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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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in den Angriffen gegen den König von Preußen eigentlich nur die Abneigung ge¬
gen Preußen selbst Lust macht, ist seitdem wohl zur Genüge anerkannt.

"Ein Einiges Deutschland!" ist der Ruf aller Patrioten. Versteht sich, daß
wir Reuß-Schleitz-Grcizer, oder wie wir sonst heißen, den Mittelpunkt ausmachen.
Die Krähwinkelei ist Deutschlands schlimmster Feind.

Dort oben auf deu Höhen der Wartburg, von wo aus man jetzt die schwarz-
roth-goldne Fahne auf den Thürmen Eisenachs flattern sieht und zugleich die Her¬
ankunft der fürstlich Thurm- und Taxisschen Postkutsche erwarten kann, dort war
es, wo die Romantik des Mittelalters die Krähwinkeln mit einem kühnen Wurfe
von sich zu schleudern versuchte. -- Es fand sich damals, daß das deutsche Vater¬
land im neuen Jerusalem lag, im Himmel, wo kein Unterschied mehr sein werde
zwischen den Hessen-Darmstädter Unterthanen und den Frankfurter Reichsstadt-
Philistern.

In diesen Gedanken schlafen wir in der Postkutsche ein und wachen in Fulda
auf, wo sich einige Gymnasiasten zu uns gesellen, die sich auf die Politik schon
trefflich verstehen. Die socialistische Frage hat sie beschäftigt und sie durchschauen
die geheimen Motive in der Politik der preußischen Diplomaten.

In Hanau kam uns ein Trupp Polen entgegen, die schwarz-roth-goldne
Fahne auf der einen, die roth und weiße auf der andern Seite des Wagens flat¬
ternd. Die versammelte Menge jauchzte ihnen entgegen. Hanau war die einzige
Stadt, die gleich auf den ersten Anblick eine geschehene Revolution verrieth. Es
war uicht allein die Menge von Tricoloren, die fast aus jedem Fenster heraus-
wehteu, es war auch in der äußern Haltung des sehr kräftigen Menschenschlags
etwas Herausforderndes, ich möchte sagen, etwas revolutionär Impertinentes.

In Frankfurt dagegen dominirt die Meßstimmung entschieden über die Revo¬
lution. Die politische Bewegung wird zwar mit großer Aufmerksamkeit verfolgt,
aber wie mir wenigstens schien, vorzugsweise in ihrem Einfluß auf die Börse.

Frankfurt hat überhaupt viel Aehnlichkeit mit Leipzig, es ist überall viel
hübscher, aber es ist dasselbe Genre, die Straßen wie die Promenaden, welche
letztere ihrer ungemein freundlichen Lage wegen eine gewisse Berühmtheit haben.
Der Main mit seinen schönen Quais ist freilich ein wesentlicher Vorzug, und
mit den Museen, dem Goethe Standbild u. f. w. kann Leipzig auch nicht wett¬
eifern. Ich muß übrigens gestehen, daß ich so roh gewesen bin, Goethe's Hans
nicht aufzusuchen; noch heute weiß ich nicht, wo es steht.

Dagegen habe ich mir das Theater mehrmals angesehen , und kann sagen,
daß das Schauspiel dem bisherigen Leipziger unendlich nachsteht -- es hat eine
einzige liebenswürdige Schauspielerin, Frl. Haus manu; der Hauptheld, Herr
Breuer, zeichnet sich durch Abscheulichkeit aus. Die Oper möchte der Leipziger


in den Angriffen gegen den König von Preußen eigentlich nur die Abneigung ge¬
gen Preußen selbst Lust macht, ist seitdem wohl zur Genüge anerkannt.

„Ein Einiges Deutschland!" ist der Ruf aller Patrioten. Versteht sich, daß
wir Reuß-Schleitz-Grcizer, oder wie wir sonst heißen, den Mittelpunkt ausmachen.
Die Krähwinkelei ist Deutschlands schlimmster Feind.

Dort oben auf deu Höhen der Wartburg, von wo aus man jetzt die schwarz-
roth-goldne Fahne auf den Thürmen Eisenachs flattern sieht und zugleich die Her¬
ankunft der fürstlich Thurm- und Taxisschen Postkutsche erwarten kann, dort war
es, wo die Romantik des Mittelalters die Krähwinkeln mit einem kühnen Wurfe
von sich zu schleudern versuchte. — Es fand sich damals, daß das deutsche Vater¬
land im neuen Jerusalem lag, im Himmel, wo kein Unterschied mehr sein werde
zwischen den Hessen-Darmstädter Unterthanen und den Frankfurter Reichsstadt-
Philistern.

In diesen Gedanken schlafen wir in der Postkutsche ein und wachen in Fulda
auf, wo sich einige Gymnasiasten zu uns gesellen, die sich auf die Politik schon
trefflich verstehen. Die socialistische Frage hat sie beschäftigt und sie durchschauen
die geheimen Motive in der Politik der preußischen Diplomaten.

In Hanau kam uns ein Trupp Polen entgegen, die schwarz-roth-goldne
Fahne auf der einen, die roth und weiße auf der andern Seite des Wagens flat¬
ternd. Die versammelte Menge jauchzte ihnen entgegen. Hanau war die einzige
Stadt, die gleich auf den ersten Anblick eine geschehene Revolution verrieth. Es
war uicht allein die Menge von Tricoloren, die fast aus jedem Fenster heraus-
wehteu, es war auch in der äußern Haltung des sehr kräftigen Menschenschlags
etwas Herausforderndes, ich möchte sagen, etwas revolutionär Impertinentes.

In Frankfurt dagegen dominirt die Meßstimmung entschieden über die Revo¬
lution. Die politische Bewegung wird zwar mit großer Aufmerksamkeit verfolgt,
aber wie mir wenigstens schien, vorzugsweise in ihrem Einfluß auf die Börse.

Frankfurt hat überhaupt viel Aehnlichkeit mit Leipzig, es ist überall viel
hübscher, aber es ist dasselbe Genre, die Straßen wie die Promenaden, welche
letztere ihrer ungemein freundlichen Lage wegen eine gewisse Berühmtheit haben.
Der Main mit seinen schönen Quais ist freilich ein wesentlicher Vorzug, und
mit den Museen, dem Goethe Standbild u. f. w. kann Leipzig auch nicht wett¬
eifern. Ich muß übrigens gestehen, daß ich so roh gewesen bin, Goethe's Hans
nicht aufzusuchen; noch heute weiß ich nicht, wo es steht.

Dagegen habe ich mir das Theater mehrmals angesehen , und kann sagen,
daß das Schauspiel dem bisherigen Leipziger unendlich nachsteht — es hat eine
einzige liebenswürdige Schauspielerin, Frl. Haus manu; der Hauptheld, Herr
Breuer, zeichnet sich durch Abscheulichkeit aus. Die Oper möchte der Leipziger


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[0202] in den Angriffen gegen den König von Preußen eigentlich nur die Abneigung ge¬ gen Preußen selbst Lust macht, ist seitdem wohl zur Genüge anerkannt. „Ein Einiges Deutschland!" ist der Ruf aller Patrioten. Versteht sich, daß wir Reuß-Schleitz-Grcizer, oder wie wir sonst heißen, den Mittelpunkt ausmachen. Die Krähwinkelei ist Deutschlands schlimmster Feind. Dort oben auf deu Höhen der Wartburg, von wo aus man jetzt die schwarz- roth-goldne Fahne auf den Thürmen Eisenachs flattern sieht und zugleich die Her¬ ankunft der fürstlich Thurm- und Taxisschen Postkutsche erwarten kann, dort war es, wo die Romantik des Mittelalters die Krähwinkeln mit einem kühnen Wurfe von sich zu schleudern versuchte. — Es fand sich damals, daß das deutsche Vater¬ land im neuen Jerusalem lag, im Himmel, wo kein Unterschied mehr sein werde zwischen den Hessen-Darmstädter Unterthanen und den Frankfurter Reichsstadt- Philistern. In diesen Gedanken schlafen wir in der Postkutsche ein und wachen in Fulda auf, wo sich einige Gymnasiasten zu uns gesellen, die sich auf die Politik schon trefflich verstehen. Die socialistische Frage hat sie beschäftigt und sie durchschauen die geheimen Motive in der Politik der preußischen Diplomaten. In Hanau kam uns ein Trupp Polen entgegen, die schwarz-roth-goldne Fahne auf der einen, die roth und weiße auf der andern Seite des Wagens flat¬ ternd. Die versammelte Menge jauchzte ihnen entgegen. Hanau war die einzige Stadt, die gleich auf den ersten Anblick eine geschehene Revolution verrieth. Es war uicht allein die Menge von Tricoloren, die fast aus jedem Fenster heraus- wehteu, es war auch in der äußern Haltung des sehr kräftigen Menschenschlags etwas Herausforderndes, ich möchte sagen, etwas revolutionär Impertinentes. In Frankfurt dagegen dominirt die Meßstimmung entschieden über die Revo¬ lution. Die politische Bewegung wird zwar mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, aber wie mir wenigstens schien, vorzugsweise in ihrem Einfluß auf die Börse. Frankfurt hat überhaupt viel Aehnlichkeit mit Leipzig, es ist überall viel hübscher, aber es ist dasselbe Genre, die Straßen wie die Promenaden, welche letztere ihrer ungemein freundlichen Lage wegen eine gewisse Berühmtheit haben. Der Main mit seinen schönen Quais ist freilich ein wesentlicher Vorzug, und mit den Museen, dem Goethe Standbild u. f. w. kann Leipzig auch nicht wett¬ eifern. Ich muß übrigens gestehen, daß ich so roh gewesen bin, Goethe's Hans nicht aufzusuchen; noch heute weiß ich nicht, wo es steht. Dagegen habe ich mir das Theater mehrmals angesehen , und kann sagen, daß das Schauspiel dem bisherigen Leipziger unendlich nachsteht — es hat eine einzige liebenswürdige Schauspielerin, Frl. Haus manu; der Hauptheld, Herr Breuer, zeichnet sich durch Abscheulichkeit aus. Die Oper möchte der Leipziger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/202>, abgerufen am 17.06.2024.