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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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scheu Nation u. s. w. u. s. w. Für den Bescheidenen ist aber das Bewußtsein
der Unwissenheit die Quelle der Weisheit.

Es scheint übrigens diese Unwissenheit -- über den Umstand nämlich, daß
Deutschlands Geschichte gegenwärtig in Frankfurt gemacht wird, doch noch ziemlich
allgemein zu sein; so viel ich sehen konnte , war bei all den Deputationen, die
in Frankfurt bestimmte Zwecke durchzusetzen suchten, ich der einzige, der sich aus
rein historischem, also wissenschaftlichem Interesse daselbst aufhielt. Ich kam mir
vor wie der einzige auswärtige Abonnent einer für Europa bestimmten Zeitung,
die vorläufig sich mit den Functionen eines Localblattes begnügen muß.

Zwischen diesem Entschluß und der Thurn- und Taxisscheu Diligence vermittelt
die thüringer Eisenbahn. Es hat trotz der Vortrefflichkeit der Wagen, der besten,
die ich bisher auf irgend einer der mir bekannten Bahnen gefunden habe, etwas
Unbehagliches, an deu anmuthigen Gegenden, die man früher in studentischer
Spritzfahrt gemüthlich durchlebt, mit moderner Gemüthlosigkeit vorüberfliegen zu
müssen, noch dazu uuter so kriegerischen Umständen. Auf deu Eisenbahnen ist von
nichts anderem die Rede, als von den Wahlen, von den Schleswig-Holsteiuern
und den Aufständen der Arbeiter gegen die Fabrikanten, der Bauern gegen ihre
Herren. Große Städte gewinnen dadurch nnr noch einen neuen Reiz, in dieser
anmuthigen Natur ist es ein Mißlaut. Freilich haben jene Bewegungen auch
keinen ästhetischen Zweck. Von Außen sieht man in den Städten nur die schwarz-
roth-goldne Fahne flattern und diese Farben stimmen gut zusammen; die meisten
Geschichten, die man hört, lassen sich in der Erzählung noch immer besser an, als
wenn man sie unmittelbar vor Augen hätte. Der Preuße wird fortwährend durch
die gute Meinung, die man über sein liebes Vaterland durch ganz Deutsch¬
land zu haben scheint, empfindlich verletzt, und doch, wenn man bei Erfurt
wieder die alten preußischen Helme sieht, so kann man die Erinnerung an den
19. März, an dem die Truppen gegen das Volk geschossen, nicht ganz verwischen.
Die Vorwürfe gegen Preußen kreuzen sich übrigens auf eine närrische Weise; die
kleinen Staaten, die früher durch Preußen geknechtet waren, scheinen nun an ihm
ihr Mürhcheu kühlen zu wollen, es gibt keinen patriotischen Verein und keine
Tabagie, in der nicht fulminante Decrete gegen Preußen erlassen werden. Na¬
mentlich erhob sich bei der Niederlage des holstcinschen Freicorps bei Flensburg
ein wahrhaft bestialisches Rachegeschrei gegen Preußen; den Tag vor meiner Ab¬
reise von Leipzig war in dem deutschen Verein ein Vortrag über jenes Gefecht
gehalten worden, nach dem mau glauben mußte, die preußischen Truppen hätten
in ruhiger Promenade zugesehen, wie die Dänen ihre deutschen Brüder gemordet.
Daß diese Promenade in einer Distance von fünf Meilen stattfand, schien uner¬
heblich. Wenn ich nicht irre, beschloß man damals, eine Klage in Frankfurt gegen.
Preußen einzureichen, und ähnliche Klagen liefen zu Dutzenden ein. Daß sich


scheu Nation u. s. w. u. s. w. Für den Bescheidenen ist aber das Bewußtsein
der Unwissenheit die Quelle der Weisheit.

Es scheint übrigens diese Unwissenheit — über den Umstand nämlich, daß
Deutschlands Geschichte gegenwärtig in Frankfurt gemacht wird, doch noch ziemlich
allgemein zu sein; so viel ich sehen konnte , war bei all den Deputationen, die
in Frankfurt bestimmte Zwecke durchzusetzen suchten, ich der einzige, der sich aus
rein historischem, also wissenschaftlichem Interesse daselbst aufhielt. Ich kam mir
vor wie der einzige auswärtige Abonnent einer für Europa bestimmten Zeitung,
die vorläufig sich mit den Functionen eines Localblattes begnügen muß.

Zwischen diesem Entschluß und der Thurn- und Taxisscheu Diligence vermittelt
die thüringer Eisenbahn. Es hat trotz der Vortrefflichkeit der Wagen, der besten,
die ich bisher auf irgend einer der mir bekannten Bahnen gefunden habe, etwas
Unbehagliches, an deu anmuthigen Gegenden, die man früher in studentischer
Spritzfahrt gemüthlich durchlebt, mit moderner Gemüthlosigkeit vorüberfliegen zu
müssen, noch dazu uuter so kriegerischen Umständen. Auf deu Eisenbahnen ist von
nichts anderem die Rede, als von den Wahlen, von den Schleswig-Holsteiuern
und den Aufständen der Arbeiter gegen die Fabrikanten, der Bauern gegen ihre
Herren. Große Städte gewinnen dadurch nnr noch einen neuen Reiz, in dieser
anmuthigen Natur ist es ein Mißlaut. Freilich haben jene Bewegungen auch
keinen ästhetischen Zweck. Von Außen sieht man in den Städten nur die schwarz-
roth-goldne Fahne flattern und diese Farben stimmen gut zusammen; die meisten
Geschichten, die man hört, lassen sich in der Erzählung noch immer besser an, als
wenn man sie unmittelbar vor Augen hätte. Der Preuße wird fortwährend durch
die gute Meinung, die man über sein liebes Vaterland durch ganz Deutsch¬
land zu haben scheint, empfindlich verletzt, und doch, wenn man bei Erfurt
wieder die alten preußischen Helme sieht, so kann man die Erinnerung an den
19. März, an dem die Truppen gegen das Volk geschossen, nicht ganz verwischen.
Die Vorwürfe gegen Preußen kreuzen sich übrigens auf eine närrische Weise; die
kleinen Staaten, die früher durch Preußen geknechtet waren, scheinen nun an ihm
ihr Mürhcheu kühlen zu wollen, es gibt keinen patriotischen Verein und keine
Tabagie, in der nicht fulminante Decrete gegen Preußen erlassen werden. Na¬
mentlich erhob sich bei der Niederlage des holstcinschen Freicorps bei Flensburg
ein wahrhaft bestialisches Rachegeschrei gegen Preußen; den Tag vor meiner Ab¬
reise von Leipzig war in dem deutschen Verein ein Vortrag über jenes Gefecht
gehalten worden, nach dem mau glauben mußte, die preußischen Truppen hätten
in ruhiger Promenade zugesehen, wie die Dänen ihre deutschen Brüder gemordet.
Daß diese Promenade in einer Distance von fünf Meilen stattfand, schien uner¬
heblich. Wenn ich nicht irre, beschloß man damals, eine Klage in Frankfurt gegen.
Preußen einzureichen, und ähnliche Klagen liefen zu Dutzenden ein. Daß sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/201>, abgerufen am 17.06.2024.