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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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und als solche mit einer wirklichen geheimen Misston an Se. Majestät bevollmäch¬
tigt." - "Se. Majestät hält ihr Mittagsschläfchen, aber belieben Sie vorläufig
in ein Seitenzimmer zu treten, sobald der Herr aufwacht, werde ich Sie sogleich
einführen."

Ich muß beiläufig bemerken, daß der Kammerdiener nicht in der alten Rü¬
stung, von Kopf bis zu Fuß geharnischt erschien, er war Rokoko gekleidet; in
seiner Jugend hatte er bei Herrn v. Gelad gedient und die Liebesbriefchen seines
Herrn zu den schönen Füßen der europäisch-amerikanischen Tanznotabilität Fräulein
Fanny Elster niedergelegt. Er war Mitarbeiter am Berliner politischen Wochen¬
blatt gewesen und war nur durch Kabale ans einem einträglichen Dienst entfernt;
als die Gräfin von Landsfeld mit den Rittern der Legitimität, den Patres der
Gesellschaft Jesu, in Conflict gerieth, kam er mit seinem eigenen Herzen in Kolli¬
sion; der chevalercske Sinn und die Loyalität stritten mit seinen aristokratischen
Sympathien; die Gewohnheit der schönen Spanierin, mit der Cravache schnell bei
der Hand zu sein, gab den Ausschlag; er verließ

"verlassen und traurig wandernd"
den bairischen Hof und trat bei Kaiser Friedrich als Geheimsecretär in Dienst;
seine Hauptaufgabe war, den Herrn durch Vorlesen des Fouqneschen Zauberrings
allabendlich in sauften Schlaf zu wiegen.

Der alte Kaiser empfing die Deputation auf seinem Lehnstuhle. Er sah etwas
aufgedunsen aus, er hatte sich in der tödtlichen Langeweile seines Kyffhäuser Auf¬
enthalts das Trinken angewöhnt. Er konnte beim Eintritt der gelehrten Männer
eine leichte Verwirrung nicht verbergen. Sie stellten sich vor als rechtskundige
Vertrauensmänner der deutschen Nation, berufen, die Rechte und Privilegien der
deutschen Stände festzustellen. Der Kaiser schmunzelte, er erinnerte sich zu seiner
Zeit auf der Roncalischen Ebene eine ähnliche gelehrte Versammlung berufen zu
haben; er wußte, was die Gelehrsamkeit in solchen Fällen zu bedeuten habe. Indeß
fragte er nach den nähern Umständen, die diesem neuen Kaisergesch vorangegan¬
gen seien.

Man erzählte ihm zuerst von dem liberalen Papst, der in ganz Italien das
nationale Bewußtsein wieder erweckt habe, dessen Name das Feldgeschrei der Mai¬
länder Insurgenten wäre. -- Die Zeiten haben sich wenig geändert, bemerkte er
darauf, es war in meinen Tagen gerade so. -- Man berichtete ihm dann weiter
von dem vierzigjährigen Interregnum des römische" Reichs, von der bisherigen
Unabhängigkeit der deutscheu Fürsten, von den vielfältigen Kriegen, in die man
zur Aufrechthaltung der deutschen Herrschaft verwickelt sei, von den Unruhen,
welche die großen Kronvasallen in ihren eigenen Erbländer bedrohten und von der
Nothwendigkeit, bei so dringenden Umständen die Rcichseinheit wieder herzustellen.

Man habe sich zu diesem Behuf an sie, die gelehrtesten Männer der deutschen
Hochschulen, gewendet, sie haben nun in alten Chroniken nachgeschlagen und ge-


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und als solche mit einer wirklichen geheimen Misston an Se. Majestät bevollmäch¬
tigt." - „Se. Majestät hält ihr Mittagsschläfchen, aber belieben Sie vorläufig
in ein Seitenzimmer zu treten, sobald der Herr aufwacht, werde ich Sie sogleich
einführen."

Ich muß beiläufig bemerken, daß der Kammerdiener nicht in der alten Rü¬
stung, von Kopf bis zu Fuß geharnischt erschien, er war Rokoko gekleidet; in
seiner Jugend hatte er bei Herrn v. Gelad gedient und die Liebesbriefchen seines
Herrn zu den schönen Füßen der europäisch-amerikanischen Tanznotabilität Fräulein
Fanny Elster niedergelegt. Er war Mitarbeiter am Berliner politischen Wochen¬
blatt gewesen und war nur durch Kabale ans einem einträglichen Dienst entfernt;
als die Gräfin von Landsfeld mit den Rittern der Legitimität, den Patres der
Gesellschaft Jesu, in Conflict gerieth, kam er mit seinem eigenen Herzen in Kolli¬
sion; der chevalercske Sinn und die Loyalität stritten mit seinen aristokratischen
Sympathien; die Gewohnheit der schönen Spanierin, mit der Cravache schnell bei
der Hand zu sein, gab den Ausschlag; er verließ

„verlassen und traurig wandernd"
den bairischen Hof und trat bei Kaiser Friedrich als Geheimsecretär in Dienst;
seine Hauptaufgabe war, den Herrn durch Vorlesen des Fouqneschen Zauberrings
allabendlich in sauften Schlaf zu wiegen.

Der alte Kaiser empfing die Deputation auf seinem Lehnstuhle. Er sah etwas
aufgedunsen aus, er hatte sich in der tödtlichen Langeweile seines Kyffhäuser Auf¬
enthalts das Trinken angewöhnt. Er konnte beim Eintritt der gelehrten Männer
eine leichte Verwirrung nicht verbergen. Sie stellten sich vor als rechtskundige
Vertrauensmänner der deutschen Nation, berufen, die Rechte und Privilegien der
deutschen Stände festzustellen. Der Kaiser schmunzelte, er erinnerte sich zu seiner
Zeit auf der Roncalischen Ebene eine ähnliche gelehrte Versammlung berufen zu
haben; er wußte, was die Gelehrsamkeit in solchen Fällen zu bedeuten habe. Indeß
fragte er nach den nähern Umständen, die diesem neuen Kaisergesch vorangegan¬
gen seien.

Man erzählte ihm zuerst von dem liberalen Papst, der in ganz Italien das
nationale Bewußtsein wieder erweckt habe, dessen Name das Feldgeschrei der Mai¬
länder Insurgenten wäre. — Die Zeiten haben sich wenig geändert, bemerkte er
darauf, es war in meinen Tagen gerade so. — Man berichtete ihm dann weiter
von dem vierzigjährigen Interregnum des römische» Reichs, von der bisherigen
Unabhängigkeit der deutscheu Fürsten, von den vielfältigen Kriegen, in die man
zur Aufrechthaltung der deutschen Herrschaft verwickelt sei, von den Unruhen,
welche die großen Kronvasallen in ihren eigenen Erbländer bedrohten und von der
Nothwendigkeit, bei so dringenden Umständen die Rcichseinheit wieder herzustellen.

Man habe sich zu diesem Behuf an sie, die gelehrtesten Männer der deutschen
Hochschulen, gewendet, sie haben nun in alten Chroniken nachgeschlagen und ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/229>, abgerufen am 17.06.2024.