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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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man nicht sagen, daß ihre praktische Thätigkeit im geringsten durch diese Manifeste
gestört würde. Freilich darf man nicht verkennen, daß eine längere parlamenta¬
rische Praxis, eine vernünftigere politische Vergangenheit und der ruhigere Sinn
des sächsischen Volks die Aufgabe dieser Regierung wesentlich erleichterte.

Außerdem liegt eine von den Hauptschwierigkeiten, mit denen die preußische
Regierung zu kämpfen hat, den kleinen deutschen Staaten sern: die Verwickelung
der auswärtigen Politik. Die polnische Frage mit ihren wunderbar sich kreuzen¬
den Interessen und Sympathien kam der Ccnuphausen'scheu Verwaltung über den
Hals, ohne daß sie auch nur die Möglichkeit gehabt hätte, sich einigermaßen über
das Detail der Verhältnisse zu unterrichten. Statt aber auch hier offen zu han¬
deln und ehrlich zu gesteh", wir haben die und die Absichten, verkennen aber nicht,
daß folgende Schwierigkeiten sich denselben entgegenstellen und werden nicht ver¬
fehlen, die sämmtlichen dabei Betheiligten zu Rathe zu ziehen, hüllte man sich in
das Dunkel gouvernemcntaler Allweisheit, ließ den wildesten Hoffnungen freien
Laus, weil man ihnen keine bestimmte Verheißung entgegenbrachte und steigerte so
die an sich schon grenzenlose Verwirrung auf eine Weise, daß ein blutiger Bür¬
gerkrieg daraus hervorgehen mußte. In einer andern Frage, der Schleswig-hol¬
steinische", scheint wieder die preußische Ehrlichkeit die Regierung in die Falle
gelockt zu haben.

Die eigenthümliche Stellung der neue" Regierung zum Bundestag, dem
Parlament des neu zu errichtenden Deutschland und den deutschen Regierungen
überhaupt verdient eine eigene Besprechung.

Ziemlich in gleicher Lage mit der preußischen Regierung findet sich die östrei¬
chische, nur daß hier die unnatürliche Zusammensetzung des Staats und die ent¬
setzliche Konsequenz des Metteruichschen Despotismus die Gefahr in's Unendliche
vermehrt. Die neue östreichische Regierung war aus den Trümmern der alten
zusammengesetzt, wie es nicht anders möglich war, da Geschäftskenntniß auch
nur untergeordneten Grades sich nirgend anders vorfand als in der privilegirten
Kaste der Bureaukratie. Dennoch verdankte das Ministerium sein Bestehn dem
Aufstand der Wiener Bourgeoisie und namentlich der Studenten. Es war zu schwach,
die Herrschaft selbstständig in seine Hände zu nehmen, zu aristokratisch, um sich mit
den Häuptern der augenblicklich herrschenden Partei dergestalt zu verbinden, daß
es durch ihre Vermittelung die Bewegung leitete. Noch langsamer und unentschlos¬
sener, als das Ministerium Camphausen, ließ es sich bald von den Wienern, bald
von den Czechen, bald auch wohl durch die Einwirkung der öffentlichen Meinung
in Deutschland, wie sie sich namentlich in Frankfurt concentrirte, eine Bewilligung
nach der andern abtrotzen, von denen häufig eine der andern widersprach, ohne
doch die Macht zu haben, die bis dahin herrschende Aristokratie ernstlich in die
Interessen des Fortschritts zu verflechten. Der preußischen Regierung war ein
bestimmter Weg vorgezeichnet, sie durfte nur den Muth haben, ihn zu betreten;


Greiizbot-n. II. 49

man nicht sagen, daß ihre praktische Thätigkeit im geringsten durch diese Manifeste
gestört würde. Freilich darf man nicht verkennen, daß eine längere parlamenta¬
rische Praxis, eine vernünftigere politische Vergangenheit und der ruhigere Sinn
des sächsischen Volks die Aufgabe dieser Regierung wesentlich erleichterte.

Außerdem liegt eine von den Hauptschwierigkeiten, mit denen die preußische
Regierung zu kämpfen hat, den kleinen deutschen Staaten sern: die Verwickelung
der auswärtigen Politik. Die polnische Frage mit ihren wunderbar sich kreuzen¬
den Interessen und Sympathien kam der Ccnuphausen'scheu Verwaltung über den
Hals, ohne daß sie auch nur die Möglichkeit gehabt hätte, sich einigermaßen über
das Detail der Verhältnisse zu unterrichten. Statt aber auch hier offen zu han¬
deln und ehrlich zu gesteh», wir haben die und die Absichten, verkennen aber nicht,
daß folgende Schwierigkeiten sich denselben entgegenstellen und werden nicht ver¬
fehlen, die sämmtlichen dabei Betheiligten zu Rathe zu ziehen, hüllte man sich in
das Dunkel gouvernemcntaler Allweisheit, ließ den wildesten Hoffnungen freien
Laus, weil man ihnen keine bestimmte Verheißung entgegenbrachte und steigerte so
die an sich schon grenzenlose Verwirrung auf eine Weise, daß ein blutiger Bür¬
gerkrieg daraus hervorgehen mußte. In einer andern Frage, der Schleswig-hol¬
steinische», scheint wieder die preußische Ehrlichkeit die Regierung in die Falle
gelockt zu haben.

Die eigenthümliche Stellung der neue» Regierung zum Bundestag, dem
Parlament des neu zu errichtenden Deutschland und den deutschen Regierungen
überhaupt verdient eine eigene Besprechung.

Ziemlich in gleicher Lage mit der preußischen Regierung findet sich die östrei¬
chische, nur daß hier die unnatürliche Zusammensetzung des Staats und die ent¬
setzliche Konsequenz des Metteruichschen Despotismus die Gefahr in's Unendliche
vermehrt. Die neue östreichische Regierung war aus den Trümmern der alten
zusammengesetzt, wie es nicht anders möglich war, da Geschäftskenntniß auch
nur untergeordneten Grades sich nirgend anders vorfand als in der privilegirten
Kaste der Bureaukratie. Dennoch verdankte das Ministerium sein Bestehn dem
Aufstand der Wiener Bourgeoisie und namentlich der Studenten. Es war zu schwach,
die Herrschaft selbstständig in seine Hände zu nehmen, zu aristokratisch, um sich mit
den Häuptern der augenblicklich herrschenden Partei dergestalt zu verbinden, daß
es durch ihre Vermittelung die Bewegung leitete. Noch langsamer und unentschlos¬
sener, als das Ministerium Camphausen, ließ es sich bald von den Wienern, bald
von den Czechen, bald auch wohl durch die Einwirkung der öffentlichen Meinung
in Deutschland, wie sie sich namentlich in Frankfurt concentrirte, eine Bewilligung
nach der andern abtrotzen, von denen häufig eine der andern widersprach, ohne
doch die Macht zu haben, die bis dahin herrschende Aristokratie ernstlich in die
Interessen des Fortschritts zu verflechten. Der preußischen Regierung war ein
bestimmter Weg vorgezeichnet, sie durfte nur den Muth haben, ihn zu betreten;


Greiizbot-n. II. 49
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[0387] man nicht sagen, daß ihre praktische Thätigkeit im geringsten durch diese Manifeste gestört würde. Freilich darf man nicht verkennen, daß eine längere parlamenta¬ rische Praxis, eine vernünftigere politische Vergangenheit und der ruhigere Sinn des sächsischen Volks die Aufgabe dieser Regierung wesentlich erleichterte. Außerdem liegt eine von den Hauptschwierigkeiten, mit denen die preußische Regierung zu kämpfen hat, den kleinen deutschen Staaten sern: die Verwickelung der auswärtigen Politik. Die polnische Frage mit ihren wunderbar sich kreuzen¬ den Interessen und Sympathien kam der Ccnuphausen'scheu Verwaltung über den Hals, ohne daß sie auch nur die Möglichkeit gehabt hätte, sich einigermaßen über das Detail der Verhältnisse zu unterrichten. Statt aber auch hier offen zu han¬ deln und ehrlich zu gesteh», wir haben die und die Absichten, verkennen aber nicht, daß folgende Schwierigkeiten sich denselben entgegenstellen und werden nicht ver¬ fehlen, die sämmtlichen dabei Betheiligten zu Rathe zu ziehen, hüllte man sich in das Dunkel gouvernemcntaler Allweisheit, ließ den wildesten Hoffnungen freien Laus, weil man ihnen keine bestimmte Verheißung entgegenbrachte und steigerte so die an sich schon grenzenlose Verwirrung auf eine Weise, daß ein blutiger Bür¬ gerkrieg daraus hervorgehen mußte. In einer andern Frage, der Schleswig-hol¬ steinische», scheint wieder die preußische Ehrlichkeit die Regierung in die Falle gelockt zu haben. Die eigenthümliche Stellung der neue» Regierung zum Bundestag, dem Parlament des neu zu errichtenden Deutschland und den deutschen Regierungen überhaupt verdient eine eigene Besprechung. Ziemlich in gleicher Lage mit der preußischen Regierung findet sich die östrei¬ chische, nur daß hier die unnatürliche Zusammensetzung des Staats und die ent¬ setzliche Konsequenz des Metteruichschen Despotismus die Gefahr in's Unendliche vermehrt. Die neue östreichische Regierung war aus den Trümmern der alten zusammengesetzt, wie es nicht anders möglich war, da Geschäftskenntniß auch nur untergeordneten Grades sich nirgend anders vorfand als in der privilegirten Kaste der Bureaukratie. Dennoch verdankte das Ministerium sein Bestehn dem Aufstand der Wiener Bourgeoisie und namentlich der Studenten. Es war zu schwach, die Herrschaft selbstständig in seine Hände zu nehmen, zu aristokratisch, um sich mit den Häuptern der augenblicklich herrschenden Partei dergestalt zu verbinden, daß es durch ihre Vermittelung die Bewegung leitete. Noch langsamer und unentschlos¬ sener, als das Ministerium Camphausen, ließ es sich bald von den Wienern, bald von den Czechen, bald auch wohl durch die Einwirkung der öffentlichen Meinung in Deutschland, wie sie sich namentlich in Frankfurt concentrirte, eine Bewilligung nach der andern abtrotzen, von denen häufig eine der andern widersprach, ohne doch die Macht zu haben, die bis dahin herrschende Aristokratie ernstlich in die Interessen des Fortschritts zu verflechten. Der preußischen Regierung war ein bestimmter Weg vorgezeichnet, sie durfte nur den Muth haben, ihn zu betreten; Greiizbot-n. II. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/387>, abgerufen am 17.06.2024.