Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sanctionirt war. Dieses Mandat war factisch zum Theil erfüllt, zum Theil nega¬
tiv; er selber aber fühlte eben sowohl das Bedürfniß, sich zu beschäftigen, als die
moralische Befähigung, irgend etwas -- Unbestimmtes -- aber wesentlich Wohl¬
thätiges für Deutschland durchzusetzen. Er war geneigt, selber das Heft der Re¬
gierung in die Hand zu nehmen, wenn auch nur unter Vermittlung des Bundes¬
tages, obgleich er weder die nähere Einsicht in die einzelnen Verhältnisse des
Staatslebens besaß, noch auch andere Mittel zur Ausführung seiner Beschlüsse,
als Proclamationen, Commissionen und Decrete.

Der Bundestag, der seine Existenz einmal nicht ignoriren konnte, sah in
ihm ein zwar gefährliches, aber nicht unbrauchbares Mittel, sich beim Volk
Vertrauen zu verschaffen, indem man alle Beschlüsse zur Unterdrückung der Repu¬
blikaner, zur Verstärkung der Bundes-Centralgewalt im Ausschuß vorher in An¬
regung bringen, und als Beschluß des Ausschusses dem Bundestag empfehlen
lassen konnte. Im Uebrigen sah er in ihm eine Versammlung, die man höflich
behandeln, mit der man in gutem Einvernehmen bleiben müsse, ohne ihr allzuviel
Einfluß zu verstatten.

Ganz in derselben Stimmung gegen den Ausschuß waren die süddeutschen
liberalen Regierungen, deren vorzüglichste Anhänger den eigentlichen Stamm des
Ausschusses bildeten.

Die östreichische Negierung war einem nachtheiligen Einfluß am wenigsten
ausgesetzt; sie nahm den weiter nicht näher erörterten Namen des Fünfziger-Aus¬
schusses in ihre amtlichen Berichte auf, und richtete sich formell nach den in Ueber¬
einstimmung mit dem Bundestag abgefaßten Beschlüssen desselben, natürlich unter
dem Vorbehalt, sie später zu ratisiciren oder nicht. Zu Anfang hatte sie wohl die
Ansicht, durch seine Vermittelung die deutsche Kaiserkrone zu erlangen und sie zu
den übrigen goldenen Lasten, die sie trug, hinzuzufügen. Diese Illusion der
östreichischen Regierung und des östreichischen Volkes, die deutsche Kaiserkrone zu
nehmen und die östreichische nicht zu lassen, ist nur aus dem ersten Taumel der
neuerworbenen, ungewohnten Freiheit erklärlich. Seitdem ist eine Reaction erfolgt,,
wie sie aus einem zu heftigen Rausch hervorzugehen pflegt, und man beginnt von
allen Seiten das deutsche Wesen und dessen Vertreter als das Verderbniß Oestreichs
zu fliehen.

In der eigenthümlichsten und schwierigsten Lage war der preußische Staat.
Ihm war der Ausschuß -- mit wenigen ehrenwerthen Ausnahmen, ans die ich
später zurückkommen werde -- entschieden feindlich gesinnt, und darin waren die
Radikalen unter Blum's, die Konservativen unter Anführung der Badenser, voll¬
kommen einig. Die preußische Regierung und derjenige Theil des preußi¬
schen Volks, der noch preußisch gesinnt war -- und das ist kein gerin¬
ger Theil -- mußte den Ausschuß mit eben so entschiedenem Mißtrauen be¬
trachten.


Grenzboten, N. I""". 26

sanctionirt war. Dieses Mandat war factisch zum Theil erfüllt, zum Theil nega¬
tiv; er selber aber fühlte eben sowohl das Bedürfniß, sich zu beschäftigen, als die
moralische Befähigung, irgend etwas — Unbestimmtes — aber wesentlich Wohl¬
thätiges für Deutschland durchzusetzen. Er war geneigt, selber das Heft der Re¬
gierung in die Hand zu nehmen, wenn auch nur unter Vermittlung des Bundes¬
tages, obgleich er weder die nähere Einsicht in die einzelnen Verhältnisse des
Staatslebens besaß, noch auch andere Mittel zur Ausführung seiner Beschlüsse,
als Proclamationen, Commissionen und Decrete.

Der Bundestag, der seine Existenz einmal nicht ignoriren konnte, sah in
ihm ein zwar gefährliches, aber nicht unbrauchbares Mittel, sich beim Volk
Vertrauen zu verschaffen, indem man alle Beschlüsse zur Unterdrückung der Repu¬
blikaner, zur Verstärkung der Bundes-Centralgewalt im Ausschuß vorher in An¬
regung bringen, und als Beschluß des Ausschusses dem Bundestag empfehlen
lassen konnte. Im Uebrigen sah er in ihm eine Versammlung, die man höflich
behandeln, mit der man in gutem Einvernehmen bleiben müsse, ohne ihr allzuviel
Einfluß zu verstatten.

Ganz in derselben Stimmung gegen den Ausschuß waren die süddeutschen
liberalen Regierungen, deren vorzüglichste Anhänger den eigentlichen Stamm des
Ausschusses bildeten.

Die östreichische Negierung war einem nachtheiligen Einfluß am wenigsten
ausgesetzt; sie nahm den weiter nicht näher erörterten Namen des Fünfziger-Aus¬
schusses in ihre amtlichen Berichte auf, und richtete sich formell nach den in Ueber¬
einstimmung mit dem Bundestag abgefaßten Beschlüssen desselben, natürlich unter
dem Vorbehalt, sie später zu ratisiciren oder nicht. Zu Anfang hatte sie wohl die
Ansicht, durch seine Vermittelung die deutsche Kaiserkrone zu erlangen und sie zu
den übrigen goldenen Lasten, die sie trug, hinzuzufügen. Diese Illusion der
östreichischen Regierung und des östreichischen Volkes, die deutsche Kaiserkrone zu
nehmen und die östreichische nicht zu lassen, ist nur aus dem ersten Taumel der
neuerworbenen, ungewohnten Freiheit erklärlich. Seitdem ist eine Reaction erfolgt,,
wie sie aus einem zu heftigen Rausch hervorzugehen pflegt, und man beginnt von
allen Seiten das deutsche Wesen und dessen Vertreter als das Verderbniß Oestreichs
zu fliehen.

In der eigenthümlichsten und schwierigsten Lage war der preußische Staat.
Ihm war der Ausschuß — mit wenigen ehrenwerthen Ausnahmen, ans die ich
später zurückkommen werde — entschieden feindlich gesinnt, und darin waren die
Radikalen unter Blum's, die Konservativen unter Anführung der Badenser, voll¬
kommen einig. Die preußische Regierung und derjenige Theil des preußi¬
schen Volks, der noch preußisch gesinnt war — und das ist kein gerin¬
ger Theil — mußte den Ausschuß mit eben so entschiedenem Mißtrauen be¬
trachten.


Grenzboten, N. I««». 26
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0207" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276413"/>
            <p xml:id="ID_707" prev="#ID_706"> sanctionirt war. Dieses Mandat war factisch zum Theil erfüllt, zum Theil nega¬<lb/>
tiv; er selber aber fühlte eben sowohl das Bedürfniß, sich zu beschäftigen, als die<lb/>
moralische Befähigung, irgend etwas &#x2014; Unbestimmtes &#x2014; aber wesentlich Wohl¬<lb/>
thätiges für Deutschland durchzusetzen. Er war geneigt, selber das Heft der Re¬<lb/>
gierung in die Hand zu nehmen, wenn auch nur unter Vermittlung des Bundes¬<lb/>
tages, obgleich er weder die nähere Einsicht in die einzelnen Verhältnisse des<lb/>
Staatslebens besaß, noch auch andere Mittel zur Ausführung seiner Beschlüsse,<lb/>
als Proclamationen, Commissionen und Decrete.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_708"> Der Bundestag, der seine Existenz einmal nicht ignoriren konnte, sah in<lb/>
ihm ein zwar gefährliches, aber nicht unbrauchbares Mittel, sich beim Volk<lb/>
Vertrauen zu verschaffen, indem man alle Beschlüsse zur Unterdrückung der Repu¬<lb/>
blikaner, zur Verstärkung der Bundes-Centralgewalt im Ausschuß vorher in An¬<lb/>
regung bringen, und als Beschluß des Ausschusses dem Bundestag empfehlen<lb/>
lassen konnte. Im Uebrigen sah er in ihm eine Versammlung, die man höflich<lb/>
behandeln, mit der man in gutem Einvernehmen bleiben müsse, ohne ihr allzuviel<lb/>
Einfluß zu verstatten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_709"> Ganz in derselben Stimmung gegen den Ausschuß waren die süddeutschen<lb/>
liberalen Regierungen, deren vorzüglichste Anhänger den eigentlichen Stamm des<lb/>
Ausschusses bildeten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_710"> Die östreichische Negierung war einem nachtheiligen Einfluß am wenigsten<lb/>
ausgesetzt; sie nahm den weiter nicht näher erörterten Namen des Fünfziger-Aus¬<lb/>
schusses in ihre amtlichen Berichte auf, und richtete sich formell nach den in Ueber¬<lb/>
einstimmung mit dem Bundestag abgefaßten Beschlüssen desselben, natürlich unter<lb/>
dem Vorbehalt, sie später zu ratisiciren oder nicht. Zu Anfang hatte sie wohl die<lb/>
Ansicht, durch seine Vermittelung die deutsche Kaiserkrone zu erlangen und sie zu<lb/>
den übrigen goldenen Lasten, die sie trug, hinzuzufügen. Diese Illusion der<lb/>
östreichischen Regierung und des östreichischen Volkes, die deutsche Kaiserkrone zu<lb/>
nehmen und die östreichische nicht zu lassen, ist nur aus dem ersten Taumel der<lb/>
neuerworbenen, ungewohnten Freiheit erklärlich. Seitdem ist eine Reaction erfolgt,,<lb/>
wie sie aus einem zu heftigen Rausch hervorzugehen pflegt, und man beginnt von<lb/>
allen Seiten das deutsche Wesen und dessen Vertreter als das Verderbniß Oestreichs<lb/>
zu fliehen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_711"> In der eigenthümlichsten und schwierigsten Lage war der preußische Staat.<lb/>
Ihm war der Ausschuß &#x2014; mit wenigen ehrenwerthen Ausnahmen, ans die ich<lb/>
später zurückkommen werde &#x2014; entschieden feindlich gesinnt, und darin waren die<lb/>
Radikalen unter Blum's, die Konservativen unter Anführung der Badenser, voll¬<lb/>
kommen einig. Die preußische Regierung und derjenige Theil des preußi¬<lb/>
schen Volks, der noch preußisch gesinnt war &#x2014; und das ist kein gerin¬<lb/>
ger Theil &#x2014; mußte den Ausschuß mit eben so entschiedenem Mißtrauen be¬<lb/>
trachten.</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten, N. I««». 26</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0207] sanctionirt war. Dieses Mandat war factisch zum Theil erfüllt, zum Theil nega¬ tiv; er selber aber fühlte eben sowohl das Bedürfniß, sich zu beschäftigen, als die moralische Befähigung, irgend etwas — Unbestimmtes — aber wesentlich Wohl¬ thätiges für Deutschland durchzusetzen. Er war geneigt, selber das Heft der Re¬ gierung in die Hand zu nehmen, wenn auch nur unter Vermittlung des Bundes¬ tages, obgleich er weder die nähere Einsicht in die einzelnen Verhältnisse des Staatslebens besaß, noch auch andere Mittel zur Ausführung seiner Beschlüsse, als Proclamationen, Commissionen und Decrete. Der Bundestag, der seine Existenz einmal nicht ignoriren konnte, sah in ihm ein zwar gefährliches, aber nicht unbrauchbares Mittel, sich beim Volk Vertrauen zu verschaffen, indem man alle Beschlüsse zur Unterdrückung der Repu¬ blikaner, zur Verstärkung der Bundes-Centralgewalt im Ausschuß vorher in An¬ regung bringen, und als Beschluß des Ausschusses dem Bundestag empfehlen lassen konnte. Im Uebrigen sah er in ihm eine Versammlung, die man höflich behandeln, mit der man in gutem Einvernehmen bleiben müsse, ohne ihr allzuviel Einfluß zu verstatten. Ganz in derselben Stimmung gegen den Ausschuß waren die süddeutschen liberalen Regierungen, deren vorzüglichste Anhänger den eigentlichen Stamm des Ausschusses bildeten. Die östreichische Negierung war einem nachtheiligen Einfluß am wenigsten ausgesetzt; sie nahm den weiter nicht näher erörterten Namen des Fünfziger-Aus¬ schusses in ihre amtlichen Berichte auf, und richtete sich formell nach den in Ueber¬ einstimmung mit dem Bundestag abgefaßten Beschlüssen desselben, natürlich unter dem Vorbehalt, sie später zu ratisiciren oder nicht. Zu Anfang hatte sie wohl die Ansicht, durch seine Vermittelung die deutsche Kaiserkrone zu erlangen und sie zu den übrigen goldenen Lasten, die sie trug, hinzuzufügen. Diese Illusion der östreichischen Regierung und des östreichischen Volkes, die deutsche Kaiserkrone zu nehmen und die östreichische nicht zu lassen, ist nur aus dem ersten Taumel der neuerworbenen, ungewohnten Freiheit erklärlich. Seitdem ist eine Reaction erfolgt,, wie sie aus einem zu heftigen Rausch hervorzugehen pflegt, und man beginnt von allen Seiten das deutsche Wesen und dessen Vertreter als das Verderbniß Oestreichs zu fliehen. In der eigenthümlichsten und schwierigsten Lage war der preußische Staat. Ihm war der Ausschuß — mit wenigen ehrenwerthen Ausnahmen, ans die ich später zurückkommen werde — entschieden feindlich gesinnt, und darin waren die Radikalen unter Blum's, die Konservativen unter Anführung der Badenser, voll¬ kommen einig. Die preußische Regierung und derjenige Theil des preußi¬ schen Volks, der noch preußisch gesinnt war — und das ist kein gerin¬ ger Theil — mußte den Ausschuß mit eben so entschiedenem Mißtrauen be¬ trachten. Grenzboten, N. I««». 26

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/207
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/207>, abgerufen am 17.06.2024.