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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Äus Prag.

Zwei Deputationen. -- Die Scene im Convictsiial.

Noch einen Tag eher, als die panslavische Partei mit ihrem Protest gegen die
Wahlen nach Wien zog, wurde eine Deputation der Deutschen eben dahin geschickt,
mit der Erklärung, daß die deutschen Kreise Böhmens auf den Wahlen beständen und
den Anschluß Böhmens an Deutschland mit allem Nachdruck herbeiwünschten. Die Ne¬
gierung in Wien ist in slavischen Händen, die Habsburger, denen nicht so viel daran
liegt, daß sie deutsche Fürsten sind (?) als daß sie überhaupt Fürsten -- sei es auf einem
czechischen oder "westslavischen" Throne bleiben, hegen gegen die Czechen eine ganz be¬
sondere Zärtlichkeit. Die Folge davon war, daß die später abgegangene Deputation
der Czechen früher vorgelassen wurde, als die deutsche Deputation und eine gnädigere
Aufnahme fand. Indeß sprachen die deutschen Deputirten -- Moritz Hartmann war
unter ihnen -- energisch, sie schilderten die Absicht der deutschen Kreise, ihre Deputirten
zu wählen als fest beschlossen -- und da man jetzt in Wien nichts so sehr vermeidet,
als einen Anlaß zu neuen Konflikten, so erwiederte der Minister Pillersdorff der De¬
putation: jeder Theil der Bevölkerung solle seinen Willen haben, der deutsche solle
wählen, indeß der böhmische nicht wählt.

Am 29. war die Deputation der Deutschen aus Wien zurückgekommen. Sie soll¬
ten den deutschen Mitbrüdern in Prag den Erfolg ihrer Sendung ankündigen und so
war denn für den Abend eine Versammlung der Deutschen im Convictsaalc angesagt.
Eine Deputation des Fünfziger-Ausschusses in Frankfurt, aus den Herren Wächter
und Kuranda bestehend, war den Tag zuvor angekommen, um eine Vereinigung zu
Stande zu bringen Beide Herren sollten als Gäste die Versammlung besuchen. Da
begab sich eine Scene, die deutlich darthat, mit welchen Waffen die czechischc Partei
ihren Kampf auszufechten gedenkt. Als Einer der Deputaten die Antwort des Mini¬
sters meldete, die den Deutschen in Böhmen die Wahlen erlaubt, brach ein gellendes
Pfeifen los, man stürmte die Rednerbühne und nöthigte die Mitglieder des Comites
zum schleunigen Abzug. "Sie wollen uns an die Deutschen verkaufen/' schrie ein
wüthender Haufe, einige Anführer der czechischcn Partei, den Säbel an der Seite, die
rothe altczechischc Zipfelmütze ans dem Kopfe, hatten Mühe, den Aufruhr zu dämpfen,
den sie selber angezettelt hatten und der nun blutig werden zu wollen anfing. Herr
Hawlizcek, der Redacteur der "Narodny nowiny" und Stimmführer einer großen Partei,
hielt auf der von Czechen überflutheten Rednerbühne eine lange Rede, worin er er¬
klärte, die Parlamentswahlen der Deutschböhmen würden nie und nimmermehr Gültig¬
keit haben, ein Anschluß Böhmens an Deutschland könne und werde nie z" Stande
kommen. -- Nur das Einschreiten der Garden und das Erscheinen des Bürgermeisters
machte dem wüthenden Auftritt ein Ende. Die Haufen zerstreuten sich, aber die Auf¬
regung der ganzen Stadt dauerte bis tief in die Nacht hinein fort. Als ich an Mit¬
ternacht nach Hause ging, zogen Schaaren von Arbeitern an mir vorüber, die das Lied

>VipsI nsinvs
Veno semve!d. h.Vertilg den Deutsche",
Den Frcmdländer!

in lautem Chöre sangen.


T. T.


Äus Prag.

Zwei Deputationen. — Die Scene im Convictsiial.

Noch einen Tag eher, als die panslavische Partei mit ihrem Protest gegen die
Wahlen nach Wien zog, wurde eine Deputation der Deutschen eben dahin geschickt,
mit der Erklärung, daß die deutschen Kreise Böhmens auf den Wahlen beständen und
den Anschluß Böhmens an Deutschland mit allem Nachdruck herbeiwünschten. Die Ne¬
gierung in Wien ist in slavischen Händen, die Habsburger, denen nicht so viel daran
liegt, daß sie deutsche Fürsten sind (?) als daß sie überhaupt Fürsten — sei es auf einem
czechischen oder „westslavischen" Throne bleiben, hegen gegen die Czechen eine ganz be¬
sondere Zärtlichkeit. Die Folge davon war, daß die später abgegangene Deputation
der Czechen früher vorgelassen wurde, als die deutsche Deputation und eine gnädigere
Aufnahme fand. Indeß sprachen die deutschen Deputirten — Moritz Hartmann war
unter ihnen — energisch, sie schilderten die Absicht der deutschen Kreise, ihre Deputirten
zu wählen als fest beschlossen — und da man jetzt in Wien nichts so sehr vermeidet,
als einen Anlaß zu neuen Konflikten, so erwiederte der Minister Pillersdorff der De¬
putation: jeder Theil der Bevölkerung solle seinen Willen haben, der deutsche solle
wählen, indeß der böhmische nicht wählt.

Am 29. war die Deputation der Deutschen aus Wien zurückgekommen. Sie soll¬
ten den deutschen Mitbrüdern in Prag den Erfolg ihrer Sendung ankündigen und so
war denn für den Abend eine Versammlung der Deutschen im Convictsaalc angesagt.
Eine Deputation des Fünfziger-Ausschusses in Frankfurt, aus den Herren Wächter
und Kuranda bestehend, war den Tag zuvor angekommen, um eine Vereinigung zu
Stande zu bringen Beide Herren sollten als Gäste die Versammlung besuchen. Da
begab sich eine Scene, die deutlich darthat, mit welchen Waffen die czechischc Partei
ihren Kampf auszufechten gedenkt. Als Einer der Deputaten die Antwort des Mini¬
sters meldete, die den Deutschen in Böhmen die Wahlen erlaubt, brach ein gellendes
Pfeifen los, man stürmte die Rednerbühne und nöthigte die Mitglieder des Comites
zum schleunigen Abzug. „Sie wollen uns an die Deutschen verkaufen/' schrie ein
wüthender Haufe, einige Anführer der czechischcn Partei, den Säbel an der Seite, die
rothe altczechischc Zipfelmütze ans dem Kopfe, hatten Mühe, den Aufruhr zu dämpfen,
den sie selber angezettelt hatten und der nun blutig werden zu wollen anfing. Herr
Hawlizcek, der Redacteur der „Narodny nowiny" und Stimmführer einer großen Partei,
hielt auf der von Czechen überflutheten Rednerbühne eine lange Rede, worin er er¬
klärte, die Parlamentswahlen der Deutschböhmen würden nie und nimmermehr Gültig¬
keit haben, ein Anschluß Böhmens an Deutschland könne und werde nie z» Stande
kommen. — Nur das Einschreiten der Garden und das Erscheinen des Bürgermeisters
machte dem wüthenden Auftritt ein Ende. Die Haufen zerstreuten sich, aber die Auf¬
regung der ganzen Stadt dauerte bis tief in die Nacht hinein fort. Als ich an Mit¬
ternacht nach Hause ging, zogen Schaaren von Arbeitern an mir vorüber, die das Lied

>VipsI nsinvs
Veno semve!d. h.Vertilg den Deutsche»,
Den Frcmdländer!

in lautem Chöre sangen.


T. T.


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[0209] Äus Prag. Zwei Deputationen. — Die Scene im Convictsiial. Noch einen Tag eher, als die panslavische Partei mit ihrem Protest gegen die Wahlen nach Wien zog, wurde eine Deputation der Deutschen eben dahin geschickt, mit der Erklärung, daß die deutschen Kreise Böhmens auf den Wahlen beständen und den Anschluß Böhmens an Deutschland mit allem Nachdruck herbeiwünschten. Die Ne¬ gierung in Wien ist in slavischen Händen, die Habsburger, denen nicht so viel daran liegt, daß sie deutsche Fürsten sind (?) als daß sie überhaupt Fürsten — sei es auf einem czechischen oder „westslavischen" Throne bleiben, hegen gegen die Czechen eine ganz be¬ sondere Zärtlichkeit. Die Folge davon war, daß die später abgegangene Deputation der Czechen früher vorgelassen wurde, als die deutsche Deputation und eine gnädigere Aufnahme fand. Indeß sprachen die deutschen Deputirten — Moritz Hartmann war unter ihnen — energisch, sie schilderten die Absicht der deutschen Kreise, ihre Deputirten zu wählen als fest beschlossen — und da man jetzt in Wien nichts so sehr vermeidet, als einen Anlaß zu neuen Konflikten, so erwiederte der Minister Pillersdorff der De¬ putation: jeder Theil der Bevölkerung solle seinen Willen haben, der deutsche solle wählen, indeß der böhmische nicht wählt. Am 29. war die Deputation der Deutschen aus Wien zurückgekommen. Sie soll¬ ten den deutschen Mitbrüdern in Prag den Erfolg ihrer Sendung ankündigen und so war denn für den Abend eine Versammlung der Deutschen im Convictsaalc angesagt. Eine Deputation des Fünfziger-Ausschusses in Frankfurt, aus den Herren Wächter und Kuranda bestehend, war den Tag zuvor angekommen, um eine Vereinigung zu Stande zu bringen Beide Herren sollten als Gäste die Versammlung besuchen. Da begab sich eine Scene, die deutlich darthat, mit welchen Waffen die czechischc Partei ihren Kampf auszufechten gedenkt. Als Einer der Deputaten die Antwort des Mini¬ sters meldete, die den Deutschen in Böhmen die Wahlen erlaubt, brach ein gellendes Pfeifen los, man stürmte die Rednerbühne und nöthigte die Mitglieder des Comites zum schleunigen Abzug. „Sie wollen uns an die Deutschen verkaufen/' schrie ein wüthender Haufe, einige Anführer der czechischcn Partei, den Säbel an der Seite, die rothe altczechischc Zipfelmütze ans dem Kopfe, hatten Mühe, den Aufruhr zu dämpfen, den sie selber angezettelt hatten und der nun blutig werden zu wollen anfing. Herr Hawlizcek, der Redacteur der „Narodny nowiny" und Stimmführer einer großen Partei, hielt auf der von Czechen überflutheten Rednerbühne eine lange Rede, worin er er¬ klärte, die Parlamentswahlen der Deutschböhmen würden nie und nimmermehr Gültig¬ keit haben, ein Anschluß Böhmens an Deutschland könne und werde nie z» Stande kommen. — Nur das Einschreiten der Garden und das Erscheinen des Bürgermeisters machte dem wüthenden Auftritt ein Ende. Die Haufen zerstreuten sich, aber die Auf¬ regung der ganzen Stadt dauerte bis tief in die Nacht hinein fort. Als ich an Mit¬ ternacht nach Hause ging, zogen Schaaren von Arbeitern an mir vorüber, die das Lied >VipsI nsinvs Veno semve!d. h.Vertilg den Deutsche», Den Frcmdländer! in lautem Chöre sangen. T. T.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/209>, abgerufen am 17.06.2024.