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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Bauern gegen den insnrgirten Adel bedient hat. Was sollten die Bauern, die bis
dahin in der Regierung ihre letzte Zuflucht gegen den fürchterlichen Druck, unter
dem sie seufzten, gesehen hatten, nun dazu denken, wenn dieselbe Regierung auf
einmal die Absicht aussprach, sie diesen Herren gebunden in die Hände zu geben?
Es war mit der Ehre der Regierung unverträglich, einen solchen Schritt zu thun,
der aller Wahrscheinlichkeit uach zur sofortigen Folge einen Bürgerkrieg gehabt
hätte. Oder sollte sie, was weit sichrer in's Werk zu setzen ihre Pflicht gewesen
wäre, die agrarischen Verhältnisse nun im Augenblick der Krisis in ihre Hand
nehmen und ihr letztes Auftreten durch eine Emancipation der unterdrückten Volks¬
klassen verherrlichen? Das hätte wieder einen Aufstand des polnischen Adels herbei¬
geführt und die Entwickelung bedeutender Truppenmassen nöthig gemacht, in einem
Augenblicke, wo Oestreich anderwärts alle Hände voll zu thun hatte. Von dem
Geschrei, das augenblicklich die Polophilen angestimmt hätten, will ich gar nicht
reden.

In Anbetracht dieser sich kreuzenden Schwierigkeiten hat die östreichische Re¬
gierung bis dahin der Sache zugesehn. Galizien soll sich derselben Vortheile er¬
freuen, welche Oestreich in den Märztagen erkämpft hat. Aber die Preßfreiheit,
welche dem gebildeten Oestreicher ein so wichtiger Fortschritt in der politischen
Freiheit ist, wird dem galizischen Bauer uicht viel nützen, und die Aussicht, in
den östreichschen Centralständen vertreten zu sein, wird für ihn auch nicht viel
Lockendes haben.

Wenden wir uns zu den preußischen Polen, so finden wir hier von Seiten
der Behörden eine Reihe von Maßregeln, die aber bis dahin die Frage eben so
wenig einer Lösung genähert haben. Der General v. Willisen, dem die Mission
zu Theil wurde, Polen zu reorganisiren, weil er das Vertrauen der Polen genoß,
ist mehr Enthusiast als Staatsmann. Er machte in seinen übrigens sehr löblichen
Versuchen verschiedene Fehler. Einmal handelte er nicht im Einverständnis) mit
den bestehenden Behörden, und so kam es, daß an demselben Tage Proklama¬
tionen an ihn und an den kommandirenden General erschienen, die sich direct
widersprachen. Das untergrub deu Einfluß der Regierung vollständig und stellte
ihn selber in ein zweideutiges Licht. Allerdings lag die Schuld zum Theil in
der Unklarheit seiner Stellung. Sodann ließ er sich, im zu großen Vertrauen
auf die polnische Nation, von dem polnischen Comite zu Schritten verleiten, deren
Bedeutung er nicht übersehen konnte, und die er daher später wohl oder übel zu¬
rücknehmen mußte; ein Schwanken, welches das Mißtrauen der polnischen Be¬
völkerung und die unsichere Stellung der Regierung nur noch vergrößern mußte.
Endlich stieß er der deutsche" Bevölkerung ans eine Weise vor den Kopf, die ihren
gerechten Zorn erregen mußte, und die auf ihrer Seite eine Leidenschaftlichkeit
hervorrief, die der polnischen wenig nachgab.

Es sind nicht blos die Deutschen des Großherzogthums, in denen diese Ent-


Bauern gegen den insnrgirten Adel bedient hat. Was sollten die Bauern, die bis
dahin in der Regierung ihre letzte Zuflucht gegen den fürchterlichen Druck, unter
dem sie seufzten, gesehen hatten, nun dazu denken, wenn dieselbe Regierung auf
einmal die Absicht aussprach, sie diesen Herren gebunden in die Hände zu geben?
Es war mit der Ehre der Regierung unverträglich, einen solchen Schritt zu thun,
der aller Wahrscheinlichkeit uach zur sofortigen Folge einen Bürgerkrieg gehabt
hätte. Oder sollte sie, was weit sichrer in's Werk zu setzen ihre Pflicht gewesen
wäre, die agrarischen Verhältnisse nun im Augenblick der Krisis in ihre Hand
nehmen und ihr letztes Auftreten durch eine Emancipation der unterdrückten Volks¬
klassen verherrlichen? Das hätte wieder einen Aufstand des polnischen Adels herbei¬
geführt und die Entwickelung bedeutender Truppenmassen nöthig gemacht, in einem
Augenblicke, wo Oestreich anderwärts alle Hände voll zu thun hatte. Von dem
Geschrei, das augenblicklich die Polophilen angestimmt hätten, will ich gar nicht
reden.

In Anbetracht dieser sich kreuzenden Schwierigkeiten hat die östreichische Re¬
gierung bis dahin der Sache zugesehn. Galizien soll sich derselben Vortheile er¬
freuen, welche Oestreich in den Märztagen erkämpft hat. Aber die Preßfreiheit,
welche dem gebildeten Oestreicher ein so wichtiger Fortschritt in der politischen
Freiheit ist, wird dem galizischen Bauer uicht viel nützen, und die Aussicht, in
den östreichschen Centralständen vertreten zu sein, wird für ihn auch nicht viel
Lockendes haben.

Wenden wir uns zu den preußischen Polen, so finden wir hier von Seiten
der Behörden eine Reihe von Maßregeln, die aber bis dahin die Frage eben so
wenig einer Lösung genähert haben. Der General v. Willisen, dem die Mission
zu Theil wurde, Polen zu reorganisiren, weil er das Vertrauen der Polen genoß,
ist mehr Enthusiast als Staatsmann. Er machte in seinen übrigens sehr löblichen
Versuchen verschiedene Fehler. Einmal handelte er nicht im Einverständnis) mit
den bestehenden Behörden, und so kam es, daß an demselben Tage Proklama¬
tionen an ihn und an den kommandirenden General erschienen, die sich direct
widersprachen. Das untergrub deu Einfluß der Regierung vollständig und stellte
ihn selber in ein zweideutiges Licht. Allerdings lag die Schuld zum Theil in
der Unklarheit seiner Stellung. Sodann ließ er sich, im zu großen Vertrauen
auf die polnische Nation, von dem polnischen Comite zu Schritten verleiten, deren
Bedeutung er nicht übersehen konnte, und die er daher später wohl oder übel zu¬
rücknehmen mußte; ein Schwanken, welches das Mißtrauen der polnischen Be¬
völkerung und die unsichere Stellung der Regierung nur noch vergrößern mußte.
Endlich stieß er der deutsche« Bevölkerung ans eine Weise vor den Kopf, die ihren
gerechten Zorn erregen mußte, und die auf ihrer Seite eine Leidenschaftlichkeit
hervorrief, die der polnischen wenig nachgab.

Es sind nicht blos die Deutschen des Großherzogthums, in denen diese Ent-


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[0160] Bauern gegen den insnrgirten Adel bedient hat. Was sollten die Bauern, die bis dahin in der Regierung ihre letzte Zuflucht gegen den fürchterlichen Druck, unter dem sie seufzten, gesehen hatten, nun dazu denken, wenn dieselbe Regierung auf einmal die Absicht aussprach, sie diesen Herren gebunden in die Hände zu geben? Es war mit der Ehre der Regierung unverträglich, einen solchen Schritt zu thun, der aller Wahrscheinlichkeit uach zur sofortigen Folge einen Bürgerkrieg gehabt hätte. Oder sollte sie, was weit sichrer in's Werk zu setzen ihre Pflicht gewesen wäre, die agrarischen Verhältnisse nun im Augenblick der Krisis in ihre Hand nehmen und ihr letztes Auftreten durch eine Emancipation der unterdrückten Volks¬ klassen verherrlichen? Das hätte wieder einen Aufstand des polnischen Adels herbei¬ geführt und die Entwickelung bedeutender Truppenmassen nöthig gemacht, in einem Augenblicke, wo Oestreich anderwärts alle Hände voll zu thun hatte. Von dem Geschrei, das augenblicklich die Polophilen angestimmt hätten, will ich gar nicht reden. In Anbetracht dieser sich kreuzenden Schwierigkeiten hat die östreichische Re¬ gierung bis dahin der Sache zugesehn. Galizien soll sich derselben Vortheile er¬ freuen, welche Oestreich in den Märztagen erkämpft hat. Aber die Preßfreiheit, welche dem gebildeten Oestreicher ein so wichtiger Fortschritt in der politischen Freiheit ist, wird dem galizischen Bauer uicht viel nützen, und die Aussicht, in den östreichschen Centralständen vertreten zu sein, wird für ihn auch nicht viel Lockendes haben. Wenden wir uns zu den preußischen Polen, so finden wir hier von Seiten der Behörden eine Reihe von Maßregeln, die aber bis dahin die Frage eben so wenig einer Lösung genähert haben. Der General v. Willisen, dem die Mission zu Theil wurde, Polen zu reorganisiren, weil er das Vertrauen der Polen genoß, ist mehr Enthusiast als Staatsmann. Er machte in seinen übrigens sehr löblichen Versuchen verschiedene Fehler. Einmal handelte er nicht im Einverständnis) mit den bestehenden Behörden, und so kam es, daß an demselben Tage Proklama¬ tionen an ihn und an den kommandirenden General erschienen, die sich direct widersprachen. Das untergrub deu Einfluß der Regierung vollständig und stellte ihn selber in ein zweideutiges Licht. Allerdings lag die Schuld zum Theil in der Unklarheit seiner Stellung. Sodann ließ er sich, im zu großen Vertrauen auf die polnische Nation, von dem polnischen Comite zu Schritten verleiten, deren Bedeutung er nicht übersehen konnte, und die er daher später wohl oder übel zu¬ rücknehmen mußte; ein Schwanken, welches das Mißtrauen der polnischen Be¬ völkerung und die unsichere Stellung der Regierung nur noch vergrößern mußte. Endlich stieß er der deutsche« Bevölkerung ans eine Weise vor den Kopf, die ihren gerechten Zorn erregen mußte, und die auf ihrer Seite eine Leidenschaftlichkeit hervorrief, die der polnischen wenig nachgab. Es sind nicht blos die Deutschen des Großherzogthums, in denen diese Ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/160>, abgerufen am 17.06.2024.