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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Was die angrenzenden Großherzogthümer Mecklenburg-Schwerin und M.-
Strelitz anbetrifft, so scheint letzteres von einem, wenn gleich höchst unbedeutenden,
doch wohlmeinenden Fürsten regiert zu sein; uns ist wenigstens nie eine Klage
über Bedrückungen der Unterthauen zu Ohren gekommen, und die Thränen, die
er vergoß, als er vernahm, daß sein Volk nicht gänzlich mit seiner Regierung
einverstanden sei, daß es gebieterisch die Abbestellung eingerissener Mißbräuche
fordere, zeugen wenigsteus für ein gutes Herz, so wie das augenblickliche Ein¬
gehen auf die ausgesprochenen Wünsche, für einige Klugheit und das Verständniß
der großen Zeit. Es dürfte dort auch "icht weiter zu Ruhestörungen kommen,
wenn der Fürst nicht etwa fremden Einflüsterungen Gehör geben und das Bewil¬
ligte wieder zurücknehmen sollte.

Weit schlimmer sieht es in Mecklenburg-Schwerin aus, von woher uns leicht
ein neuer Bauernkrieg kommen dürfte. Fürchterlich rächt sich dort die der Mensch¬
heit angethane Schmach der unglaublich lange fortgesetzten Hörigkeit des Bauern¬
standes ; anßer Rußland hat kein anderes Land die Sklaverei so lange fortbestehen
lassen, als Mecklenburg. Der Bauer ist in Folge davon nicht mir um ein Jahr¬
hundert zurück, sondern steht in geistiger Hinsicht noch ans demselben Fleck, auf
dem der süddeutsche zur Zeit des großen Bauernkrieges stand.

Das Beispiel grenzenloser Nnftttlichkeit, das durch den Urgroßvater des jetzigen
Regenten dem Lande gegeben wurde, hat namentlich auf den Adel verderblich ein¬
gewirkt. Dieser Fürst war so liederlich, daß er erst bei der Geburt des hundertsten
natürlichen Kindes selbst erklärt haben soll: nun werde es ihm doch selbst zu viel,
denn er habe keine Stellen mehr im Lande, um alle n. s. w. gehörig zu versorgen.
Außerdem war Friedrich-Franz ein leidenschaftlicher Spieler und vergeudete die
Einkünfte des Landes an der Spielbank des von ihm in's Leben gerufene" See¬
bades Doberan. Hier versammelte er jeden Sommer seineu reichen Adel um sich,
Md es galt bei diesem für einen Ehrenpunkt, gleich seinem Fürsten sein Vermögen
beim Pharo- und Roulettspiel zu verschwende". Man stelle sich vor, welch' eine
Sittenverderbniß nothwendig dieses von Oben herab gegebene Beispiel für das
ganze Land, bis in die untersten Schichten der Bevölkerung hinab, in seinem
Gefolge haben mußte. Paul, der Enkel dieses Fürsten und sein Nachfolger
in der Regierung, legte bessere Sitten an den Tag, war aber ein höchst unbe¬
deutender Mann, so daß es ihm selbst beim besten Willen nicht möglich gewesen
sein würde, irgend Etwas für die Reorganisation der sittlichen Zustände seines
Landes zu thun; aber ein gutes Beispiel der Sittenreinheit gab er, indem er
weder dem Spiele noch den Weibern ergeben war. Sein noch unmündiger Sohn
folgte ihm in der Regierung. In welche Hände dieser Knabe gefallen, dafür möge
zeugen, daß der erste Regierungsact des yo!,"i mündig gewordenen Fürsten der
Erlaß eines Preßgesetzes war, das an Strenge alle damals bestellenden Gesetze
der Art bei weitem übertraf.


Was die angrenzenden Großherzogthümer Mecklenburg-Schwerin und M.-
Strelitz anbetrifft, so scheint letzteres von einem, wenn gleich höchst unbedeutenden,
doch wohlmeinenden Fürsten regiert zu sein; uns ist wenigstens nie eine Klage
über Bedrückungen der Unterthauen zu Ohren gekommen, und die Thränen, die
er vergoß, als er vernahm, daß sein Volk nicht gänzlich mit seiner Regierung
einverstanden sei, daß es gebieterisch die Abbestellung eingerissener Mißbräuche
fordere, zeugen wenigsteus für ein gutes Herz, so wie das augenblickliche Ein¬
gehen auf die ausgesprochenen Wünsche, für einige Klugheit und das Verständniß
der großen Zeit. Es dürfte dort auch »icht weiter zu Ruhestörungen kommen,
wenn der Fürst nicht etwa fremden Einflüsterungen Gehör geben und das Bewil¬
ligte wieder zurücknehmen sollte.

Weit schlimmer sieht es in Mecklenburg-Schwerin aus, von woher uns leicht
ein neuer Bauernkrieg kommen dürfte. Fürchterlich rächt sich dort die der Mensch¬
heit angethane Schmach der unglaublich lange fortgesetzten Hörigkeit des Bauern¬
standes ; anßer Rußland hat kein anderes Land die Sklaverei so lange fortbestehen
lassen, als Mecklenburg. Der Bauer ist in Folge davon nicht mir um ein Jahr¬
hundert zurück, sondern steht in geistiger Hinsicht noch ans demselben Fleck, auf
dem der süddeutsche zur Zeit des großen Bauernkrieges stand.

Das Beispiel grenzenloser Nnftttlichkeit, das durch den Urgroßvater des jetzigen
Regenten dem Lande gegeben wurde, hat namentlich auf den Adel verderblich ein¬
gewirkt. Dieser Fürst war so liederlich, daß er erst bei der Geburt des hundertsten
natürlichen Kindes selbst erklärt haben soll: nun werde es ihm doch selbst zu viel,
denn er habe keine Stellen mehr im Lande, um alle n. s. w. gehörig zu versorgen.
Außerdem war Friedrich-Franz ein leidenschaftlicher Spieler und vergeudete die
Einkünfte des Landes an der Spielbank des von ihm in's Leben gerufene» See¬
bades Doberan. Hier versammelte er jeden Sommer seineu reichen Adel um sich,
Md es galt bei diesem für einen Ehrenpunkt, gleich seinem Fürsten sein Vermögen
beim Pharo- und Roulettspiel zu verschwende». Man stelle sich vor, welch' eine
Sittenverderbniß nothwendig dieses von Oben herab gegebene Beispiel für das
ganze Land, bis in die untersten Schichten der Bevölkerung hinab, in seinem
Gefolge haben mußte. Paul, der Enkel dieses Fürsten und sein Nachfolger
in der Regierung, legte bessere Sitten an den Tag, war aber ein höchst unbe¬
deutender Mann, so daß es ihm selbst beim besten Willen nicht möglich gewesen
sein würde, irgend Etwas für die Reorganisation der sittlichen Zustände seines
Landes zu thun; aber ein gutes Beispiel der Sittenreinheit gab er, indem er
weder dem Spiele noch den Weibern ergeben war. Sein noch unmündiger Sohn
folgte ihm in der Regierung. In welche Hände dieser Knabe gefallen, dafür möge
zeugen, daß der erste Regierungsact des yo!,«i mündig gewordenen Fürsten der
Erlaß eines Preßgesetzes war, das an Strenge alle damals bestellenden Gesetze
der Art bei weitem übertraf.


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[0518] Was die angrenzenden Großherzogthümer Mecklenburg-Schwerin und M.- Strelitz anbetrifft, so scheint letzteres von einem, wenn gleich höchst unbedeutenden, doch wohlmeinenden Fürsten regiert zu sein; uns ist wenigstens nie eine Klage über Bedrückungen der Unterthauen zu Ohren gekommen, und die Thränen, die er vergoß, als er vernahm, daß sein Volk nicht gänzlich mit seiner Regierung einverstanden sei, daß es gebieterisch die Abbestellung eingerissener Mißbräuche fordere, zeugen wenigsteus für ein gutes Herz, so wie das augenblickliche Ein¬ gehen auf die ausgesprochenen Wünsche, für einige Klugheit und das Verständniß der großen Zeit. Es dürfte dort auch »icht weiter zu Ruhestörungen kommen, wenn der Fürst nicht etwa fremden Einflüsterungen Gehör geben und das Bewil¬ ligte wieder zurücknehmen sollte. Weit schlimmer sieht es in Mecklenburg-Schwerin aus, von woher uns leicht ein neuer Bauernkrieg kommen dürfte. Fürchterlich rächt sich dort die der Mensch¬ heit angethane Schmach der unglaublich lange fortgesetzten Hörigkeit des Bauern¬ standes ; anßer Rußland hat kein anderes Land die Sklaverei so lange fortbestehen lassen, als Mecklenburg. Der Bauer ist in Folge davon nicht mir um ein Jahr¬ hundert zurück, sondern steht in geistiger Hinsicht noch ans demselben Fleck, auf dem der süddeutsche zur Zeit des großen Bauernkrieges stand. Das Beispiel grenzenloser Nnftttlichkeit, das durch den Urgroßvater des jetzigen Regenten dem Lande gegeben wurde, hat namentlich auf den Adel verderblich ein¬ gewirkt. Dieser Fürst war so liederlich, daß er erst bei der Geburt des hundertsten natürlichen Kindes selbst erklärt haben soll: nun werde es ihm doch selbst zu viel, denn er habe keine Stellen mehr im Lande, um alle n. s. w. gehörig zu versorgen. Außerdem war Friedrich-Franz ein leidenschaftlicher Spieler und vergeudete die Einkünfte des Landes an der Spielbank des von ihm in's Leben gerufene» See¬ bades Doberan. Hier versammelte er jeden Sommer seineu reichen Adel um sich, Md es galt bei diesem für einen Ehrenpunkt, gleich seinem Fürsten sein Vermögen beim Pharo- und Roulettspiel zu verschwende». Man stelle sich vor, welch' eine Sittenverderbniß nothwendig dieses von Oben herab gegebene Beispiel für das ganze Land, bis in die untersten Schichten der Bevölkerung hinab, in seinem Gefolge haben mußte. Paul, der Enkel dieses Fürsten und sein Nachfolger in der Regierung, legte bessere Sitten an den Tag, war aber ein höchst unbe¬ deutender Mann, so daß es ihm selbst beim besten Willen nicht möglich gewesen sein würde, irgend Etwas für die Reorganisation der sittlichen Zustände seines Landes zu thun; aber ein gutes Beispiel der Sittenreinheit gab er, indem er weder dem Spiele noch den Weibern ergeben war. Sein noch unmündiger Sohn folgte ihm in der Regierung. In welche Hände dieser Knabe gefallen, dafür möge zeugen, daß der erste Regierungsact des yo!,«i mündig gewordenen Fürsten der Erlaß eines Preßgesetzes war, das an Strenge alle damals bestellenden Gesetze der Art bei weitem übertraf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/518>, abgerufen am 17.06.2024.