer ruhigen Ueberlegung nicht bezweifeln. Ihr Interesse ging hier mit ihrem Rechtsgefühl Hand in Hand. Die Schwierigkeit lag nur darin, auf welche Weise diese Freigebung zu bewerkstelligen sei. Sie ließ sich in zweierlei Formen denken. Entweder konnte die Regierung ihre Truppen und Beamte ohne weiteres hinausziehen und dann den Polen sagen, nun seht selber zu, wie ihr euch weiter forthelft. Oder sie mußte den Versuch machen, vor der Freilassung von Staatswegen eine Reorganisation der Provinz zu bewerk¬ stelligen, um es ihr möglich zu macheu, nicht blos dem Namen nach ans eigenen Füßen zu stehen. Der erste Weg wäre vielleicht nnr in Krakau möglich gewesen. Hier war die östreichische Herrschaft noch nicht alt geworden, die Stadt konnte mit Leichtigkeit zu ihrer republikanischen Verfassung zurückkehren. Man sollte sich wundern, warum die östreichische Regierung diesen einfachen Weg nicht wirklich und augenblicklich eingeschlagen, wenn nicht zwei Bedenken ihm entgegenständen. Einmal würde die Freigebung Krakaus ohne Galizien bei dem argwöhnischen Charakter der Polen diesen das Mißtrauen eingeflößt haben, man gehe ans eine vierte Theilung Polens ans, man wolle Galizien behalten. Sodann mußte man fürchten, die neue Republik augenblicklich in einen Krieg mit Rußland verwickelt und in Folge dessen in kürzester Frist in den Händen Rußlands zu sehen. Gegen die unmittelbare Freilassung Galiziens sprach aber das menschliche Gefühl. Wenn man an die Scenen von 1846 denkt, so wird man leicht zu der Ueberzeugung gelangen, daß ein plötzliches Herausziehen der östreichischen Truppen aus Galizien eben so viel gewesen wäre, als eine Proklamation der fürchterlichsten Anarchie. Wären die polnischen Edelleute nicht so ganz verblendet, so mußten sie einen solchen Schritt der Regierung als einen für sie verhängnißvollen scheuen und hintertreiben. Aber eine Reorganisation Galiziens in polnischem Sinne hatte auch ihre un- absehlichen Schwierigkeiten. Man denke daran, daß I84ö die Negierung sich der Grcnzlwt-n. II. tuis. 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/159>, abgerufen am 25.05.2024.