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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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zu belangen und an dessen Abschaffung bisher noch kein Mensch denkt. Wie der
Staat Hospitäler hat, in denen Hungrige nur dann aufgenommen weiden, wenn
der Hunger sie krank gemacht hat; (ich habe in Paris Aerzte zu Freunden, die
hungernden Menschen gegen, alle Wahrheit Krankheitszeugnisse ausgestellt haben,
damit sie in den Spitälern zu essen bekommen -- die Chavlatane! --) so hat der
Staat auch Findelhäuser, und wenn die Dirne ihr Kind nicht ernälircn will, so
braucht sie es Nachts oder auch am Tage nur in den Zngkasten zu tragen und
auf den ersten Schellenschlag wird der kleine künftige Napoleon oder die kleine
künftige Brinvilliere in die menschliche Gesellschaft aufgenommen. Will die Mutter
sich später nach dem Schicksale ihres Kindes erkundigen, stehts ihr frei, voraus¬
gesetzt, daß sie die verhältnißmäßig nicht unbedeutenden Kosten erlegen kann, die
ihr für das Ausschlagen des Buches abgefordert werden. Besagte Mutter hat
sogar das Recht, dem Kinde bei der Ablieferung einen Namen zu geben, und
wer weiß, ob nicht erlauchte oder berühmte im Buche stehen. Darauf kommt eS
dem Franzosen aber nicht an. Il en est quitto, und damit Basta. Vielleicht be¬
ruft er sich zum Beweise seiner Moralität auch ans Jean Jacques Rousseau. Das
tollste an diesem Gesetze") ist, daß selbst in Fällen (und es sind deren vor Ge¬
richt vorgekommen), wo die Vaterschaft brieflich oder sonst schriftlich eingestanden
ist, die Mutter nicht allein an der Geltendmachung ihrer Rechte verhindert wor¬
den, sondern wie sich von selbst versteht, von dem Advokaten des Vaters bei offe¬
nen Gerichtsthüren beschimpft worden ist. Vielleicht kommt ein Tag, wo die Ge¬
sellschaft von Vorurtheilen so gereinigt sein wird, daß nicht allein die Wittwen
lebender Männer, sondern auch die Opfer der Lebemänner, sich ungehin¬
dert auf dem Vendomeplatze werden versammeln können, um dem Oberhaupte der
Justiz für seinen menschenfreundlichen Plan, auch dieses Gesetz abzuschaffen, zu
danken. Dies wäre eine echt demokratische Aufführung von Hebbel's Maria Mag-
dalena. Ich fürchte aber, bis dahin werden in Frankreich noch viele Justizminister
V --g. unpopulär geworden sein.





*) Ein französischer Rechtsgelehrter, den ich über die Veranlassung zu diesem Gesetze be¬
fragt habe, antwortete mir, die Bonnen hätten ihre Patrons zu oft nor Gericht geladen,
und sie möge" nun im Rechte gewesen sein oder nicht, dergleichen Fälle stören die Familien
zu sehr. Das heißt so viel als: das Gesetz protegirt den Ehebruch zur Erhaltung des Familien-
Reichthums.
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zu belangen und an dessen Abschaffung bisher noch kein Mensch denkt. Wie der
Staat Hospitäler hat, in denen Hungrige nur dann aufgenommen weiden, wenn
der Hunger sie krank gemacht hat; (ich habe in Paris Aerzte zu Freunden, die
hungernden Menschen gegen, alle Wahrheit Krankheitszeugnisse ausgestellt haben,
damit sie in den Spitälern zu essen bekommen — die Chavlatane! —) so hat der
Staat auch Findelhäuser, und wenn die Dirne ihr Kind nicht ernälircn will, so
braucht sie es Nachts oder auch am Tage nur in den Zngkasten zu tragen und
auf den ersten Schellenschlag wird der kleine künftige Napoleon oder die kleine
künftige Brinvilliere in die menschliche Gesellschaft aufgenommen. Will die Mutter
sich später nach dem Schicksale ihres Kindes erkundigen, stehts ihr frei, voraus¬
gesetzt, daß sie die verhältnißmäßig nicht unbedeutenden Kosten erlegen kann, die
ihr für das Ausschlagen des Buches abgefordert werden. Besagte Mutter hat
sogar das Recht, dem Kinde bei der Ablieferung einen Namen zu geben, und
wer weiß, ob nicht erlauchte oder berühmte im Buche stehen. Darauf kommt eS
dem Franzosen aber nicht an. Il en est quitto, und damit Basta. Vielleicht be¬
ruft er sich zum Beweise seiner Moralität auch ans Jean Jacques Rousseau. Das
tollste an diesem Gesetze") ist, daß selbst in Fällen (und es sind deren vor Ge¬
richt vorgekommen), wo die Vaterschaft brieflich oder sonst schriftlich eingestanden
ist, die Mutter nicht allein an der Geltendmachung ihrer Rechte verhindert wor¬
den, sondern wie sich von selbst versteht, von dem Advokaten des Vaters bei offe¬
nen Gerichtsthüren beschimpft worden ist. Vielleicht kommt ein Tag, wo die Ge¬
sellschaft von Vorurtheilen so gereinigt sein wird, daß nicht allein die Wittwen
lebender Männer, sondern auch die Opfer der Lebemänner, sich ungehin¬
dert auf dem Vendomeplatze werden versammeln können, um dem Oberhaupte der
Justiz für seinen menschenfreundlichen Plan, auch dieses Gesetz abzuschaffen, zu
danken. Dies wäre eine echt demokratische Aufführung von Hebbel's Maria Mag-
dalena. Ich fürchte aber, bis dahin werden in Frankreich noch viele Justizminister
V —g. unpopulär geworden sein.





*) Ein französischer Rechtsgelehrter, den ich über die Veranlassung zu diesem Gesetze be¬
fragt habe, antwortete mir, die Bonnen hätten ihre Patrons zu oft nor Gericht geladen,
und sie möge» nun im Rechte gewesen sein oder nicht, dergleichen Fälle stören die Familien
zu sehr. Das heißt so viel als: das Gesetz protegirt den Ehebruch zur Erhaltung des Familien-
Reichthums.
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[0505] zu belangen und an dessen Abschaffung bisher noch kein Mensch denkt. Wie der Staat Hospitäler hat, in denen Hungrige nur dann aufgenommen weiden, wenn der Hunger sie krank gemacht hat; (ich habe in Paris Aerzte zu Freunden, die hungernden Menschen gegen, alle Wahrheit Krankheitszeugnisse ausgestellt haben, damit sie in den Spitälern zu essen bekommen — die Chavlatane! —) so hat der Staat auch Findelhäuser, und wenn die Dirne ihr Kind nicht ernälircn will, so braucht sie es Nachts oder auch am Tage nur in den Zngkasten zu tragen und auf den ersten Schellenschlag wird der kleine künftige Napoleon oder die kleine künftige Brinvilliere in die menschliche Gesellschaft aufgenommen. Will die Mutter sich später nach dem Schicksale ihres Kindes erkundigen, stehts ihr frei, voraus¬ gesetzt, daß sie die verhältnißmäßig nicht unbedeutenden Kosten erlegen kann, die ihr für das Ausschlagen des Buches abgefordert werden. Besagte Mutter hat sogar das Recht, dem Kinde bei der Ablieferung einen Namen zu geben, und wer weiß, ob nicht erlauchte oder berühmte im Buche stehen. Darauf kommt eS dem Franzosen aber nicht an. Il en est quitto, und damit Basta. Vielleicht be¬ ruft er sich zum Beweise seiner Moralität auch ans Jean Jacques Rousseau. Das tollste an diesem Gesetze") ist, daß selbst in Fällen (und es sind deren vor Ge¬ richt vorgekommen), wo die Vaterschaft brieflich oder sonst schriftlich eingestanden ist, die Mutter nicht allein an der Geltendmachung ihrer Rechte verhindert wor¬ den, sondern wie sich von selbst versteht, von dem Advokaten des Vaters bei offe¬ nen Gerichtsthüren beschimpft worden ist. Vielleicht kommt ein Tag, wo die Ge¬ sellschaft von Vorurtheilen so gereinigt sein wird, daß nicht allein die Wittwen lebender Männer, sondern auch die Opfer der Lebemänner, sich ungehin¬ dert auf dem Vendomeplatze werden versammeln können, um dem Oberhaupte der Justiz für seinen menschenfreundlichen Plan, auch dieses Gesetz abzuschaffen, zu danken. Dies wäre eine echt demokratische Aufführung von Hebbel's Maria Mag- dalena. Ich fürchte aber, bis dahin werden in Frankreich noch viele Justizminister V —g. unpopulär geworden sein. *) Ein französischer Rechtsgelehrter, den ich über die Veranlassung zu diesem Gesetze be¬ fragt habe, antwortete mir, die Bonnen hätten ihre Patrons zu oft nor Gericht geladen, und sie möge» nun im Rechte gewesen sein oder nicht, dergleichen Fälle stören die Familien zu sehr. Das heißt so viel als: das Gesetz protegirt den Ehebruch zur Erhaltung des Familien- Reichthums. 64*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/505>, abgerufen am 17.06.2024.