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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Die Versammlung hielt sich in einem wunderlich unklaren Juste Milieu.
Daß sie ein anderes Wahlverhältniß decretirte, als der liberale Ausschuß, lag
zum Theil in ihrem natürlichen Wunsch, doch etwas zu thun, und sich nicht blos
auf Acclamationen zu beschränken; denn das Verhältniß >: 5N,0N0 konnte am
Ende eben so viel und eben so wenig für sich auführen als das 1:70,N0N; theils
aber auch darin, daß sie liberaler war als ihr Ausschuß. Daß sie es den ein¬
zelnen Regierungen nicht anheimstellt, die Wahl zu dem Nationalparlament allen¬
falls aus den Ständen hervorgehen zu lassen, daß sie vielmehr die Nothwendig¬
keit der Urwähler behauptet, kann ihr nicht genug gedankt werden.

Die Hauptsache war uun, wie sie sich eigentlich das Verhältniß der neuen
repräsentativen Behörde zu den bestehenden Gewalten dachte.

Die conservative Partei hatte die Ansicht, dieselbe solle im Einverständniß
der einzelnen Staaten, also, wenn man consequent sein will, unter Vorbehalt
der Ratification, die Grundlage der neuen Verfassung feststellen.

Die radicale Partei wollte ihr die ganze Souveränität des Volks, das sie
repräsentirte, beilegen, also das Recht, die Verfassung nach ihrem eignen Gut¬
dünken festzustellen, die einzelnen Staaten mochten dazu sagen was sie wollte".

Die Versammlung wählte einen Mittelweg. Die Constituante solle aller¬
dings dieses Recht haben; es solle ihr aber unbenommen bleiben, sich, falls sie
es wolle, mit den einzelnen Staaten (Regierungen) darüber zu vereinbaren.

Ferner beschloß sie, zur Ausführung dieser Bestimmung einen Ausschuß aus
ihrer Mitte zu erwählen, der darüber zu wachen habe, daß die Regierungen in
allen Punkten jenen Bestimmungen nachkamen.

Der erste Schritt des neuen Ausschusses war ein sehr wichtiger. Eine der
mächtigsten Regierungen, die preußische, hatte die Wahlen bereits nach der Bun¬
destagsbestimmung, die einen Tag vor dem Zusammentritt des Vorparlaments
abgefaßt war, anordnen und auch bereits vollziehen lassen. Der Ausschuß pro-
testirte energisch dagegen beim Bundestag, und dieser sah sich veranlaßt, den ma¬
teriellen Inhalt der Beschlüsse des Vorparlaments zu dem seinigen zu machen,
und ihn als solchen den einzelnen Regierungen zur Ausführung anheimzugeben.

Die positive Thätigkeit des Ausschusses war damit zu Ende. Die Beschlüsse
des Vorparlaments waren legalisirt, und es blieb ihm nur noch übrig, darüber
zu wachen, daß das gesetzlich Beschlossene auch zur Ausführung käme. Eine rein
negative -- und ich muß hinzusetzen, langweilige Aufgabe, denn die unaus¬
gesetzte, abstracte Wachsamkeit, ohne eigenthümliche Beschäftigung, macht müde und
erbittert.

Ueberblicken wir noch einmal die Stellung des Ausschusses.
Er hatte sein Mandat vom Vorparlament, einer an sich durchaus ungesetz¬
lichen Versammlung, die dabei im gewissen Sinn durch die legitimen Gewalten


Die Versammlung hielt sich in einem wunderlich unklaren Juste Milieu.
Daß sie ein anderes Wahlverhältniß decretirte, als der liberale Ausschuß, lag
zum Theil in ihrem natürlichen Wunsch, doch etwas zu thun, und sich nicht blos
auf Acclamationen zu beschränken; denn das Verhältniß >: 5N,0N0 konnte am
Ende eben so viel und eben so wenig für sich auführen als das 1:70,N0N; theils
aber auch darin, daß sie liberaler war als ihr Ausschuß. Daß sie es den ein¬
zelnen Regierungen nicht anheimstellt, die Wahl zu dem Nationalparlament allen¬
falls aus den Ständen hervorgehen zu lassen, daß sie vielmehr die Nothwendig¬
keit der Urwähler behauptet, kann ihr nicht genug gedankt werden.

Die Hauptsache war uun, wie sie sich eigentlich das Verhältniß der neuen
repräsentativen Behörde zu den bestehenden Gewalten dachte.

Die conservative Partei hatte die Ansicht, dieselbe solle im Einverständniß
der einzelnen Staaten, also, wenn man consequent sein will, unter Vorbehalt
der Ratification, die Grundlage der neuen Verfassung feststellen.

Die radicale Partei wollte ihr die ganze Souveränität des Volks, das sie
repräsentirte, beilegen, also das Recht, die Verfassung nach ihrem eignen Gut¬
dünken festzustellen, die einzelnen Staaten mochten dazu sagen was sie wollte».

Die Versammlung wählte einen Mittelweg. Die Constituante solle aller¬
dings dieses Recht haben; es solle ihr aber unbenommen bleiben, sich, falls sie
es wolle, mit den einzelnen Staaten (Regierungen) darüber zu vereinbaren.

Ferner beschloß sie, zur Ausführung dieser Bestimmung einen Ausschuß aus
ihrer Mitte zu erwählen, der darüber zu wachen habe, daß die Regierungen in
allen Punkten jenen Bestimmungen nachkamen.

Der erste Schritt des neuen Ausschusses war ein sehr wichtiger. Eine der
mächtigsten Regierungen, die preußische, hatte die Wahlen bereits nach der Bun¬
destagsbestimmung, die einen Tag vor dem Zusammentritt des Vorparlaments
abgefaßt war, anordnen und auch bereits vollziehen lassen. Der Ausschuß pro-
testirte energisch dagegen beim Bundestag, und dieser sah sich veranlaßt, den ma¬
teriellen Inhalt der Beschlüsse des Vorparlaments zu dem seinigen zu machen,
und ihn als solchen den einzelnen Regierungen zur Ausführung anheimzugeben.

Die positive Thätigkeit des Ausschusses war damit zu Ende. Die Beschlüsse
des Vorparlaments waren legalisirt, und es blieb ihm nur noch übrig, darüber
zu wachen, daß das gesetzlich Beschlossene auch zur Ausführung käme. Eine rein
negative — und ich muß hinzusetzen, langweilige Aufgabe, denn die unaus¬
gesetzte, abstracte Wachsamkeit, ohne eigenthümliche Beschäftigung, macht müde und
erbittert.

Ueberblicken wir noch einmal die Stellung des Ausschusses.
Er hatte sein Mandat vom Vorparlament, einer an sich durchaus ungesetz¬
lichen Versammlung, die dabei im gewissen Sinn durch die legitimen Gewalten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/206>, abgerufen am 17.06.2024.