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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Oestreich dagegen war durch die Schuld seiner Vergangenheit in ein Labyrinth
verwickelt, zu dem es auch einem politischen Genie schwer geworden wäre, den
Ariadnefaden zu finden. In noch weit höherem Grade als Camphausen und seine
Freunde macht das Ministerium den Eindruck der Ehrlichkeit -- freilich muß
man die conventionelle Bonhommie der östreichischen Aristokraten anch dabei in
Anschlag bringen, --- aber auch den Eindruck der Impotenz. Seitdem Italien
abgefallen ist, Ungarn sich beinahe unbedingt für unabhängig erklärt hat, seitdem
die Czechen für einen slavisch - Habsburgschen Kaiserstaat, ein großer Theil der
Wiener für eine Einverleibung Oestreichs in Deutschland wirken, seitdem durch
die unheilvolle Flucht des Kaisers den Leidenschaften aller, auch der entgegenge¬
setztesten Parteien, voller Spielraum gegeben ist -- seitdem kann man sich die
östreichischen Minister nicht anders vorstellen, als mit der Hamlet'Salme und den
Worten aus der Lippe: dei" porta is out of jaint!

Wenn die Regierungen der kleinern deutschen Staaten schon darum eine un-
verhältnißmäßig leichtere Aufgabe vorfinden, weil sie es nicht mit den Polacken,
den Czechen, den Italienern und den Dänen zu thun haben, so wird diese Stel¬
lung noch wesentlich erleichtert durch das gänzlich veränderte Verhältniß zu den
bisherigen Großmächten. Bis dahin hatten sie nicht nur mit dem bösen Willen
ihres eignen Hofes zu kämpfen, wenn sie geneigt waren, dem Volk irgend welche
Zugeständnisse zu machen, sie hatten auch die allmächtigen Minister von Oestreich
und Preußen zu furchten. Jetzt ist es umgekehrt; sie spielen die Tyrannen der
unglückseligen Großmächte und sind augenblicklich bei der Hand, fulminante De-
crete gegen Camphausen zu erlassen, wenn irgend einem Schleswig-Holsteinischen
Freischärler die Nase gequetscht wird. Es ist so einfach und dabei so imponirend,
aus dem heitern Schooß friedfertiger Gemüthlichkeit gegen die Hohen der Erde
donnern und blitzen zu können. Diese neue" Minister der kleinen Staaten können
bei einem weitern Umschwung nur gewinnen; auch wenn man vom Darmstädter
Premier nur Präsident der Nationalversammlung wird, ist das schon ein Avance¬
ment. Möge Herr v. Gagern, der ruhmvolle Vorkämpfer für die wahre Eini¬
gung Deutschlands, sich durch die schwindelnde Höhe seiner neuen Stellung nicht
verblenden lassen! möge er die edlen und hochherzige" Ansichten, die er als Mi¬
nister aussprach, nicht vergessen, nachdem er an der Spitze der deutschen Welt-
regierer steht! Er wie die andern seiner Kollegen in den kleinen deutschen Staa¬
ten haben die schöne Möglichkeit, für die gute Sache kämpfen zu können ohne
Gefahr, denn sie haben wenigstens von Seiten der höher" Politik keine Schwie¬
rigkeiten vor sich. Vorzugsweise an ihnen wird es liegen, dem deutschen Volk
einen Impuls zu geben, daß es nicht wie ein wüster Waldstrom sich über die
bestehenden Staaten herstürzt, sondern in gemessener Kraft, in Rücksicht auf den
vorhandenen Staatsorganismus, die natürliche, freie Entwickelung des Ganzen
I. S. zu einem gesunden Gedeihe" leitet.




Oestreich dagegen war durch die Schuld seiner Vergangenheit in ein Labyrinth
verwickelt, zu dem es auch einem politischen Genie schwer geworden wäre, den
Ariadnefaden zu finden. In noch weit höherem Grade als Camphausen und seine
Freunde macht das Ministerium den Eindruck der Ehrlichkeit — freilich muß
man die conventionelle Bonhommie der östreichischen Aristokraten anch dabei in
Anschlag bringen, --- aber auch den Eindruck der Impotenz. Seitdem Italien
abgefallen ist, Ungarn sich beinahe unbedingt für unabhängig erklärt hat, seitdem
die Czechen für einen slavisch - Habsburgschen Kaiserstaat, ein großer Theil der
Wiener für eine Einverleibung Oestreichs in Deutschland wirken, seitdem durch
die unheilvolle Flucht des Kaisers den Leidenschaften aller, auch der entgegenge¬
setztesten Parteien, voller Spielraum gegeben ist — seitdem kann man sich die
östreichischen Minister nicht anders vorstellen, als mit der Hamlet'Salme und den
Worten aus der Lippe: dei« porta is out of jaint!

Wenn die Regierungen der kleinern deutschen Staaten schon darum eine un-
verhältnißmäßig leichtere Aufgabe vorfinden, weil sie es nicht mit den Polacken,
den Czechen, den Italienern und den Dänen zu thun haben, so wird diese Stel¬
lung noch wesentlich erleichtert durch das gänzlich veränderte Verhältniß zu den
bisherigen Großmächten. Bis dahin hatten sie nicht nur mit dem bösen Willen
ihres eignen Hofes zu kämpfen, wenn sie geneigt waren, dem Volk irgend welche
Zugeständnisse zu machen, sie hatten auch die allmächtigen Minister von Oestreich
und Preußen zu furchten. Jetzt ist es umgekehrt; sie spielen die Tyrannen der
unglückseligen Großmächte und sind augenblicklich bei der Hand, fulminante De-
crete gegen Camphausen zu erlassen, wenn irgend einem Schleswig-Holsteinischen
Freischärler die Nase gequetscht wird. Es ist so einfach und dabei so imponirend,
aus dem heitern Schooß friedfertiger Gemüthlichkeit gegen die Hohen der Erde
donnern und blitzen zu können. Diese neue» Minister der kleinen Staaten können
bei einem weitern Umschwung nur gewinnen; auch wenn man vom Darmstädter
Premier nur Präsident der Nationalversammlung wird, ist das schon ein Avance¬
ment. Möge Herr v. Gagern, der ruhmvolle Vorkämpfer für die wahre Eini¬
gung Deutschlands, sich durch die schwindelnde Höhe seiner neuen Stellung nicht
verblenden lassen! möge er die edlen und hochherzige» Ansichten, die er als Mi¬
nister aussprach, nicht vergessen, nachdem er an der Spitze der deutschen Welt-
regierer steht! Er wie die andern seiner Kollegen in den kleinen deutschen Staa¬
ten haben die schöne Möglichkeit, für die gute Sache kämpfen zu können ohne
Gefahr, denn sie haben wenigstens von Seiten der höher» Politik keine Schwie¬
rigkeiten vor sich. Vorzugsweise an ihnen wird es liegen, dem deutschen Volk
einen Impuls zu geben, daß es nicht wie ein wüster Waldstrom sich über die
bestehenden Staaten herstürzt, sondern in gemessener Kraft, in Rücksicht auf den
vorhandenen Staatsorganismus, die natürliche, freie Entwickelung des Ganzen
I. S. zu einem gesunden Gedeihe» leitet.




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[0388] Oestreich dagegen war durch die Schuld seiner Vergangenheit in ein Labyrinth verwickelt, zu dem es auch einem politischen Genie schwer geworden wäre, den Ariadnefaden zu finden. In noch weit höherem Grade als Camphausen und seine Freunde macht das Ministerium den Eindruck der Ehrlichkeit — freilich muß man die conventionelle Bonhommie der östreichischen Aristokraten anch dabei in Anschlag bringen, --- aber auch den Eindruck der Impotenz. Seitdem Italien abgefallen ist, Ungarn sich beinahe unbedingt für unabhängig erklärt hat, seitdem die Czechen für einen slavisch - Habsburgschen Kaiserstaat, ein großer Theil der Wiener für eine Einverleibung Oestreichs in Deutschland wirken, seitdem durch die unheilvolle Flucht des Kaisers den Leidenschaften aller, auch der entgegenge¬ setztesten Parteien, voller Spielraum gegeben ist — seitdem kann man sich die östreichischen Minister nicht anders vorstellen, als mit der Hamlet'Salme und den Worten aus der Lippe: dei« porta is out of jaint! Wenn die Regierungen der kleinern deutschen Staaten schon darum eine un- verhältnißmäßig leichtere Aufgabe vorfinden, weil sie es nicht mit den Polacken, den Czechen, den Italienern und den Dänen zu thun haben, so wird diese Stel¬ lung noch wesentlich erleichtert durch das gänzlich veränderte Verhältniß zu den bisherigen Großmächten. Bis dahin hatten sie nicht nur mit dem bösen Willen ihres eignen Hofes zu kämpfen, wenn sie geneigt waren, dem Volk irgend welche Zugeständnisse zu machen, sie hatten auch die allmächtigen Minister von Oestreich und Preußen zu furchten. Jetzt ist es umgekehrt; sie spielen die Tyrannen der unglückseligen Großmächte und sind augenblicklich bei der Hand, fulminante De- crete gegen Camphausen zu erlassen, wenn irgend einem Schleswig-Holsteinischen Freischärler die Nase gequetscht wird. Es ist so einfach und dabei so imponirend, aus dem heitern Schooß friedfertiger Gemüthlichkeit gegen die Hohen der Erde donnern und blitzen zu können. Diese neue» Minister der kleinen Staaten können bei einem weitern Umschwung nur gewinnen; auch wenn man vom Darmstädter Premier nur Präsident der Nationalversammlung wird, ist das schon ein Avance¬ ment. Möge Herr v. Gagern, der ruhmvolle Vorkämpfer für die wahre Eini¬ gung Deutschlands, sich durch die schwindelnde Höhe seiner neuen Stellung nicht verblenden lassen! möge er die edlen und hochherzige» Ansichten, die er als Mi¬ nister aussprach, nicht vergessen, nachdem er an der Spitze der deutschen Welt- regierer steht! Er wie die andern seiner Kollegen in den kleinen deutschen Staa¬ ten haben die schöne Möglichkeit, für die gute Sache kämpfen zu können ohne Gefahr, denn sie haben wenigstens von Seiten der höher» Politik keine Schwie¬ rigkeiten vor sich. Vorzugsweise an ihnen wird es liegen, dem deutschen Volk einen Impuls zu geben, daß es nicht wie ein wüster Waldstrom sich über die bestehenden Staaten herstürzt, sondern in gemessener Kraft, in Rücksicht auf den vorhandenen Staatsorganismus, die natürliche, freie Entwickelung des Ganzen I. S. zu einem gesunden Gedeihe» leitet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/388>, abgerufen am 27.05.2024.