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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Die Wiederauferstehung des heiligen römischen Reichs.



Noch einmal faltete mir den Hippvgryphcn, ihr Muse",
Zum Ritt in'S alte romantische Land.

Der alte Barbarossa, der in seinem Kyffhäuser über dem langen Warten recht
müde geworden und ernstlich eingeschlafen war, erlebte in unsern Tagen eine große
Freude. Es ist etwa zwei Jahre her, daß sich ein ungezogener Poet mit ihm
unterredete: Heinrich Heine, der letzte Ritter der alten liederlichen Romantik, der
in seinen träumerischen Spaziergängen sich einmal in das alte Nebelreich des
Mittelalters verirrte und im Anfang mit dem guten Kaiser ganz cordial verkehrte,
bis die jung-deutsche Ungezogenheit dem alten Herrn vor den Kopf stieß. Damals
wurde er sehr ausgebracht, der ehrliche Flachsbart, und nahm sich vor, auf lange
mit den Deutschen nicht wieder zu verkehren; sein müdes Haupt sank wieder ans
den Tisch von Marmorstein und es kümmerte ihn nicht, daß die Raben noch immer
in langweiligem Flug um den Kyffhäuser kreisten und das alte Lied krächzten:
der römische Kaiser hat abgedankt und der deutsche Bund besteht ans 38 souve¬
ränen Familien.

Da wallfahrtete vor ein Paar Tagen eine eigenthümliche Schaar Biedermänner
durch das grüne Waldgebüsch dem Zauberschloß des Hohenstaufen zu. Sie waren
befrackt, aber unter dem Pariser Frack schlug ein frisch fromm froh freies Herz;
das Symbol des modernen Bewußtseins, die Brille, beschattete ihre von Gedanken
gefurchten Züge, aber darunter leuchtete das biedere deutsche Träumerauge, die
blaue Blume der Romantik; sie waren müde vom Wandern, denn ihre Chanssure
gehörte dem Zeitgeiste an, aber unverdrossen schwangen sie eine große roth-schwarz-
gvldne Fahne über ihren Häuptern und brachen von Zeit zu Zeit in den Bier¬
comment ans: "Es lebe Friedrich Rothbart, der constitutionelle Kaiser der ver¬
einigten Deutschen!"

Als der Zug am Kyffhäuser angekommen war, trat ein Bedienter in der
kaiserlich Hohenstaufischen Livree ihnen entgegen und fragte: "Zu wem wünschen Sie,
meine Herren?" -- "Wir wollen Sr. Majestät unsere unterthänige Aufwartung
machen." "Wen habe ich die Ehre zu melden?" -- Wir sind 17 Hofräche,
Professoren des römischen Rechts und Vertrauensmänner des deutschen Bundes,


Die Wiederauferstehung des heiligen römischen Reichs.



Noch einmal faltete mir den Hippvgryphcn, ihr Muse»,
Zum Ritt in'S alte romantische Land.

Der alte Barbarossa, der in seinem Kyffhäuser über dem langen Warten recht
müde geworden und ernstlich eingeschlafen war, erlebte in unsern Tagen eine große
Freude. Es ist etwa zwei Jahre her, daß sich ein ungezogener Poet mit ihm
unterredete: Heinrich Heine, der letzte Ritter der alten liederlichen Romantik, der
in seinen träumerischen Spaziergängen sich einmal in das alte Nebelreich des
Mittelalters verirrte und im Anfang mit dem guten Kaiser ganz cordial verkehrte,
bis die jung-deutsche Ungezogenheit dem alten Herrn vor den Kopf stieß. Damals
wurde er sehr ausgebracht, der ehrliche Flachsbart, und nahm sich vor, auf lange
mit den Deutschen nicht wieder zu verkehren; sein müdes Haupt sank wieder ans
den Tisch von Marmorstein und es kümmerte ihn nicht, daß die Raben noch immer
in langweiligem Flug um den Kyffhäuser kreisten und das alte Lied krächzten:
der römische Kaiser hat abgedankt und der deutsche Bund besteht ans 38 souve¬
ränen Familien.

Da wallfahrtete vor ein Paar Tagen eine eigenthümliche Schaar Biedermänner
durch das grüne Waldgebüsch dem Zauberschloß des Hohenstaufen zu. Sie waren
befrackt, aber unter dem Pariser Frack schlug ein frisch fromm froh freies Herz;
das Symbol des modernen Bewußtseins, die Brille, beschattete ihre von Gedanken
gefurchten Züge, aber darunter leuchtete das biedere deutsche Träumerauge, die
blaue Blume der Romantik; sie waren müde vom Wandern, denn ihre Chanssure
gehörte dem Zeitgeiste an, aber unverdrossen schwangen sie eine große roth-schwarz-
gvldne Fahne über ihren Häuptern und brachen von Zeit zu Zeit in den Bier¬
comment ans: „Es lebe Friedrich Rothbart, der constitutionelle Kaiser der ver¬
einigten Deutschen!"

Als der Zug am Kyffhäuser angekommen war, trat ein Bedienter in der
kaiserlich Hohenstaufischen Livree ihnen entgegen und fragte: „Zu wem wünschen Sie,
meine Herren?" — „Wir wollen Sr. Majestät unsere unterthänige Aufwartung
machen." „Wen habe ich die Ehre zu melden?" — Wir sind 17 Hofräche,
Professoren des römischen Rechts und Vertrauensmänner des deutschen Bundes,


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[0228] Die Wiederauferstehung des heiligen römischen Reichs. Noch einmal faltete mir den Hippvgryphcn, ihr Muse», Zum Ritt in'S alte romantische Land. Der alte Barbarossa, der in seinem Kyffhäuser über dem langen Warten recht müde geworden und ernstlich eingeschlafen war, erlebte in unsern Tagen eine große Freude. Es ist etwa zwei Jahre her, daß sich ein ungezogener Poet mit ihm unterredete: Heinrich Heine, der letzte Ritter der alten liederlichen Romantik, der in seinen träumerischen Spaziergängen sich einmal in das alte Nebelreich des Mittelalters verirrte und im Anfang mit dem guten Kaiser ganz cordial verkehrte, bis die jung-deutsche Ungezogenheit dem alten Herrn vor den Kopf stieß. Damals wurde er sehr ausgebracht, der ehrliche Flachsbart, und nahm sich vor, auf lange mit den Deutschen nicht wieder zu verkehren; sein müdes Haupt sank wieder ans den Tisch von Marmorstein und es kümmerte ihn nicht, daß die Raben noch immer in langweiligem Flug um den Kyffhäuser kreisten und das alte Lied krächzten: der römische Kaiser hat abgedankt und der deutsche Bund besteht ans 38 souve¬ ränen Familien. Da wallfahrtete vor ein Paar Tagen eine eigenthümliche Schaar Biedermänner durch das grüne Waldgebüsch dem Zauberschloß des Hohenstaufen zu. Sie waren befrackt, aber unter dem Pariser Frack schlug ein frisch fromm froh freies Herz; das Symbol des modernen Bewußtseins, die Brille, beschattete ihre von Gedanken gefurchten Züge, aber darunter leuchtete das biedere deutsche Träumerauge, die blaue Blume der Romantik; sie waren müde vom Wandern, denn ihre Chanssure gehörte dem Zeitgeiste an, aber unverdrossen schwangen sie eine große roth-schwarz- gvldne Fahne über ihren Häuptern und brachen von Zeit zu Zeit in den Bier¬ comment ans: „Es lebe Friedrich Rothbart, der constitutionelle Kaiser der ver¬ einigten Deutschen!" Als der Zug am Kyffhäuser angekommen war, trat ein Bedienter in der kaiserlich Hohenstaufischen Livree ihnen entgegen und fragte: „Zu wem wünschen Sie, meine Herren?" — „Wir wollen Sr. Majestät unsere unterthänige Aufwartung machen." „Wen habe ich die Ehre zu melden?" — Wir sind 17 Hofräche, Professoren des römischen Rechts und Vertrauensmänner des deutschen Bundes,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/228>, abgerufen am 17.06.2024.